07.03.2023, Irak, Bagdad: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, nimmt neben dem Außenminister des Irak an einer Pressekonferenz teil. Baerbock hält sich zu einer mehrtägigen Reise im Irak auf. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Außenministerin Baberbock im Irak

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Nord-Stream-Ermittlungen: Berlin warnt vor verfrühten Schlüssen

Nord-Stream-Ermittlungen: Berlin warnt vor verfrühten Schlüssen

Die ARD-Recherchen in Sachen Nord Stream haben es in sich. Dass nun eine Spur in die Ukraine führt, dürfte in Berlin viele überrascht haben. Entsprechend vorsichtig reagiert die Bundesregierung auf die bisherigen Ermittlungsergebnisse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Ende September vergangenen Jahres: Bilder der brodelnden Ostsee gehen um die Welt. Vor allem im Westen verfolgen viele die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines und das ausströmende Gas mit Entsetzen. War es ein Anschlag? Und wenn ja: Wer steckt dahinter? Fragen, die die Ermittler bis heute beschäftigen. Doch zeigen Recherchen der ARD und der Wochenzeitung "Die Zeit", dass die Untersuchungen vorankommen – und das wird in Berlin aufmerksam verfolgt.

Nach Pipeline-Explosionen: Spur führt in die Ukraine

"Ich habe das mit großem Interesse gelesen", sagt Verteidigungsminister Boris Pistorius zu den Recherchen. Demnach gibt es jetzt eine erste Spur – und sie führt in die Ukraine. Denn die mutmaßlichen Attentäter sollen mit einem Boot unterwegs gewesen sein, das offenbar von einer Firma mit ukrainischen Besitzern angemietet wurde. Das allerdings beweist nicht, dass der Auftrag wirklich aus Kiew kam.

War es ein Manöver unter falscher Flagge?

Der SPD-Politiker erinnert daran, dass manche Fachleute auch eine Operation unter falscher Flagge für möglich halten. Also ein Manöver, bei dem Spuren gelegt werden, die in die falsche Richtung weisen. Mit dem Ziel, anderen die Sache in die Schuhe zu schieben – in diesem Fall der Ukraine. Ein alter Geheimdienst-Trick. Der Verteidigungsminister warnt jedenfalls davor, jetzt schon politische Schlüsse aus den Recherchen zu ziehen.

Nord-Stream-Ermittlungen: Baerbock warnt vor voreiligen Schlüssen

Vor verfrühten Schlussfolgerungen warnt auch Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen. Es mache gerade die "Stärke eines Rechtsstaats" aus, dass die zuständigen Behörden "ihre Ermittlungen zu Ende führen", bevor die Regierung die Ergebnisse gegebenenfalls politisch bewertet.

Für die Ermittlungen in Sachen Nord Stream ist in Deutschland die Bundesanwaltschaft zuständig. Inzwischen hat die Behörde auf die jüngsten Berichte reagiert und mitgeteilt, dass im Januar ein verdächtiges Schiff durchsucht wurde. Der Grund: Möglicherweise wurde das Schiff dafür verwendet, die nötigen Sprengsätze zu den Pipelines zu transportieren. Man könne aber nichts Belastbares dazu sagen, wer die Täter sind und ob sie möglicherweise ein Staat beauftragt hat, so die Ermittler.

"Die Auftraggeber sind die große Unbekannte", sagt ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg im BR24-Gespräch. Dabei ist nach seiner Einschätzung gerade die Frage, welcher Staat womöglich für die Beschädigung der Pipeline verantwortlich ist, politisch brisant. Bis zu diesem Punkt seien die Ermittler aber noch nicht vorgedrungen.

Pipeline-Explosionen: "kleines Kommando, große Wirkung"

"Das Ganze wirkt wie eine Geschichte aus einem Spionagethriller", findet Götschenberg. Insgesamt sei die Operation, wie die Ermittler sie rekonstruiert hätten, "deutlich kleiner und banaler", als man ursprünglich vermutet habe. Doch so könne es am Ende gewesen sein: "Kleines Kommando, kleines Boot, große Wirkung."

Angesichts der offenen Fragen hofft der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, dass die weiteren Ermittlungen "Licht ins Dunkel" bringen – vor allem mit Blick darauf, wer hinter den Explosionen an den Pipelines steckt. "Ich habe keine Lust mehr, mir ständig diese Verschwörungstheorien anzuhören", sagt Roth im Interview mit den Sendern RTL und ntv.

Opposition kritisiert Regierungskommunikation im Fall Nord Stream

Allerdings trägt die Regierung aus Sicht der größten Oppositionsfraktion gerade nicht dazu bei, die Diskussion zu versachlichen – im Gegenteil: "Leider leistet das intransparente Vorgehen der Bundesregierung Spekulationen in alle Richtungen Vorschub", sagt der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter dem ARD-Hauptstadtstudio. Kritik kommt auch von der AfD.

Co-Fraktionschefin Alice Weidel schreibt auf Twitter, die Regierung betreibe "die Aufklärung des Anschlags auf die Energie-Infrastruktur Deutschlands nur halbherzig". Auf Vorwürfe wie diese reagiert die Regierung mit dem Hinweis, dass es nun einmal Sache der Bundesanwaltschaft sei zu ermitteln – und gegebenenfalls über Ergebnisse zu informieren. Nach einer Stellungnahme zu den Ermittlungen gefragt, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen: "Ich darf Ihnen dazu nichts sagen!"

Die ukrainische Regierung versichert nach Bekanntwerden der bisherigen Ermittlungsergebnisse, dass sie mit der Sache nichts zu tun habe. Dass ukrainischen Spezialkräften so ein Einsatz zugetraut wird, sei zwar "eine Art Kompliment", sagt Olexij Resnikow, der Verteidigungsminister des Landes in einem Anflug von Ironie. "Aber das ist nicht unser Tätigkeitsfeld."

Neue Diskussion über Waffenlieferungen?

Soweit die offizielle Kommunikation der Regierung in Kiew. Tatsächlich dürfte man die Recherchen dort aber nicht ganz so gelassen sehen, wie es die Äußerungen des Ministers nahelegen. Denn allein der Umstand, dass die Spur in die Ukraine führt, könnte in Berlin die Diskussion über die Richtigkeit von Waffenlieferungen neu entfachen.

Und so beeilt sich Michael Roth, die Diskussion einzufangen, noch bevor sie Fahrt aufnimmt. Auf die Frage, ob die bekanntgewordenen Ermittlungsergebnisse die deutschen Hilfen für Kiew gefährden, antwortet der SPD-Politiker knapp: "Nein." Deutschland werde die Ukraine weiter unterstützen: politisch, wirtschaftlich – und militärisch.

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