Es war ein denkbar kurzer Auftritt angesichts der Trageweite dessen, was Christian Lindner (FDP) vergangene Woche angekündigt hat. "Ich betrachte es als meine Aufgabe, jetzt reinen Tisch zu machen", sagte der Bundesfinanzminister in einem kurzfristig angesetzten Statement. Zu den anstehenden Aufräumarbeiten gehört es nach seinen Worten, einen Nachtragshaushalt zu beschließen – in Absprache mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Der Hinweis auf seine Koalitionspartner war dem FDP-Chef offenbar wichtig. Es soll wohl niemand auf den Gedanken kommen, er habe sich das neuerliche Manöver der Ampel allein ausgedacht.
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Lindner: Neue Rechtsklarheit durch Haushaltsurteil
Mit ihrer bisherigen Haushaltspolitik jedenfalls hat die Koalition vor dem Bundesverfassungsgericht einen Totalschaden erlitten. "Es gibt jetzt neue Rechtsklarheit, wie wir mit Sondervermögen und mit Notlagenkrediten umzugehen haben", stellt Lindner fest. Was er unerwähnt lässt: Die vom Karlsruher Gericht beanstandete Umwidmung von Corona-Krediten in Schuldenoptionen für den Klimaschutz war von Anfang an umstritten. So hatte beispielsweise der Bundesrechnungshof schon früh Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens geäußert.
Bedenken, denen sich die Union mit ihrer Klage vor dem Verfassungsgericht anschloss. "Hätte Christian Lindner auf uns gehört [und] vor einem Jahr die Notlage ausgerufen, wäre das alles nicht passiert", macht Bayerns Finanzminister Albert Füracker im BR24-Interview deutlich. Den geplanten Nachtragshaushalt fürs laufende Jahr nennt der CSU-Politiker einen "Versuch zu retten, was hoffentlich noch zu retten ist".
Ampel will Haushalt 2023 reparieren
Tatsächlich will die Ampel mit dem Nachtragshaushalt, den sie an diesem Freitag in den Bundestag einbringt, den Etat für 2023 verfassungsfest machen. Dazu gehört, dass die Schuldenbremse für dieses Jahr doch noch ausgesetzt wird. Das dürfte nach dem Karlsruher Urteil nötig sein, weil sich daraus grundsätzliche Konsequenzen für den Umgang mit schuldenfinanzierten Nebenhaushalten ergeben. Einer dieser Schuldentöpfe ist der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem bisher die Strom- und Gaspreisbremse bezahlt wurde. Rund 43 Milliarden Euro sind in diesem Jahr aus dem WSF geflossen. Geld, das im Lichte des Urteils eigentlich nicht zur Verfügung stand. Diese Milliarden will die Ampel jetzt im regulären Haushalt verbuchen, sodass hier die Neuverschuldung in die Höhe schnellt und die Kreditobergrenze des Grundgesetzes reißt.
Aus diesem Grund soll die Schuldenbremse auch in diesem Jahr ausgesetzt werden – zum vierten Mal nacheinander. Laut Grundgesetz ist das in einer Notlage möglich, auf die der Staat keinen Einfluss hat. Eine solche Notlage kann die Ampel im Alleingang erklären. Anders als bei einer Änderung der Schuldenbremse ist hierfür keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich. Theoretisch könnte die Opposition nun auch gegen den von Rot-Grün-Gelb geplanten Nachtragshaushalt klagen. Äußerungen von Unionspolitikern legen aber nahe, dass CDU und CSU wohl auf einen solchen Schritt verzichten werden.
Wie groß ist das Haushaltsloch 2024?
Wenn Bundestag und Bundesrat den Nachtragshaushalt beschließen, kann die Ampel zumindest ein bisschen aufatmen. Doch die eigentliche Arbeit wartet dann noch auf die Koalition. So fehlt im Entwurf für den Haushalt 2024 noch ein Betrag von 17 Milliarden Euro, wie Lindner vor dem Treffen des Koalitionsausschusses am Mittwoch sagte. Und laut SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kommen noch 13 Milliarden hinzu – Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF), dessen Finanzierung das Gericht beanstandet hatte.
Muss die Ampel also mit Blick auf nächstes Jahr ein Haushaltsloch von 30 Milliarden stopfen? Das Bundesfinanzministerium antwortet auf BR24-Anfrage: "Wir können keine Zahlen bestätigen. Der Wirtschaftsplan des KTF wird jetzt überarbeitet." Bestehende Verpflichtungen werden demnach erfüllt. Darüber hinaus müsse aber priorisiert werden. Das lässt sich so übersetzen, dass der Bund erfolgte Zusagen zu KTF-Fördermitteln einhalten wird, aber zunächst keine weiteren eingehen kann. Das Problem könnte also schon im kommenden Jahr größer sein, als es der von Lindner genannte Betrag nahelegt.
Haushaltskrise: Ampel fährt auf Sicht
Schaut man weiter in die Zukunft, klafft ohnehin das vielzitierte 60-Milliarden-Loch im Klimafonds – einschließlich der von Kühnert erwähnten Milliarden. Der Fonds ist so angelegt, dass damit über mehrere Jahre hinweg beispielsweise große Vorhaben für den klimaneutralen Umbau der Industrie finanziert werden sollen. Ein Schlüsselvorhaben der Ampel. Für welche Projekte in den kommenden Jahren noch Geld da ist, dürfte sich im Laufe der nächsten Wochen klären. Jetzt will die Ampel erst einmal den Haushalt für dieses Jahr in Ordnung bringen. Die Koalition fährt auf Sicht.
Im Audio: Wie die AfD die Haushaltskrise bewertet
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