Steht dem Erzbistum Köln eine Klagewelle ins Haus? Nachdem das Landgericht einem früheren Messdiener 300.000 Euro zugesprochen hat, klagt eine weitere Missbrauchsbetroffene auf Schmerzensgeld.
Eine Pflegetochter des inzwischen aus dem Klerikerstand entlassenen Priesters U. fordert eine Entschädigung von 830.000 Euro, bestätigte ein Sprecher des Landgerichts Köln am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA nach entsprechenden Medienberichte. Beim Erzbistum Köln sei die Klageschrift bisher nicht eingegangen, hieß es von dort.
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Pflegetochter von Ex-Priester vielfach missbraucht
Der Priester U. war im Februar 2022 vom Landgericht Köln zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hatte von 1993 bis 2018 neun Mädchen in Gummersbach, Wuppertal und Zülpich teils schwer sexuell missbraucht. Das jüngste Opfer war erst neun Jahre alt.
Die heute 56-Jährige sei von ihrem Pflegevater in den späten 70er und frühen 80er Jahren vielfach aufs Schwerste missbraucht worden, berichten der "Kölner Stadt-Anzeiger" und der WDR. Eine ihr nach eigenen Angaben nicht bewusste Schwangerschaft sei durch einen gynäkologischen Eingriff beendet worden, dessen Ziel U. und der Frauenarzt ihr verheimlicht hätten. Bei der zweiten Schwangerschaft habe sie sich selbst für einen Abbruch entschieden.
Fall strafrechtlich als auch zivilrechtlich verjährt
Allerdings ist ihr Fall sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich verjährt. Um den Prozess um die Schmerzensgeldforderung führen zu können, müsste das Erzbistum Köln darauf verzichten, die Verjährungsfrist geltend zu machen.
Der Anwalt der Pflegetochter, Eberhard Luetjohann, der bereits in einem weiteren Missbrauchsfall im Kölner Erzbistum 300.000 Euro Schmerzensgeld für seinen Mandanten erstritten hatte, sieht das Erzbistum wegen mangelnder Kontrolle in der Haftung. Das Gericht könne feststellen, "dass die Kirche rechtsmissbräuchlich gehandelt" habe, sagte Luetjohann im Interview mit der "Zeit" (Donnerstagsausgabe). "In diesem Fall greift die Verjährung gar nicht."
Anwalt: Kardinal Woelki reagierte nicht auf Brief
Er habe den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki bereits vergangenes Jahr angeschrieben, um eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. "Er hat nicht reagiert, und auch sonst niemand", sagte der Anwalt nun. Mittlerweile hätten sich rund 250 Missbrauchsbetroffene aus den Bistümern Köln, Essen und Trier an ihn gewandt.
Kirchenrechtler räumt Klage hohe Erfolgsaussichten ein
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller räumt der Klage hohe Erfolgsaussichten ein. "Die Vergehen und die kirchlichen Versäumnisse sind gut dokumentiert", sagte er dem "Stadt-Anzeiger". Den katholischen Bistümern und evangelischen Landeskirchen stehe "eine Klagewelle" bevor, weil sich immer mehr Betroffene ermutigt sähen, für ihre Rechte vor staatliche Gerichte zu ziehen.
Wenn sich die Rechtsprechung des Landgerichts Köln verstetige und Betroffene künftig hohe sechsstellige Summen zugesprochen bekämen, "droht finanzschwachen Bistümern bald die Insolvenz", prognostiziert Schüller.
Weiterer Prozess in Traunstein
Ein weiterer Schmerzensgeldprozess ist derzeit am Landgericht Traunstein anhängig. Hier fordert ein Missbrauchsbetroffener vom Erzbistum München und Freising 300.000 Euro sowie vom mutmaßlichen Täter weitere 50.000 Euro. In einer ersten Verhandlung im Juni kam es zu keiner Einigung. Das Verfahren gegen den verstorbenen Papst Benedikt XVI. in seiner Funktion als früherer Münchner Erzbischof Kardinal Joseph Ratzinger wurde abgetrennt.
Nun will das Gericht am Freitag mitteilen, wie es in dem Verfahren weitergeht, ob etwa erneut ein Gutachter erörtern muss, inwieweit die Suchtprobleme des Klägers ihre Ursache in dem Missbrauch durch den Priester in den 1990er Jahren in Garching an der Alz haben. Ob dieses Jahr noch ein Urteil in dem Verfahren fällt, ist fraglich.
Mit Informationen von dpa, KNA, AFP und epd
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