Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Ausschluss der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung von der staatlichen Förderung die Partei im Jahr 2019 "in ihrem Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt" hat.
Die geförderten Stiftungen anderer Parteien hätten das Geld nämlich für Seminare oder Diskussionsangebote verwenden können. Auf diese Weise werde die Reichweite der jeweiligen nahestehenden Partei erweitert, auch wenn die Stiftungen formell organisatorisch von den Parteien unabhängig seien.
Gericht mahnt Regelung durch Gesetz an
Nehme der Gesetzgeber bei der staatlichen Stiftungsfinanzierung solche "Eingriffe in die Chancengleichheit der politischen Parteien" vor, bedürfe es "besonderer gesetzlicher Regelungen, die zum Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter geeignet und erforderlich sind", befand der Zweite Senat des höchsten Gerichts. "Denn nur so wird sichergestellt, dass alle Abgeordneten und die Öffentlichkeit in dem Gesetzgebungsverfahren die Gelegenheit erhalten, die geplanten Regelungen zu diskutieren und sich eine Meinung zu bilden", sagte Gerichtsvizepräsidentin Doris König bei der Urteilsverkündung.
Als die Afd-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) 2019 keine Förderung erhielt, sei dies nicht durch ein entsprechendes Gesetz gerechtfertigt gewesen. Bei einer solchen Rechtfertigung, wie sie Karlsruhe nun anmahnte, räumten die Richter dem Gesetzgeber einen gewissen Spielraum ein. So könne in Zukunft etwa der "Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" eine Rolle spielen, fügten sie als Hinweis hinzu. Der Ball liege damit jetzt "im Feld des Gesetzgebers", sagte Gerichtsvizepräsidentin König.
Entscheidung mit grundsätzlicher Bedeutung
Die Klage der AfD hatte damit teilweise Erfolg, nämlich was das Jahr 2019 betrifft. Die Entscheidung ist allerdings von grundsätzlicher Bedeutung. So wie bisher darf der Bundestag die Stiftungsgelder jedenfalls nicht mehr verteilen, auch wenn die Verfassungsrichter die Anträge der AfD zu den Jahren 2020 und 2021 größtenteils für unzulässig erklärten, da sie nicht fristgemäß gestellt wurden. Der Antrag zum Jahr 2022, den die AfD erst kürzlich nachgeschoben hatte, wurde vom Verfahren abgetrennt, hierüber soll zu einem späteren Zeitpunkt separat entschieden werden.
Neuer Passus in Haushaltsgesetz
Ursache für diese Abkopplung der Entscheidung zum Jahr 2022 ist neben der späten Antragstellung, dass seit diesem Jahr ein neuer Passus im Haushaltsgesetz enthalten ist. Danach werden die Zuschüsse "nur politischen Stiftungen gewährt, die nach ihrer Satzung und ihrer gesamten Tätigkeit jederzeit die Gewähr bieten, dass sie sich zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten".
Dieser Vermerk spielt bei dem AfD-Antrag zum Jahr 2022 eine Rolle, den die Partei erst sehr kurzfristig vor der Verhandlung im Oktober nachgeschoben hatte. Vizegerichtspräsidentin König sagte, dieser Antrag werfe neue verfassungsrechtliche Fragen auf. Bundestag und Bundesregierung hätten sich dazu nicht mehr hinreichend äußern können, daher könne hierzu aktuell keine Entscheidung erfolgen.
Urteil von 1986 als Richtschnur
Richtschnur für die Förderung war bis zur Neuformulierung des Haushaltsgesetzes ausschließlich ein Karlsruher Urteil aus dem Jahr 1986 gewesen. Darin steht, dass sichergestellt sein muss, dass "alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt" werden sollen.
Die Höhe der Förderung richtet sich in der Praxis danach, wie stark eine Partei im Bundestag vertreten ist. Für die praktische Umsetzung hatten die Stiftungen zudem 1998 selbst einen Vorschlag gemacht. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es, ein geeigneter Anhaltspunkt dürfte "eine wiederholte Vertretung" der entsprechenden Partei im Bundestag sein, und zwar zumindest einmal in Fraktionsstärke. Die AfD zog erst 2017 zum ersten Mal in den Bundestag ein.
660 Millionen Euro für Stiftungen
Die sechs Stiftungen von SPD, CDU, CSU, Grünen, FDP und Linken waren 2019 vom Bund mit insgesamt rund 660 Millionen Euro gefördert worden, die DES ging leer aus. Der größere Teil der Mittel kommt von den Ministerien für Entwicklung und Bildung und vom Auswärtigen Amt.
In dem Karlsruher Verfahren ging es ausschließlich um die sogenannten Globalzuschüsse aus dem Haushalt des Innenministeriums, die für die gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit gedacht sind. Damals waren das rund 130 Millionen Euro, für dieses Jahr sind 148 Millionen Euro eingeplant. Die DES und die AfD hatten 900.000 Euro für 2019 verlangt.
Stiftungschefin: "Garantiert nicht verfassungsfeindlich"
Die DES und die AfD hatten 900.000 Euro für 2019 verlangt, in Zukunft könnte die Stiftung auf Zuschüsse in Millionenhöhe hoffen, wenn der Gesetzgeber keine Regelung vornimmt, die dem entgegensteht.
In der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht im Oktober hatte die DES-Vorsitzende Erika Steinbach zum Finanzbedarf der Stiftung gesagt, ohne Zuschüsse seien derzeit maximal 50 Veranstaltungen im Jahr möglich, es könnten keine Stipendien vergeben und kein Parteiarchiv aufgebaut werden. Dabei vermittle die Stiftung "garantiert auf gar keinen Fall" verfassungsfeindliches, antisemitisches und menschenverachtendes Gedankengut oder Rassismus.
AfD sieht Erfolg, Ampel-Koalition verspricht Regelung
Nach dem Urteil sagte Steinbach, sie gehe davon aus, dass die DES künftig öffentliche Gelder erhält. "Der Spielraum ist nicht so weit, wie manche sich das wünschen würden, sondern es sind Rahmenbedingungen festgelegt, die einzuhalten sind", erklärte die Stiftungsvorsitzende: "Da alle diese Dinge von uns eingehalten werden, müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn wir keine Mittel erhalten."
Auch Peter Boehringer, stellvertretender Bundessprecher der AfD, zeigte sich mit dem Richterspruch zufrieden: "Ich denke, dass das ein wirklich großer Erfolg ist." Das Gericht verlange die Schaffung eines Stiftungsgesetzes, "und deshalb sind wir mit diesem Teil des Urteils schon mal sehr glücklich". Das Urteil bedeute "einen Zugewinn an Transparenz für die gesamte Stiftungslandschaft" und beende "die Mauscheleien im Haushaltsausschuss". Damit werde "eine Verbesserung für das gesamte demokratische Gefüge" erzielt.
Thorsten Lieb, Rechtspolitiker der FDP-Bundestagsfraktion, erklärte, die Ampel-Koalition werde "das Urteil noch einmal sehr sorgfältig betrachten". Es sei aber "klar nach der Entscheidung, dass wir eine eigenständige gesetzliche Grundlage schaffen werden. Das haben wir uns ohnehin vorgenommen im Koalitionsvertrag. Und das werden wir jetzt machen auf Grundlage dieser Entscheidung".
Urteil dürfte Tempo in die Diskussion bringen
Dabei dürfte die Koalition gut beraten sein, aufs Tempo zu drücken. Ohne gesetzliche Grundlage darf der Bundestag den Stiftungen eigentlich kein Geld mehr zur Verfügung stellen. Denn dies wäre ein verfassungswidriges Vorgehen, meinte nach der Urteilsverkündung Rechtsprofessorin Sophie Schönberger, Expertin für Parteienrecht an der Uni Düsseldorf. Sie hatte als Prozessbevollmächtigte den Bundestag während des Verfahrens in Karlsruhe vertreten.
Organisationen wie die Bürgerbewegung Campact und die Bildungsstätte Anne Frank hatten den Parteien im Bundestag im Vorfeld der Karlsruher Entscheidung vorgeworfen, dass sie eine Regelung der Stiftungsfinanzierung immer wieder verschleppt hätten, wodurch das Risiko gewachsen sei, dass die DES Steuergelder erhält. Damit drohe die Gefahr, dass "Diskurse und politische Einstellungen weiter nach rechts verschoben" würden und die Rechte ihre Organisationsstrukturen ausbauen könne, "und das alles mit unserem Steuergeld".
Mit Material von AFP und DPA
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