Intern und recht offen haben hohe deutsche Luftwaffen-Offiziere in einer Schalte über theoretische Möglichkeiten des Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutiert. Nun wurde in Russland ein Mitschnitt des Gesprächs veröffentlicht - was zu großer Bestürzung in Deutschland geführt hat. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will vorerst jedoch keine personellen Konsequenzen ziehen, wie er am Sonntag in Berlin deutlich machte.
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In den nächsten Tagen erwarte er Aufschlüsse über die Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes zu den genauen Hintergründen des Vorfalls, sagte Pistorius. Es sei zu prüfen, ob etwa gegen IT-Sicherheitsbestimmungen verstoßen worden sei. Seinen Angaben zufolge geht es unter anderem darum, ob die richtige Plattform für die besprochenen Inhalte gewählt worden sei. Die Offiziere hatten sich über "Webex", eine US-Software für Videokonferenzen, zusammengeschaltet. Einer der Soldaten wählte sich per Smartphone aus einem Hotelzimmer in Singapur ein.
Pistorius spricht von "hybridem Angriff"
Auf die Frage nach möglichen personellen Konsequenzen sagte der SPD-Politiker: "Ich spekuliere grundsätzlich nicht vor Abschluss solcher Untersuchungen über personelle Konsequenzen. Das wäre definitiv viel zu hoch gegriffen." Es gehe vor allem um die inhaltlichen, die regulatorischen Konsequenzen - und darum, ob man in irgendeiner Form disziplinarrechtlich gegen diejenigen vorgehen müsse, die "im Zweifel, wenn es sich herausstellt, falsch gehandelt haben sollten".
Der Verteidigungsminister sieht die Enthüllungen als Teil eines "Informationskrieges", den der russische Präsident Wladimir Putin führe. "Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation. Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben", sagte Pistorius. "Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen." Deshalb müsse man besonnen reagieren, aber nicht weniger entschlossen. Laut seinen Angaben gibt es derzeit keine Hinweise, dass weitere Gespräche abgehört wurden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuvor bereits rasche Aufklärung versprochen.
Dobrindt schließt Untersuchungsausschuss nicht aus
Unklar ist, ob sich die Opposition mit der Erklärung des Verteidigungsministers zufriedengeben wird. Die Union richtet ihren Fokus vor allem auf Kanzler Scholz. "Die Berichte sind in doppelter Hinsicht befremdlich", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem "Spiegel" - "zum einen, dass sicherheitsrelevante Gespräche offensichtlich von den Russen mitgehört werden, zum anderen, dass der Bundeskanzler seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung begründet".
Wie konnte Russland "Taurus"-Gespräch abhören?
In dem abgehörten Gespräch erörterten vier Offiziere, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper "Taurus", falls dieser doch an die Ukraine geliefert werden sollte. Bislang verweigert Kanzler Scholz dies - aus Sorge, Kiew könnte mit dem "Taurus" auch Ziele in Russland angreifen.
Das Gespräch war auf der russischen Plattform "Russia Today" veröffentlicht worden. Darin hatten die Offiziere festgehalten, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre. Allerdings halten sie bei einer Ausbildung ukrainischer Soldaten am "Taurus" auch einen Einsatz in alleiniger Regie für möglich, was aber Monate dauern würde.
Video: Ermittlungen zur Taurus-Abhöraffäre
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