Ganz ruhig sitzt Olaf Scholz auf der Regierungsbank und schaut in den Plenarsaal. Wenige Meter von ihm entfernt gibt sich Friedrich Merz alle Mühe, irgendeine Gemütsäußerung des Kanzlers zu provozieren. Der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nennt Scholz einen "Klempner der Macht": Auf "hochpolitische" Fragen habe der Kanzler in seiner Regierungserklärung "rein technische Antworten" vorgetragen, ätzt Merz.
Scholz verfolgt den Auftritt des Oppositionsführers mit versteinerter Miene. Auch dann noch, als ein Amtsvorgänger wie Gerhard Schröder wohl längst aus der Haut gefahren wäre. "Sie können es nicht", ruft Merz dem aktuellen Regierungschef mit strengem Blick zu. Und schiebt mit Blick auf legendäre SPD-Kanzler wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt nach: "Die Schuhe, in denen Sie stehen als Bundeskanzler, die sind Ihnen mindestens zwei Schuhnummern zu groß."
Da greift Scholz dann doch zum Wasserglas, das vor ihm auf dem Tisch steht. Eine weitere Regung aber bleibt aus: Sollten ihn die Beschimpfungen des CDU-Chefs getroffen haben, lässt es sich der SPD-Politiker nicht anmerken.
Bisher nur sparsame Erklärungen von Scholz zur Haushaltskrise
Mit demselben Gleichmut hat Scholz zu Beginn der Bundestagssitzung an diesem Dienstag eine Regierungserklärung abgegeben, auf die der politische Betrieb in Berlin seit Tagen gewartet hat. Seitdem das Verfassungsgericht die Haushaltspolitik der Ampel vor knapp zwei Wochen auf den Kopf gestellt hat, war zunächst nicht viel vom Kanzler zu hören – abgesehen von ein paar knappen Statements.
Jetzt gibt ihm die Tagesordnung des Bundestags volle 25 Minuten, um die Gründe für die Haushaltskrise zu erläutern und Wege aufzuzeigen, wie das Land sie heil überstehen kann. Doch wer sich konkrete Vorschläge für eine rechtssichere Finanzpolitik in einer krisengeplagten Welt erhofft hatte, wird enttäuscht.
Wichtiger war Scholz offensichtlich, die Karlsruher Entscheidung als einen historischen Wendepunkt zu beschreiben. Vergleichbar vielleicht mit der Zeitenwende nach dem russischen Angriffskrieg, auch wenn er selbst diesen Begriff im Zusammenhang mit dem Haushaltsurteil nicht verwendet.
Scholz sieht nach Karlsruher Urteil "neue Realität"
Also versucht er es mit einem anderen Begriff: Das Verfassungsgericht habe eine "neue Realität" geschaffen – mit strengen Regeln für den Umgang mit Staatsschulden, die es aus Sicht von Scholz in dieser Klarheit bis dato nicht gegeben hat. Und er räumt ein: "Mit dem Wissen um die aktuelle Entscheidung hätten wir im Winter 2021 andere Wege beschritten."
Der Satz ist wohlformuliert. Er kommt im Gewand eines Fehlereingeständnisses daher, beinhaltet aber letztlich eine Binse: Hätte die Ampel schon damals gewusst, dass das Verfassungsgericht die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds kassieren würde, hätte sie die Finger davongelassen.
Das Problem: Es gab schon früh Hinweise darauf, dass die Umwidmung von Corona-Krediten für den Klimaschutz einer gerichtlichen Überprüfung womöglich nicht standhält. Daran erinnert zum Beispiel CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Ampel: "Sie haben alle Warnungen außer Acht gelassen." So hatte etwa der Bundesrechnungshof Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des später beklagten Finanzierungskonstrukts angemeldet. Deshalb hätte sich Dobrindt von der Koalition ein Wort des Bedauerns gewünscht.
Im Video: Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke zur Regierungserklärung
Grüne äußern Bedauern über bisherige Haushaltspolitik
Das gibt es in der Debatte durchaus. Allerdings ist es nicht der Kanzler, der sich dazu durchringt. Sondern Katharina Dröge, die Fraktionschefin der Grünen. Das Urteil aus Karlsruhe sei eindeutig: Das damalige Manöver der Koalition sei rechtlich nicht zu halten. "Das haben wir als Regierung gemeinsam falsch eingeschätzt und das bedauern wir", sagt Dröge und verspricht: "Das räumen wir jetzt auf."
Wie genau die Ampel Ordnung ins Haushaltschaos bringen will, das ist auch nach dieser Parlamentsdebatte nur in Umrissen zu erkennen. Ein Nachtragshaushalt fürs laufende Jahr ist bereits auf dem Weg, die Verhandlungen zum Etat fürs kommende Jahr sind in vollem Gange. Scholz zufolge geht es jetzt darum, "vorhandene Spielräume im Haushalt auszuloten, Schwerpunkte zu setzen und natürlich auch Ausgaben zu beschränken". Letzteres riecht ein wenig nach Sozialkürzungen, weshalb sich in der SPD-Fraktion an dieser Stelle keine Hand rührt, während aus den beiden anderen Ampel-Fraktionen Beifall kommt.
Haushaltskrise: Scholz versucht es mit der Beruhigungspille
Auch wenn sich der Kanzler angesichts schwieriger Gespräche in der Koalition nicht auf einen bestimmten Weg festlegt, wird doch klar: Er erwartet von allen drei Parteien Zugeständnisse. Nur den Bürgerinnen und Bürgern will Scholz nach wie vor nicht allzu viel zumuten. Möglicherweise aus Angst, es könnten dann noch mehr Stimmen ins Protestlager wandern. Und so versichert er: "Der Staat wird seinen Aufgaben weiterhin gerecht." Ob Kindergeld, Rente oder Wohngeld: Durch das Haushaltsurteil ändere sich im Alltag der Menschen nichts, so Scholz.
Solche Worte passen gut zum Selbstverständnis von Scholz. Er versteht es als seine Aufgabe, im Angesicht zahlreicher Krisen Ruhe und Besonnenheit auszustrahlen. Eine Beruhigungspille war diese Regierungserklärung allemal. Doch noch ist völlig unklar, wie die Ampel solide Finanzen mittelfristig mit Modernisierung und Klimawende in Einklang bringen will. Und solange diese Frage ungeklärt ist, dürfte die Wirkung einer solchen Pille begrenzt sein.
Interview: Söder über Regierungserklärung des Kanzlers
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!