Symbolbild: Demonstration in der türkischen Stadt Istanbul gegen das Regime der Islamischen Republik Iran (17.10.2022).
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Symbolbild: Demonstration in der türkischen Stadt Istanbul gegen das Regime der Islamischen Republik Iran (17.10.2022).

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Proteste: Verliert der Iran die Kontrolle über Belutschistan?

Die Proteste gegen das iranische Regime reißen nicht ab - auch in der sunnitisch geprägten Provinz Sistan-Belutschistan gab es erneut Demonstrationen. Unterdessen fordert Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi Deutschland und die EU zum Handeln auf.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Der Protest gegen das Regime im Iran ist längst nicht mehr auf große Städte wie Teheran, Esfahan oder Maschhad beschränkt. Auch in kleineren Städten und in verschiedensten Provinzen kommt es immer wieder zu Demonstrationen gegen die Staatsführung. In der südostiranischen Stadt Zahedan in der Provinz Sistan-Belutschistan kam es nach dem Freitagsgebet offenbar erneut zu Protesten. Hier waren Ende September dutzende Demonstranten von iranischen Sicherheitskräften getötet worden.

Neue Proteste in Zahedan nach Freitagsgebet

Das iranische Staatsfernsehen veröffentlichte Aufnahmen von Schäden der Proteste vom Freitag. Die Behörden erklärten, sie hätten 57 Demonstranten festgenommen. Für unabhängige Berichterstatter ist das Ausmaß der Zusammenstöße unklar - ebenso, ob es dabei erneut Tote gab. Die Informationslage ist schwierig, da das Regime das Internet stark einschränkt. Auf Twitter kursieren Videos, die hunderte Demonstranten in Zahedan zeigen, die "Tod dem Diktator" riefen.

Der führende Geistliche der sunnitisch geprägten Region hatte am Freitag das schiitische Regime Teherans und den obersten geistlichen Führer Ajatollah Ali Khamenei für dutzende Tote bei früheren Protesten verantwortlich gemacht. An diesem Samstag reagierten die Revolutionsgarden mit einer Warnung: "Junge Menschen gegen die heilige Islamische Republik Iran aufzuwiegeln und aufzuhetzen kann Sie teuer zu stehen kommen", erklärten die Revolutionsgarden auf ihrer Internetseite. "Das ist die letzte Warnung!". Die Revolutionsgarden sind die Elitetruppe der iranischen Führung, die seit Wochen gewaltsam gegen eine landesweite Protestwelle vorgeht.

Immer wieder blutige Protest-Niederschlagung in Zahedan

In Zahedan brach erstmals am 30. September Gewalt aus. Aktivisten sprachen von dem blutigsten Tag seit Beginn der aktuellen Proteste. Es kam zum Aufruhr, nachdem Vorwürfe gegen einen Polizisten bekannt wurden, eine Jugendliche in der Region vergewaltigt zu haben, in der eine sunnitische Minderheit in der schiitischen Theokratie beheimatet ist. Im Iran gibt es viele Minderheiten, die systematisch benachteiligt werden.

Menschenrechtsgruppen gehen von mehr als 90 Getöteten an dem Tag aus, den Anwohner als "blutiger Freitag" bezeichnen. Die iranischen Behörden machten für die Gewalt in Zahedan nicht näher benannte Separatisten verantwortlich, ohne Details oder Beweise vorzulegen.

Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini als Auslöser

Die Proteste ereigneten sich vor dem Hintergrund der landesweiten Demonstrationen nach dem Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam Mitte September. Sie war von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie aus deren Sicht ihr Kopftuch nicht angemessen getragen hatte.

Die Proteste entwickeln sich zur größten Herausforderung für die Islamische Republik seit der sogenannten "grünen Bewegung" von 2009, die sich in Reaktion auf umstrittene Wahlen formiert hatte. Längst sind nicht mehr nur junge Menschen auf der Straße – die Protestbewegung setzt sich laut Beobachtern aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen zusammen.

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Friedensnobelpreisträgerin fordert Baerbock zum Handeln auf

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi sieht in den aktuellen Protesten eine ernsthafte Gefahr für das Regime im Iran. "Wir sehen ja: Selbst dann, wenn es zur Niederschlagungen der Proteste kommt, gehen die Menschen wieder auf die Straße. Für sie ergibt die Fortführung dieses Regimes keinen Sinn mehr", sagte die Menschenrechtsaktivistin im Interview der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Wenn die Proteste weiter anwachsen, erhöhe sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann Mitglieder der Armee und der Revolutionsgarden auf die Seite der Demonstranten stellten, da sie fürchten müssten, dass auch ihre Verwandten sich darunter befänden.

Die Sanktionen der europäischen Staaten gegen den Iran seien "mit Sicherheit richtig", aber reichten nicht aus, betonte Ebadi. Die EU müsse den Druck gegen Teheran erhöhen. Von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erwarte sie, dass sie den deutschen Botschafter aus Iran abberufe und den iranischen Botschafter in Deutschland sofort ausweise, sagte die Menschenrechtsaktivistin. "Damit könnte man zum Vorbild für andere westliche Staaten werden, die viel zugunsten des iranischen Volkes sagen, aber praktisch nichts tun."

Reisewarnung des Auswärtigen Amtes

Am Freitag sprach das Auswärtige Amt eine Reisewarnung für den Iran aus. Für deutsche Staatsangehörige bestehe "die konkrete Gefahr, willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden". Vor allem Doppelstaater, die neben der deutschen auch noch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, seien gefährdet.

In jüngster Vergangenheit kam es zu einer Vielzahl willkürlicher Verhaftungen ausländischer Staatsangehöriger. Zur Situation in den Provinzen Khordestan und Sistan-Belutschistan lägen zudem Hinweise auf ein besonders hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Proteste vor.

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Mit Informationen der dpa und Reuters