Sie soll der bayerischen Polizei bei der Aufklärung von schweren Straftaten helfen: eine Software der US-Firma Palantir. Das bayerische Innenministerium will das Programm im Rahmen eines neuen Analysesystems namens VeRA einsetzen. Es ist in der Lage, verschiedene Polizei-Datenbanken zu verbinden und automatisiert auszuwerten, um so beispielsweise bislang verborgene Querverbindungen zu entdecken. Kritiker befürchten, dass der Einsatz der Software datenschutzrechtliche Grundsätze verletzen könnte.
- Zum Hintergrund: Palantir-Einsatz in Hessen und Hamburg derzeit verfassungswidrig
Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks testet das Landeskriminalamt die Analyse-Software schon seit Monaten mit Echtdaten von Personen. Das bayerische Innenministerium bestätigt auf Anfrage, dass der Testbetrieb seit März dieses Jahres läuft. Die Staatsregierung sieht das Vorgehen durch das bayerische Datenschutzgesetz gedeckt.
Datenschutzbeauftragter sieht Klärungsbedarf
Der Landesbeauftragte für Datenschutz, Thomas Petri, hat von diesem Testbetrieb durch eine Anfrage des BR erfahren. Petri hat Zweifel, dass es für den testweisen Einsatz der Polizeisoftware von Palantir mit echten Personendaten eine rechtliche Grundlage gibt. So wäre es zum Beispiel möglich, dass die Polizei bei einem Testbetrieb Hinweise auf Straftaten erhält: "Wenn das der Fall ist, dann unterliegt die Polizei dem sogenannten Legalitätsprinzip. Das heißt, sie muss diesen Straftaten auch nachgehen. Und dann wird der Testbetrieb zum veritablen rechtlichen Problem, weil die Polizei ja eigentlich nicht die Rechtsgrundlage hat, VeRA zu betreiben."
Sind Änderungen im Polizeiaufgabengesetz für Testbetrieb nötig?
Erworben hat der Freistaat die neue Polizeisoftware von Palantir schon im vergangenen Jahr. Zum Einsatz in der Verbrechensbekämpfung kam das Programm bislang nicht. Dazu muss der Landtag erst das Bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) ändern. Laut Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern ist die Analyse-Plattform VeRA ein "entscheidender Baustein" für eine erfolgreiche Polizeiarbeit. Deshalb sollen in Bayern jetzt die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden. Notwendig ist die Gesetzesänderung, weil das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Februar entschieden hat, dass automatisierte Datenanalysen auch bei der Polizeiarbeit nur in engen Grenzen erlaubt sind.
Der bayerische Datenschutzbeauftragte Petri hat nach eigenen Angaben bisher keine Kenntnis, wie der Testbetrieb abläuft. Er will das Vorgehen des Landeskriminalamtes jetzt prüfen, insbesondere, ob eine rechtliche Befugnis vorweggenommen wird: "Wir sind uns nicht im Klaren darüber, was die Polizei genau macht. Und deswegen müssen wir das formal überprüfen."
Innenministerium verteidigt Testbetrieb
Das bayerische Innenministerium dagegen ist der Ansicht, dass ein Testbetrieb auch ohne Änderungen im Polizeiaufgabengesetz möglich ist. Schriftlich teilt das Ministerium mit: "Die testweise Datenverarbeitung wird nicht für polizeiliche Zwecke genutzt, sie dient lediglich der internen Prüfung der Anwendung. Eine gesonderte Rechtsgrundlage im PAG ist nicht erforderlich."
Laut bayerischem Innenministerium wird die neue Analyse-Software von Palantir mit Daten aus sechs polizeilichen Ermittlungssystemen getestet. Darunter sind umfangreiche Datenbanken wie der Fahndungsbestand INPOL-Land, aber auch das Programm zur Bearbeitung von Verkehrswidrigkeiten.
Opposition und Rechtsexperte halten Testbetrieb für problematisch
Der SPD-Landtagsabgeordnete Horst Arnold hat vom Testbetrieb ebenfalls erst durch den BR erfahren. Er hält das Vorgehen des Landeskriminalamts für "rechtlich äußerst grenzwertig". Denn personenbezogene Daten dürften nur zu dem Zweck verwendet werden, zu dem sie erlangt worden sind: "Ob Zeugen, Geschädigte oder Tatverdächtige, diese Daten sind nur dann zu heben, wenn eine gesetzliche Grundlage dafür vorhanden ist. Man spricht auch von einer Zweckbindung. Probebetrieb als Zweckbindung ist im Gesetz bislang nicht bekannt." Horst Arnold kündigt im BR-Interview an, die SPD werde den Vorgang im Landtag thematisieren.
Professor Mark Zöller, Experte für Strafrecht und Digitalisierung von der Ludwig-Maximilians-Universität München, hält das Vorgehen von Polizei und Ministerium für "juristisch schlicht rechtswidrig". Er argumentiert: "Wenn es um Datenverarbeitung und die Polizei geht, dann muss man entsprechende Ermächtigungsgrundlagen im Polizeirecht selber schaffen und darf nicht auf irgendeine Querschnittsmaterie wie zum Beispiel das allgemeine Datenschutzrecht ausweichen."
Bundesweiter Einsatz weiter fraglich
Insgesamt hat Bayern für die geplante Einführung der Palantir-Software nach Angaben des Innenministeriums bereits rund 13,4 Millionen Euro ausgegeben. Der Rahmenvertrag des Freistaats ermöglicht es anderen Bundesländern und dem Bund, die Software ohne eigene Ausschreibung zu bestellen.
Vergangenen Juni konnten sich Bund und Länder jedoch nicht einigen, die Analyse-Software bei Polizeien in ganz Deutschland zu nutzen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lehnte den Einsatz der Palantir-Software bei der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt ab.
Über eine bundesweite Einführung der Palantir-Software für die Polizeiarbeit will morgen der Deutsche Bundestag debattieren. CDU/CSU und AfD haben jeweils einen Antrag vorgelegt. Auf Vorschlag von Hessen wird sich nach BR-Informationen auch die nächste Innenministerkonferenz Anfang Dezember mit dem Thema befassen.
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