In Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal im Europaparlament hat die belgische Justiz Haftbefehl gegen vier Verdächtige erlassen. "Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt", teilte die Staatsanwaltschaft am Sonntag in Brüssel mit.
Noch nicht bestätigt ist, ob auch die festgenommene Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili dazu gehört. Laut Informationen der Nachrichtenagentur AFP ist das aber der Fall. Die Staatsanwaltschaft wollte jedoch vorerst keine weiteren Angaben machen, hieß es. Bei der Ergreifung auf frischer Tat kann die parlamentarische Immunität der EU-Abgeordneten nicht geltend gemacht werden. Zwei weitere Festgenommene wurden vom Untersuchungsrichter wieder freigelassen.
Größter Korruptionsskandal in der Geschichte des EU-Parlaments
Hintergrund ist einer der größten Korruptionsskandale in der Geschichte des EU-Parlaments. Es geht um Ermittlungen wegen mutmaßlicher Bestechung und Bestechlichkeit, Geldwäsche und versuchter Einflussnahme auf politische Entscheidungen durch das Emirat Katar, den Gastgeber der laufenden Fußball-WM. Am Freitag gab es deswegen mindestens 16 Durchsuchungen und übers Wochenende sechs Festnahmen. Bei den Razzien beschlagnahmte die Polizei laut belgischer Bundesstaatsanwaltschaft Bargeld in Höhe von rund 600.000 Euro sowie Datenträger und Mobiltelefone.
Unter den Festgenommenen sind auch ein ehemaliger sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter aus Italien, Antonio Panzeri, sowie Kailis italienischer Lebensgefährte.
EU-Vizeparlamentspräsidentin Kaili verliert alle Befugnisse
Im Fokus steht dabei Eva Kaili: Die Vizepräsidentin des Parlaments soll Geld aus Katar angenommen haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Die Sozialdemokratin aus Griechenland wurde zusammen mit vier anderen Verdächtigen festgenommen. Am Samstag folgte eine weitere Festnahme.
Im Raum steht neben Vorwürfen der Bestechung und Bestechlichkeit auch der Verdacht der Geldwäsche. Kaili wurde von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola von all ihren Aufgaben entbunden. Bislang war sie eine von insgesamt 14 Stellvertretern. Ihre sozialdemokratische Fraktion - zu der auch die SPD-Abgeordneten gehören - suspendierte ihre Mitgliedschaft.
Reaktionen seit Bekanntwerden des Korruptionsverdachts
EU-Vizeparlamentspräsidentin Katarina Barley (SPD) lobte die schnelle Reaktion von Kailis Partei und Fraktion. "Wir tolerieren keine Korruption. Korruption ist Gift für die Demokratie", sagte sie in der ARD.
Die Grünen-Fraktion im Europaparlament forderte eine umfassende Untersuchung der Korruptionsvorwürfe. "Wir müssen unsere Regeln verschärfen, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann", erklärte die Fraktion. Der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), verlangte von Kailis Fraktion zu klären, "an welchen Themen Eva Kaili mitgearbeitet hat und welche Fraktionsentscheidungen sie beeinflusste".
"Das ist eine Schande für das europäische Parlament", kommentierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Laschet den Korruptionsverdacht in Brüssel am Sonntags-Stammtisch im BR Fernsehen. "Das Europäische Parlament belehrt ja jeden in der Welt, was auch nicht immer klug ist. Und dann ist der Anspruch an das eigene Handeln natürlich nochmal besonders groß."
Katar weist Korruptionsvorwürfe scharf zurück
Politiker der Union und der Grünen stellten am Sonntag eine geplante Visa-Liberalisierung für Katar infrage. Katar, über das Kaili sich lobend geäußert hatte, wies Vorwürfe von Korruption scharf zurück. "Jede Verbindung der katarischen Regierung mit den berichteten Vorwürfen ist grundlos und gravierend uninformiert." Katar operiere nach den gültigen internationalen Gesetzen und Regeln.
Dennoch könnte der Vorfall Auswirkungen auf das Land haben. Denn der Innenausschuss des Parlaments hatte sich für eine Visa-Liberalisierung für Katar ausgesprochen. Nun gibt es aber Kritik daran. "Wenn das EP möglicherweise mit Geld von Kräften aus dem Ausland beeinflusst wurde, muss man das Verfahren im Parlament erst einmal stoppen", forderte Caspary. "In dieser Situation kann es natürlich keine Visa-Liberalisierung für Katar geben", schrieb der Grünen-EP-Abgeordnete Erik Marquardt auf Twitter. "Die geplante Abstimmung darüber wird entweder in den Innenausschuss zurücküberwiesen, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen oder wir stimmen als Parlament gegen die Visa-Liberalisierung."
Durchsuchung der Wohnung eines weiteren EU-Abgeordneten
Im Zuge des Korruptionsskandals im EU-Parlament ist die Wohnung eines weiteren EU-Abgeordneten durchsucht worden. Wie die Staatsanwaltschaft in Brüssel am Sonntag mitteilte, erfolgte die Durchsuchung am Samstagabend. Weiteren Angaben werde man zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen, hieß es. Auch zur Identität des weiteren Abgeordneten gab es keine Informationen.
Medienberichten zufolge handelt es sich um Marc Tarabella von der Sozialistische Partei (PS) Belgiens. Die PS hat Tarabella vor ein parteiinternes Gremium zitiert. "Nach Presseberichten hat die föderale Überwachungskommission der PS am Sonntag entschieden, Marc Tarabella unverzüglich vorzuladen", schrieb die Partei am Sonntag auf Twitter. Der Europaabgeordnete werde in den kommenden Tagen angehört.
Politisches Brüssel unter Schock
Die Vorwürfe setzten den politischen Betrieb in Brüssel unter Schock. In der EU-Hauptstadt, in der Gesetze für rund 450 Millionen Europäer gemacht werden, gehört Lobby-Arbeit selbstverständlich dazu. Nach Angaben des Vereins Lobbycontrol tummeln sich dort etwa 25.000 Lobbyisten in der Stadt. Sie alle versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Doch dieser Fall ist anders, brisanter - und lässt hohe kriminelle Energie vermuten.
Seit mehreren Monaten verdächtigen belgische Ermittler nach Angaben der Staatsanwaltschaft einen Golfstaat, "die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen". Dazu sollen hohe Geldsummen gezahlt oder teure Geschenke an Entscheidungsträger im Parlament gemacht worden sein. Aus Ermittlerkreisen wurde der Deutschen-Presse-Agentur bestätigt, dass es sich bei dem Golfstaat um Katar handelt. Auch die Nachrichtenagentur AFP erhielt diese Information aus mit den Ermittlungen vertrauten Kreisen.
Ein katarischer Regierungsbeamter sagte auf AFP-Anfrage jedoch, seinem Land seien "keine Details über eine Untersuchung bekannt". Jegliche "Behauptung eines Fehlverhaltens des Staates Katar" sei unzutreffend.
Erste Plenarsitzung des EU-Parlaments nach Korruptionsskandal
Das EU-Parlament kommt am Montag in Straßburg zur ersten Plenarsitzung seit Bekanntwerden des Korruptionsskandals zusammen. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola lud die Fraktionsvorsitzenden für den Nachmittag zu einem informellen Treffen ein, bei dem es nach AFP-Informationen "um Kailis Absetzung und weitere Schritte" gehen soll.
Mit Informationen von AFP und dpa
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