Peking, 21. Februar 1972: Henry Kissinger und der chinesische Premierminister Chou En-laii.
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Peking, 21. Februar 1972: Henry Kissinger und der chinesische Premierminister Chou En-laii.

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Kissingers Realpolitik: Friedensstifter oder Kriegsverbrecher?

Kissingers Realpolitik: Friedensstifter oder Kriegsverbrecher?

Wohl kein Diplomat hatte so viel Einfluss auf die US-Außenpolitik wie Henry Kissinger. Für seine Realpolitik wurde er von manchen verehrt – und von anderen gehasst. Was macht Realpolitik aus und welche Rolle spielt sie heute? Eine Analyse.

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Henry Kissinger war der Einzige in der Geschichte, der zeitgleich Nationaler Sicherheitsberater und Außenminister der USA war. Eine Fülle an Einfluss, mit dem er die internationale Politik geprägt hat.

Unter den Präsidenten Kennedy und Johnson war er bereits beratend tätig, doch seine Ideen umsetzen konnte er mit dem Amtsantritt des republikanischen Präsidenten Richard Nixon im Jahr 1969. Mit seiner Realpolitik veränderte er den Lauf der Geschichte – für die einen ist er deswegen ein großer Staatsmann, für andere ein Kriegsverbrecher.

Würdigung und Kritik

So kontrovers seine Politik war, so unterschiedlich sind auch die Reaktionen auf seinen Tod. Der chinesische Botschafter in den USA, Xie Feng, erklärte, dass Kissinger immer lebendig in den Herzen der Chinesen bleiben werde als "ein hochgeschätzter, alter Freund".

Die Kinder von Richard Nixon, Tricia Nixon Cox und Julie Nixon Eisenhower, würdigten Kissingers Zusammenarbeit mit ihrem Vater dagegen als "eine Partnerschaft, die Frieden für unsere Nation gebracht hat." Das Rolling-Stone-Magazin dagegen titelte: "Henry Kissinger, von der herrschenden Klasse geliebter Kriegsverbrecher, ist endlich gestorben".

Realpolitik: Pragmatismus und Ordnung

Henry Kissingers außenpolitische Ideen kann man vor dem Hintergrund eines großen Streits verstehen: In den 60er-Jahren gab es in den USA eine emotionale Diskussion: Warum brach die Siegerkoalition aus dem Zweiten Weltkrieg zusammen, warum begann der Kalte Krieg?

Die eine Seite sah die Schuld ausschließlich bei der Sowjetunion: Stalin Ziel sei es, ganz Europa zu unterwerfen und die kommunistische Ideologie zu verbreiten. Eine linke Schule sah die Verantwortung eher bei den eigenen Regierungen: Durch ihre Expansion und ihr Machtstreben seien die USA schuld an der Entwicklung des Kalten Krieges.

Erst Eskalation und dann Frieden im Vietnam-Krieg

Dieser Einseitigkeit der beiden Ansätze stand Kissinger mit seiner Realpolitik gegenüber. Ein Begriff, den er übrigens nie verwendet haben will. Den Kalten Krieg sah Kissinger schlicht als Folge der Machtverteilung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die USA sollten in diese Situation die Rolle einer Ordnungsmacht einnehmen, die sich in ihrer Außenpolitik nicht auf Ideologie, sondern auf Interessen stützt. Ähnlich wie es Großbritannien im 18. und 19. Jahrhundert war.

Nur als Kissinger sein Amt als Nationaler Sicherheitsberater 1969 antrat, war es mit der Ordnung nicht weit her. Die USA steckten tief im Vietnam-Krieg, ein Krieg, bei dem sich Kissinger bei seinem Amtsantritt sicher war, dass die USA ihn nicht gewinnen werden. Aber einfach von dort abzuziehen, hätte in Kissingers Sicht "ein geopolitisches Desaster" bedeutet – und eine Demütigung für Washington. Also musste, so sein Denken, der Druck erhöht werden und Nord-Vietnam zu einem Waffenstillstand bewegt werden.

Deswegen begannen die USA die Bombardements auf den Norden Vietnams massiv auszuweiten und auch Kambodscha und Laos aus der Luft anzugreifen, weil sich dort nordvietnamesische Truppen aufhielten. Diese Angriffe liefen weitgehend im Geheimen statt, der Kongress, der hätte informiert werden müssen, wurde es nicht. Für nicht wenige gilt Kissinger deswegen als ein Kriegsverbrecher.

Bei einer Kongress-Anhörung im Jahr 2005, bei der Kissinger als Zeuge vorgeladen war, stürmten Anti-Kriegs-Aktivisten den Raum und forderten seine Verhaftung. Sophal Ear, Professor an der Arizona State University, schrieb beispielsweise, dass Kissinger mit dafür verantwortlich sei, dass Hunderttausende Kambodschaner ums Leben kamen. Die Bombardements hätten auch "einen Weg geebnet für die Gräueltaten der Roten Khmer".

Shuttle-Diplomacy und Annäherung an China

Für andere ist Kissinger jemand, der durch sein diplomatisches Geschick Frieden stiften konnte. 1972 unterzeichneten er und der nordvietnamesische Unterhändler Le Duc Tho einen Waffenstillstand, im folgenden Jahr erhielten beide dafür den Friedensnobelpreis. Bis zu einem kompletten Ende der Kampfhandlungen Vietnam dauerte es allerdings noch bis 1975.

Nirgends wurde sein außenpolitischer Ansatz deutlicher als im Umgang mit China und der Sowjetunion. Anfang der 70er kam es zu Spannungen zwischen Moskau und Peking. Diesen Zeitpunkt nutzte Kissinger, um eine 20 Jahre lange Episode von Feindschaft und Nicht-Anerkennung mit China zu beenden. Erst reiste Kissinger in geheimer Mission nach Peking, ein Jahr später Nixon.

Durch diese Annäherung baute er Druck auf die Sowjetunion aus, sich zu bewegen. Es kam zu Abrüstungsgesprächen, an deren Ende die SALT (Strategic Arms Limitiation Talks)-Verträge standen. Für Kissinger ging es darum, die Kosten und Risiken des Kalten Krieges zu minimieren. Das bedeutete auch, dass man Länder des Globalen Südens zu verstehen gab, dass man ihnen im Kampf gegen kommunistische Bestrebungen nicht mehr so zur Seite stehen werde wie früher.

Interessen "first", Moral "second"

Sah man die eigenen Interessen aber in Gefahr, reagierten die USA in der Ära von Kissinger und Nixon. Als in Chile 1970 der Sozialist Salvador Allende Gossens die Wahl gewann, half die CIA bei einem Staatsstreich mit. An die Macht kam eine brutale Militärjunta, unter der laut Schätzungen mehrere Zehntausend Menschen ermordet wurden. Als der US-Botschafter in Chile, David Popper, der US-Regierung von der Verletzung der Menschenrechte im Land berichtete, antwortete Kissinger: "Sagt Popper, er soll mit den politikwissenschaftlichen Vorträgen aufhören."

Auch sonst machten die USA damit weiter, anti-sowjetische Regierungen zu unterstützen, auch wenn diese undemokratisch waren – dazu gehörten Iran, Südkorea, die Philippinen und das Apartheidsregime in Südafrika.

Ein anderer Brandherd, den Kissinger managen musste, steht auch heute wieder in Flammen: der Nahe Osten. Sein Vorgehen in dieser Zeit wurde Shuttle-Diplomacy (Pendeldiplomatie) genannt, weil er in der Region von einem Staatenlenker zum Nächsten reiste. Er sorgte damit nach dem Jom-Kippur-Krieg zu einer Beruhigung der Lage, verhandelte mit, dass sowohl an Israels Nordgrenze zum Libanon als auch an Südwest-Grenze zu Ägypten die Waffen schwiegen und das Öl-Embargo der OPEC-Staaten beendet wurde.

Er war einer der berühmtesten, aber auch umstrittensten Diplomaten des 20. Jahrhunderts: der frühere US-Außenminister Henry Kissinger. Gestern starb er im Alter von 100 Jahren.
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Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger. Gestern starb er im Alter von 100 Jahren.

Der aktuelle Außenminister Anthony Blinken erinnert an dieses Vorgehen mit seinen zahlreichen Besuchen in Kairo, Jerusalem und Ramallah in den vergangenen zwei Monaten, seit dem brutalen Angriff der Terrorgruppe Hamas auf Israel und den anschließenden Krieg in Gaza. Aber dass der Ruf der USA nach einer Feuerpause lange ignoriert wurde, lässt auch darauf schließen, dass das Wort aus Washington zu Kissingers Zeiten noch mehr Gewicht hatte.

Was Kissinger im Ukraine-Krieg vorgeschlagen hat

Was seine Realpolitik im Ukraine-Krieg bedeuten würde, das hatte vor Kurzem noch selbst kundgetan. "Ich glaube daran, dass ein Ende der Kämpfe möglich ist, wenn die Vorkriegslinie erreicht ist", sagte Kissinger Anfang dieses Jahres bei einer Videoschalte zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Gemeint war der Frontverlauf entlang der 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten Krim und der von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete in Donezk und Luhansk.

Heißt: Ein Waffenstillstand und Russland solle Teil der Ukraine bekommen. Eine Haltung, die fundamental von der heutigen US-Regierung und auch den allermeisten Regierungen in Europa abweicht. Aber das ist der Kern von Kissingers Außenpolitik gewesen: Pragmatismus und Stabilität. Und wenn ein Mittel zum Ziel moralisch fragwürdig ist, dann ist das eben so.

Kissinger hat schon seit Langem einen festen Platz in den Geschichtsbüchern. Er war dafür verantwortlich, dass sich die US-Außenpolitik in den 70ern deutlich verändert hat: Weg von Einmischung und "Containment" (Eindämmung) des Kommunismus, hin zu Pragmatismus und einem Machtgleichgewicht, in dem die USA die Schlüsselrolle spielen sollten. Und das teilweise mit umstrittenen Mitteln.

Der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger
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Wolfgang Ischinger

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