Die Nummer Zwei der islamistischen Palästinenser-Organisation Hamas ist getötet worden.
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Nach Tod von Hamas-Anführer: Eskaliert die Lage in Nahost?

Die Tötung eines Anführers der islamistischen Hamas im Libanon durch einen Drohnenangriff bringt offenbar eine weitere Eskalation des Konflikts im Nahen Osten. Hamas und der Iran scheinen bereit dazu, international wächst die Besorgnis.

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Nach dem Tod eines hochrangigen Hamas-Anführers blicken Beobachter besorgt auf die Lage im Nahen Osten: Der stellvertretende Hamas-Chef Saleh al-Aruri wurde am Dienstag bei einem Drohnen-Angriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet. Der Radiosender der radikal-islamischen Hamas Al-Aksa und der libanesische Sender Majadin bestätigten Angaben aus Sicherheitskreisen, nach denen al-Aruri bei einem israelischen Angriff auf ein Hamas-Büro im Süden Beiruts ums Leben kam, ebenso die Kommandeure der Kassam-Brigaden, Samir Findi Abu Amer und Assam Al-Akraa Abu Ammar.

Obwohl er als weniger einflussreich als die Hamas-Anführer im Gazastreifen galt, war al-Aruri eine Schlüsselfigur der Gruppierung. Israel hatte ihn wiederholt beschuldigt, Angriffe der Hamas im Westjordanland angeordnet zu haben. Im Nahen Osten sehen viele daher in Israel den Drahtzieher hinter dem Angriff, eine Eskalation des Gaza-Konflikts droht.

Israel: Nur ein "chirurgischer Schlag"

Nach dem Tod al-Aruris zeigten sich Israels Armeeführung und Regierung bestrebt, eine Beteiligung an der Attacke im Unklaren zu lassen. Der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, antwortete auf die Frage, ob Israel hinter der Attacke stecke, lediglich: "Wir sind darauf konzentriert, Hamas zu töten." Man sei aber in hoher Alarmbereitschaft, um auf mögliche Racheakte zu reagieren.

Der Sicherheitsberater von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, Mark Regev, zeigte sich bemüht, die Angelegenheit herunterzuspielen. Israel habe sich nicht offiziell zu dem Anschlag bekannt, betonte er gegenüber dem TV-Sender MSNBC: "Aber wer auch immer es getan hat, es muss klar sein – dies war kein Angriff auf den libanesischen Staat", sagte Regev. Es habe sich um einen "chirurgischen Schlag gegen die Hamas-Führung" gehandelt.

USA hatten Kopfgeld ausgesetzt

Wie später bekannt wurde, hatten die USA ein Kopfgeld in Höhe von fünf Millionen US-Dollar (4,5 Mio Euro) auf den getöteten Hamas-Anführer ausgesetzt. Eine Belohnung bis zu dieser Höhe versprach das US-Außenministerium für Hinweise zu al-Aruri. Die USA stufen Hamas wie die EU als Terrororganisation ein. Das Kopfgeld war bereits 2018 angekündigt worden, im Rahmen des Programms "Rewards for Justice".

Hisbollah kündigt Vergeltung an

Die Hisbollah-Miliz hingegen, die Israel schon seit Beginn des Gaza-Krieges wiederholt aus dem Libanon angegriffen hatte, machte umgehend Israel für den Tod Al-Aruris verantwortlich und kündigte eine blutige Antwort an: "Dieses Verbrechen wird niemals ohne Antwort oder Strafe vorübergehen", ließ die Hisbollah in Beirut verlauten. Ihre Kämpfer seien "in höchster Stufe der Bereitschaft", teilte die Miliz mit. Auch Libanons Ministerpräsident Nadschib Mikati sprach von einem israelischen Verbrechen und vom Versuch, den Libanon in den Gaza-Krieg hineinzuziehen.

Hamas und Iran setzen auf Ausweitung des Konflikts

Die erste Reaktion von Hamas-Chef Ismail Hanijeh lässt vermuten, dass ihm genau diese Entwicklung entgegenkäme. Er betonte, der Mord an al-Aruri sei nicht nur ein "terroristischer Akt", sondern auch eine Verletzung der Souveränität des Libanon.

Die iranische Regierung, die beide radikal-islamischen Gruppierungen unterstützt, erklärte ebenfalls ihre Bereitschaft zu einer Eskalation des Konflikts: Der Tod al-Aruris werde nicht nur im Gazastreifen den Kampf gegen die "zionistischen Besatzer" neu entfachen, sondern auch in der gesamten Region, hieß es in Teheran.

Verstärkte Angriffe auf Israel

Die schiitische Hisbollah gilt als militärisch deutlich schlagkräftiger als die Hamas, ein umfassendes Eingreifen der Miliz in den Gaza-Krieg könnte israelische Kräfte an der Nordgrenze binden. Noch am Abend unternahm die Hisbollah nach ihren eigenen Angaben einen ersten Angriff auf eine Gruppe israelischer Soldaten nahe der Grenze. Dabei habe es Tote und Verletzte gegeben. Israelischen Medienberichten zufolge rechnet die Armee nun auch mit Beschuss von Raketen größerer Reichweite.

Wie die Hamas soll die Hisbollah zudem über ein Tunnelsystem verfügen, das noch weit ausgefeilter sein könnte als das im Gazastreifen. Die unterirdischen Tunnel verliefen im Süden Libanons über Hunderte Kilometer bis zur Grenze nach Israel hinein, zitierte die "Times of Israel" am Dienstag den Geheimdienstexperten Tal Beeri. Er vermutet, dass die radikal-islamische Organisation mithilfe des Tunnelsystems weitere Angriffe auf israelische Truppen in Grenznähe ausführen will.

Attacke in Beirut beendet vorerst Gespräche über neuen Geisel-Deal

Eine weitere Folge der Tötung al-Aruris ist – neben den massiveren Attacken der Hisbollah – offenbar auch das vorläufige Ende der Verhandlungen über eine Freilassung weiterer israelischer Geiseln im Gazastreifen.

Die Gespräche über ein mögliches neues Geisel-Abkommen zwischen den Kriegsparteien sind laut der Zeitung "Haaretz" infolge der Attacke zum Stillstand gekommen. Die Verhandlungen konzentrierten sich nun darauf, eine Eskalation zwischen Israel und dem Libanon zu verhindern, meldete die israelische Zeitung unter Berufung auf arabische Diplomatenkreise. Das "Attentat" habe die Situation verändert.

Internationale Besorgnis vor Ausweitung des Konflikts

Dass diese veränderte Situation tatsächlich zu einer Ausweitung des Konflikts führen könnte, wird in vielen Hauptstädten befürchtet, wobei auch westliche Regierungen durchblicken lassen, dass sie hierbei eine Mitverantwortung Israels sehen.

So forderte der französische Präsident Emmanuel Macron die israelische Regierung auf, "jedes eskalierende Verhalten, insbesondere im Libanon, zu vermeiden". Das teilte der Élysée-Palast in Paris nach einem Telefonat Macrons mit Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, mit. Frankreich werde diese Botschaften der Zurückhaltung weiterhin an alle direkt oder indirekt beteiligten Akteure in dem Gebiet weitergeben, hieß es.

Hisbollah-Chef plant Rede

Ob tatsächlich schon kurzfristig eine Eskalation des Nahost-Konflikts droht, könnte sich schon heute Abend zeigen: Hassan Nasrallah, der in Beirut residierende Chef der Hisbollah, hat eine Ansprache angekündigt.

Mit Informationen von dpa und Reuters

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