Die Bundesregierung will mit einem neuen Medizinforschungsgesetz in großem Maßstab Pharmaforschung und -produktion nach Deutschland zurückholen und die Bundesrepublik wieder zu einem zentralen Standort für den Kampf gegen Krebs, Infektionen und andere schwere Krankheiten machen. Das Medizinforschungsgesetz soll im kommenden Frühjahr in Kraft treten und noch vor Weihnachten vom Bundeskabinett verabschiedet werden.
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Deutschland fällt im internationalen Vergleich zurück
Deutschland sei zwar immer noch gut bei der Grundlagenforschung im Pharmabereich, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Berlin, bei der Zahl der klinischen Studien pro Kopf falle man jedoch zurück - und nicht nur dort.
So würden aus Großbritannien ungefähr zehnmal so viele Patente angemeldet wie aus der Bundesrepublik und es gebe dort ungefähr zwanzigmal so viele Produktionsansiedlungen, fügte Lauterbach hinzu. Auch die Vereinigten Staaten seien eine sehr starke Konkurrenz.
Der Pharmamarkt in Deutschland sei mit 56,5 Milliarden Euro in 2022 immer noch der viertgrößte der Welt, heißt es in einem Strategiepapier der Bundesregierung, aber während der Anteil der Wirkstoffproduktion zugelassener Arzneimittel aus Asien im Jahr 2000 noch bei 30 Prozent gelegen habe, seien es in 2020 schon mehr als 60 Prozent gewesen. Hier drohten problematische Abhängigkeiten.
Pharmaforschung soll schneller und günstiger werden
Das "zentrale Problem" des Pharmastandorts Deutschland seien "sehr langsame Prozesse, die sehr teuer sind", so Lauterbach, besonders was Genehmigungsverfahren angehe. Das geplante Gesetz solle daher unter anderem klinische Studien vereinfachen, beschleunigen und entbürokratisieren, sagte der Bundesgesundheitsminister in Berlin bei der Vorstellung von Eckpunkten für das Gesetz.
Lauterbach zufolge sollen die Verfahren künftig in Musterverträgen vereinfacht und gebündelt werden, um die Vertragsverhandlungen zwischen Unternehmen und Kliniken oder Praxen über klinische Studien abzukürzen. Für alle überregionalen klinischen Studien sei dann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig.
Innerhalb von 25 Tagen solle der Genehmigungsprozess künftig abgeschlossen werden, so Lauterbach. Insbesondere Prüfungen zu Fragen der Ethik, des Strahlen- und des Datenschutzes sollten vereinfacht werden. Das Medizinforschungsgesetz soll zudem die Zustimmungsverfahren in Bund und Ländern und auch die Datennutzung vereinfachen.
Acht Milliarden zusätzliche Wertschöpfung als Ziel
Die Bundesregierung wolle mit dem Medizinforschungsgesetz und flankierenden Maßnahmen etwa im Digitalbereich dafür sorgen, dass es zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von acht Milliarden Euro pro Jahr im Pharmabereich in Deutschland kommt und man zu Ländern wie Großbritannien aufschließt, sagte Lauterbach.
Neben den gesetzlichen Maßnahmen sollen auch Anreize zur Ansiedlung von Produktionen in der EU gesetzt werden, um entsprechende Kapazitäten aufzubauen und gegebenenfalls etwa aus Asien zurückzuholen. So gibt es für Rabattverträge für bestimmte Medikamente die Anforderung, dass 50 Prozent Produkte in der EU produziert worden sein müssen. Vorgesehen ist auch, Start-up-Unternehmen mit steuerlichen Anreizen für Ansiedlungen zu gewinnen.
Die Pharmabranche ist erfreut - und übt Kritik
Am Donnerstag hatte Lauterbach die Pläne bereits der Pharmabranche im Rahmen eines Treffens im Kanzleramt zusammen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vorgestellt. Die in der Strategie genannten Maßnahmen zur Entbürokratisierung, Verbesserung der klinischen Forschung und Digitalisierung seien "richtig und wichtig", hieß es aus Industriekreisen nach dem Gespräch im Kanzleramt.
"Die vorgesehenen Verbesserungen können ihre Potenziale aber nur entfalten, wenn die Sonderabgaben und neue bürokratische Hürden aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beseitigt werden", hieß es. Diese seien auch Gegenstand von Verfassungsbeschwerden verschiedener Unternehmen. Dabei geht es unter anderem um die vom Gesundheitsministerium gewollte Erhöhung der Herstellerrabatte.
Arzneimittelhersteller pochen auf schnelle Entscheidungswege
Schon vor Wochen hatte der Gesundheitsminister angekündigt, dass Forscherinnen und Forscher einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten haben sollen. So sieht das geplante Digitalgesetz die Einführung einer elektronischen Patientenakte für alle Versicherten vor. Wenn die Versicherten nicht widersprechen, sollen die darin gespeicherten Daten pseudonymisiert, bundesweit zusammengeführt und dann auch in die Forschung fließen können.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller begrüßte die Pläne. Die Bundesregierung habe erkannt, dass Pharmaforschung im eigenen Land "elementar" sei. Wenn diese Forschung zunehmend nur noch andernorts stattfinde, wanderten "wichtige Zukunftskompetenzen ab, und mit ihnen wirtschaftliche Chancen", sagte Präsident Han Steutel. Um hier gegenzusteuern, seien "schnellere Entscheidungswege, mehr Zugang zu Gesundheitsdaten sowie landesweit konsistente ethische und Datenschutz-Anforderungen nötig".
Abhängigkeit von Nicht-EU-Ländern soll sinken
Hintergrund der Pharmastrategie ist neben der Befürchtung, dass Wertschöpfung aus Deutschland abwandert, dass Abhängigkeiten etwa von Lieferungen aus Nicht-EU-Ländern verringert werden sollen. Diese Abhängigkeiten waren durch Verlagerung großer Teile der Arzneiproduktion nach China oder Indien zuletzt gewachsen und rückten während der Corona-Pandemie ins öffentliche Bewusstsein. Auch Engpässe bei Husten- und Fiebersäften für Kinder machten deutlich, dass die Produktionskapazitäten in Deutschland knapp geworden sind.
Es gibt jedoch bereits positive Signale für den Pharmastandort Deutschland. Zuletzt hatte der US-Konzern Eli Lilly angekündigt, rund 2,3 Milliarden Euro in ein neues Werk im rheinland-pfälzischen Alzey zu investieren. Lauterbach sprach davon, dass die Regierung von weiteren Ansiedlungsplänen wisse.
Mit Informationen von Reuters und KNA
Im Video: Lauterbach glaubt an bessere Medikamentenversorgung in diesem Winter
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