Auf Instagram, TikTok und Twitter verbreitete sich am Montag und Dienstag sehr reichweitenstark ein Video, das dokumentieren soll, wie eine Frau aufgrund ihres Kopftuchs daran gehindert wird, ein Wahllokal in der Astrid-Lindgren-Grundschule in Bergheim in Nordrhein-Westfalen zu betreten und ihre Stimme zur Bundestagswahl abzugeben.
Die Frau wurde aufgefordert, das Kopftuch abzunehmen um zu wählen, weigerte sich aber, wie sie auf Instagram schreibt:
“Meine Freundin wurde reingelassen und durfte wählen. Mir wurde gesagt, ich dürfe nicht wählen, weil ich ein Kopftuch trage und mich damit ja ‘verhülle’. Diese Regelung könne ich im Bundeswahlgesetz nachlesen. Ich dürfe nur wählen, wenn ich mein Kopftuch absetze. Ich wollte es nicht abnehmen, weil auch Männer anwesend waren.”
Beschwerde bei der Stadt
Die Frau erzählt im Post auch, dass sie sich daraufhin bei der Stadt beschwert hat, die dann den Wahlvorstand kontaktierte. Schließlich durfte die Frau wählen ohne das Kopftuch abzunehmen, im Video sprechen die Wahlhelfer von einem "Missverständnis".
In dem Video, das dazu auf vielen verschiedenen Plattformen geteilt wird, hört man die Diskussion zwischen der Frau und den Wahlvorständen, als sie um eine Entschuldigung bittet und Konsequenzen fordert. Außerdem fragt die Frau, wie viele andere Frauen mit Kopftuch abgewiesen wurden. Die Wahlhelfer geben ihr daraufhin keine Antwort. Stattdessen heißt es, die Sache sei jetzt geklärt. Bildlich sieht man auf dem Video nur den Boden des Wahllokals - der passt aber nach #Faktenfuchs-Recherchen zu dem Boden der Astrid-Lindgren-Grundschule in Bergheim.
Eine solche Regelung gibt es nicht in der Bundeswahlordnung
Auch die Frage, wie es zu so einem Missverständnis kommen könne, beantwortet ihr der Wahlhelfer nicht. Es wird lediglich auf das Bundeswahlgesetz verwiesen, das geändert worden sei. In der Bundeswahlordnung gibt und gab es aber keine solche Regelung.
Auf Nachfrage beim Bundeswahlleiter heißt es: "Eine Wählerin kann wegen eines Kopftuchs nicht an der Stimmabgabe gehindert werden. Dazu gibt es und gab es keine wahlrechtliche Vorgabe. Falls erforderlich, müsse der Wahlvorstand die Identität der Wählerin oder des Wählers feststellen können. Dies wird durch ein Kopftuch aber nicht behindert." Es habe sich um einen Fehler des Wahlvorstands gehandelt.
Kopftuch lässt eindeutige Identifizierung zu
Der Wahlvorstand muss die Identität eines Wählers prüfen können, bevor dieser seine Stimme abgibt. Wenn man das Gesicht nicht erkennen kann, zum Beispiel wegen einer Burka, könne die Identität nicht eindeutig festgestellt werden, sagt der Landeswahlleiter von Nordrhein-Westfalen dem #Faktenfuchs. Das gelte für jeden, der sich im Gesicht unkenntlich mache. Damit soll verhindert werden, dass eine Person mehrmals ihre Stimme abgibt. Bei einem Kopftuch sei das nicht der Fall, da die Person hier ohne Zweifel identifizierbar sei.
Stadt Bergheim hat sich entschuldigt
In einer Pressemitteilung nimmt die Stadt Bergheim Stellung zu dem Vorfall. Man habe sich um eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls gekümmert, heißt es darin.
"Die Wahlhelferin war nach eigener Aussage von einer unzulässigen Verhüllung ausgegangen, obwohl bei den Wahlhelferschulungen der Umgang mit einer etwaigen Verhüllung ausdrücklich erörtert wurde. Ein islamophober, rassistischer oder diskriminierender Hintergrund für die Zurückweisung kann keinesfalls bestätigt werden." - Sprecherin der Stadt Bergheim
Die Stadtverwaltung Bergheim habe sich im Namen des Wahlvorstands und der betreffenden Wahlhelferin bei der Frau schriftlich entschuldigt. Der Bürgermeister der Stadt, Volker Mießeler, habe bereits telefonisch Kontakt zu der Frau gehabt und wolle sich diese Woche persönlich mit ihr treffen. "An dieser außerordentlichen Fehleinschätzung gibt es nichts schön zu reden, so etwas darf einfach nicht passieren. Daher ist es mir wichtig, den Sachverhalt in einem persönlichen Gespräch mit der Betroffenen nochmals lückenlos aufzuklären, sodass keine Fragen mehr nach einem irgendwie gearteten ausländerfeindlichen Hintergrund offen sind", wird Mießeler in der Pressemitteilung zitiert.
Wahlhelfer sollen jetzt noch intensiver geschult werden
Oberstes Ziel der Stadtverwaltung sei es, alles dafür zu tun, jedem Bürger und jeder Bürgerin die Wahl zu ermöglichen. Daher wolle man bei künftigen Wahlen die Wahlhelfer und Wahlhelferinnen noch intensiver schulen, damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt.
Gab es noch weitere Fälle?
Die Frau fragt die Wahlhelfer im Video auch, wie viele Frauen mit Kopftuch bereits abgewiesen wurden und hat auf ihrem Instagram-Account einen Aufruf gestartet, dass sich Frauen, die aufgrund ihres Kopftuchs in Bergheim nicht wählen durften, bei ihr melden sollten. Sie berichtet auch von einer weiteren Frau mit Kopftuch, die nach ihrer Schilderung ebenfalls abgewiesen worden war, die sie aber noch abfangen konnte, um ihr zu sagen, dass sie wählen dürfe.
In der Pressemitteilung bestreitet die Stadtverwaltung, dass weitere Frauen mit Kopftuch weggeschickt worden wären: Der Sachverhalt sei sowohl mündlich als auch schriftlich aufgeklärt worden und es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass es noch einen weiteren Fall oder weitere Fälle gegeben habe.
Auf Instagram wurde auf dem Account, auf dem auch das Video hochgeladen und die Vorwürfe gegen die Wahlhelfer erhoben wurden, eine Stellungnahme zu der Pressemitteilung der Stadt Bergheim veröffentlicht: Die Frau habe noch kein persönliches Treffen mit dem Bürgermeister vereinbart, heißt es dort. Außerdem handele es sich nicht um einen Einzelfall, da mit der Frau, die sie nach eigenen Angaben noch abfangen konnte, mindestens zwei Personen betroffen gewesen seien. Die Dunkelziffer sei unbekannt. Auch den Rassismus-Vorwurf dürfe man nicht so leicht verwerfen. "Wir glauben, dass es zu dem jetzigen Zeitpunkt zu früh ist, um schon Aussagen darüber zu treffen, ob das hier ein Fall von Rassismus war oder nicht."
Fazit
Eine Frau berichtet im Netz davon, dass sie aufgrund ihres Kopftuchs am Sonntag bei der Bundestagswahl vom Wählen abgehalten wurde und erhält viel Solidarität. Niemand darf aber wegen eines Kopftuchs an der Stimmabgabe gehindert werden. Zwar müsse der Wahlvorstand, falls erforderlich, die Identität der Wählerin oder des Wählers feststellen können, dies werde durch ein Kopftuch aber nicht behindert. Die Stadtverwaltung teilt in einer Pressemitteilung mit, es habe sich um den Fehler einer Wahlhelferin gehandelt. Man habe sich um eine Aufklärung des Vorfalls gekümmert.
Update 08.10.2021: Der Zentralrat der Muslime hat als Reaktion Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Der Verband sagte am Donnerstag, die Strafanzeige sei unter anderem wegen Beleidigung, Wahlbehinderung und Nötigung eingereicht worden.
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