Die Lebensmittelpreise werden steigen. Die Versorgung ist aber gesichert. So die schlechte und die gute Nachricht aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Berlin. Doch auch, wenn wir in Deutschland genügend Getreide haben – der Krieg Russlands gegen die Ukraine bedeutet für uns alle eine Zeitenwende. Welche Auswirkungen hat er auf die Landwirtschaft hierzulande? Was wird aus den Plänen der EU, Flächen stillzulegen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren? Was aus dem geplanten Ausbau des Bio-Landbaus in Deutschland? Das alles wollten wir wissen von der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Manuela Rottmann.
- Aktuelle Entwicklungen im Russland-Ukraine-Krieg im News-Ticker
Weltweit: "Wirbelsturm des Hungers"
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Sanktionen des Westens gegen Russland haben enorme Auswirkungen auf die Entwicklung der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt. Aus Russland und der Ukraine stammen 30 Prozent der weltweiten Getreideexporte. Der Krieg könne einen "Wirbelsturm des Hungers und einen Zusammenbruch des globalen Ernährungssystems" zur Folge haben, warnte UN-Generalsekretär Antonio Guterres.
Die Preise für Getreide und pflanzliche Öle sind bereits angestiegen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) könnte die Zahl der unterernährten Menschen aufgrund des Ukraine-Kriegs in diesem und im nächsten Jahr um acht bis 13 Millionen ansteigen. Die USA, Indien und Europa könnten zwar die Weizenexporte ersetzen. Bei Sonnenblumenöl und Mais könnte dies allerdings schwierig werden - hier ist die Ukraine der größte beziehungsweise viertgrößte Exporteur der Welt.
Deutschland: Preise rauf, Versorgung gesichert
Die Krise wird auch uns treffen, allerdings weit weniger dramatisch, ist sich Manuela Rottmann sicher. Natürlich werde sich Deutschland nicht abkoppeln können von der Entwicklung der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt, so die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium: "Auch unsere Landwirtschaft ist vernetzt, importiert Düngemittel von woanders, importiert Pestizide, ist abhängig auch von Diesel. Und deswegen müssen wir mit steigenden Preisen rechnen. Aber beispielsweise beim Weizen produziert die EU deutlich mehr als sie selber verbraucht. Also wir können davon ausgehen, dass wir keine Versorgungsprobleme bekommen."
Ökologische Vorrangflächen bewirtschaften
Angesichts des Krieges in der Ukraine und knapper werdender Lebensmittel stimme das Bundeslandwirtschaftsministerium jedoch einer Nutzung ökologischer Vorrangflächen in Deutschland zu, so Staatssekretärin Rottmann. Dies sei eine "vernünftige Lösung", die aber den Artenschutz trotzdem beibehalte. So soll auf ökologischen Vorrangflächen der Aufwuchs verwendet werden dürfen. Damit könne ein Beitrag zur Futterversorgung geleistet und die Wirkungen der steigenden Futtermittelpreise für die Landwirtinnen und Landwirte abgemildert werden.
Dies betrifft nach Angaben des Ministeriums bei den sogenannten Zwischenfrüchten eine Fläche von 1,06 Millionen Hektar. Hinzu kommen Brachen auf einer Fläche von 0,17 Millionen Hektar. Was auf diesen Flächen aufwächst, darf normalerweise nicht genutzt werden, sondern wird untergepflügt für die Bodenverbesserung.
Brachen erhalten – Artenschutz nicht "verschieben"
Brachen dürfen demnach nur für Futterzwecke abgemäht werden. Sie umzubrechen, um sie landwirtschaftlich zu nutzen, hält Rottmann dagegen für den falschen Weg. Die Landwirtschaft sei auch abhängig von den Arten, die wir in unserer Flur brauchten: "Jetzt zu sagen, wir verschieben den Artenschutz, wird nicht funktionieren. Eine Art, die einmal ausgestorben ist, kann man im Labor nicht wieder neu züchten." Deutschland brauche eine artenreichere Flur und auch mehr Arten in der Landwirtschaft. Dieses Ziel wolle man nicht aufgeben.
Brachen erfüllten einen wichtigen Zweck gerade auch im Sinne der Landwirtschaft. Brachen zu nutzen, so Rottmann, heiße nicht automatisch, dass sich die Landwirtschaft stabilisiere. Das Gegenteil sei richtig: "Wenn man diskutieren will, was wir da aus der Nutzung nehmen, dann sind es ja nicht einfach irgendwelche Flächen, die wir gar nicht bestellen, sondern es geht auch um Hecken, um Strukturen in der Landwirtschaft. Und da sind sich alle einig, dass wir das brauchen, auch um die Böden zu stabilisieren, um unsere Ertragssicherheit sicherzustellen."
Weniger Pflanzenschutzmittel
Angesprochen auf die von der EU geplante Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent bis 2030 sagt Rottmann, diese könne auch dazu beitragen, die Abhängigkeit Deutschlands und Europas zu verringern: "Der weltweit größte Exporteur von Pflanzenschutzmitteln ist China – auch kein unproblematisches Regime. Und wir haben ja während Corona gemerkt, wie problematisch es ist, bei wesentlichen Grundstoffen von China abhängig zu sein." Wer gelernt habe, mit weniger Pflanzenschutzmitteln zu arbeiten, der sei auch weniger abhängig vom Weltmarkt und damit krisenresistenter.
Mehr Forschung für bessere Erträge
Dies müsse man auch gezielt fördern: "Wir müssen in die Forschung investieren, da bin ich fest davon überzeugt, gerade im Ökolandbau die Erträge weiter erhöhen. Aber runterzukommen von dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, halte ich auf Dauer für die verlässlichere Perspektive für unsere Landwirtschaft."
Unabhängiger durch Ökolandbau
Am Ausbau des Ökolandbaus führt laut Rottmann langfristig kein Weg vorbei. Das liege vor allem daran, dass viele Bio-Betriebe weniger abhängig von den Weltmärkten seien: "Alles in allem ist eine Kreislaufwirtschaft, die auf den eigenen Dünger setzt, auf den eigenen Tierbestand setzt, sicher resilienter, und das wird sich auch in den Preisen auswirken." Was die Erträge angehe, so sei der Ökolandbau wie ein Labor für Anbaumethoden, die dann auch die konventionelle Landwirtschaft unabhängiger machen würden. Das beinhalte Alternativen zu Pestizideinsatz, Humusaufbau, Kreislaufwirtschaft und eine Bindung des Tierbestandes an die Fläche.
Klimaresistenter durch Ökolandbau
Zudem habe der Ökolandbau große Vorteile angesichts des Klimawandels. Humusreiche Böden kämen besser zurecht mit Trockenheit: Der Vergleich zwischen Ökolandbau und konventionellem Landbau müsse auch solche Krisen mit einschließen, so Rottmann: "Und da steht der Ökolandbau gar nicht schlecht da."
Energie- und Futterpflanzen
In den Vordergrund rückt angesichts einer sich abzeichnenden weltweiten Versorgungskrise auch die Diskussion, ob Äcker nicht vorrangig der Lebensmittelproduktion dienen sollten - statt dem Anbau von Energie- und Futterpflanzen.
Wie steht die Bunderegierung zum Beispiel zur Zukunft der Biogasanlagen? Biogas, sagt Manuela Rottmann, sei längst nicht mehr das, was es einmal war. Der Anteil des Maises an der Befüllung gehe zurück. Die Biogasanlagen könnten zudem eine Schlüsselfunktion einnehmen bei der Energiewende, nämlich dann, so Rottmann, "wenn wir sie dann einsetzen, wenn Wind und Sonne nicht ausreichend Energie ins Stromnetz einspeisen, und wenn wir gleichzeitig die Wärme nutzen." Nicht umsonst würden viele Landwirte, die eine Biogasanlage hätten, geradezu überrannt von Anfragen. Für die Wärmeversorgung, so die Staatssekretärin, seien die Anlagen wichtig, vor allem weil sie dezentral sein und flexibel einsetzbar: "Flexible Biogasanlagen sind aus meiner Sicht sogar klüger als flexible Erdgaskraftwerke, die oft für die Flauten-Abdeckung genannt werden."
Tierhaltung regional besser verteilen
Die Tierhaltung muss laut Rottmann künftig regional besser verteilt werden. Tierhaltung spiele weiter eine wichtige Rolle: Wenn sie flächengebunden sei, liefere sie zudem Wirtschaftsdünger und ermögliche dadurch den Verzicht auf sehr energieintensiven Mineraldünger. Tierhaltung müsse vor allem dort stattfinden, wo die Fläche sie aufnehmen könne. Und auch das ist Manuela Rottmann wichtig: "Was natürlich auch gelogen wäre und unehrlich wäre, wenn wir sagen, wir reduzieren jetzt drastisch unseren Tierbestand in Deutschland und importieren dann weiter Fleisch aus anderen Ländern, wo die Standards geringer sind."
Arbeit der Landwirte schätzen und entlohnen
Wie wichtig die Landwirtschaft sei für eine Gesellschaft, das sei vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine besonders deutlich geworden. Wer noch Großeltern gehabt habe, die die Zeit des Krieges und nach dem Krieg erlebt hätten, so Manuela Rottmann, der wisse, dass vieles, was wir Jahrzehnte lang für selbstverständlich gehalten hatten – fließendes Wasser, ein Dach über dem Kopf, sichere Ernährung – alles andere als selbstverständlich sei. Sie sei zuversichtlich, dass es gelingen werde, auch weiterhin eine sichere und gesunde Ernährung für alle Menschen in Deutschland zu gewährleisten. Dazu gehöre aber auch ein besseres Einkommen für die Landwirtinnen und Landwirte. Aber, so Manuela Rottmann: "Das bedeutet, dass wir alle uns dafür verantwortlich fühlen, es nicht selbstverständlich nehmen dürfen." Die Debatte, die dazu mit mit den Bauern, mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern und dem Handel entstanden sei, "die tut uns allen gut".
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