Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt verschärft sich der Ton zwischen Bund und Bundesländern: Die Länder dringen nach einem Austausch mit den Kommunen erneut auf mehr Geld vom Bund. Am Mittwoch trifft sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit den 16 Ministerpräsidenten. Angesichts steigender Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen sehen sich viele Kommunen am Rande der Leistungsfähigkeit.
Weil: Einmalige Zahlungen reichen nicht
Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil, betonte: "Die finanziellen Mittel des Bundes müssen sich an der tatsächlichen Zahl der zu uns geflüchteten Menschen ausrichten, mit einmaligen Pauschalzahlungen ist es nicht getan", sagte der SPD-Politiker. Die Kommunen forderten zudem, dass der Bund die Kosten der Unterbringung wieder zu 100 Prozent trage.
"Insgesamt benötigen Länder und Kommunen bei der Finanzierung wieder mehr Planungssicherheit. Dass jedes Jahr neu über die finanziellen Mittel verhandelt werden muss, kann auch nicht im Interesse des Bundes sein", sagte Weil.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst warf der Bundesregierung als Co-Vorsitzender der MPK vor, die Lage vor Ort weitgehend zu ignorieren. "Die Hilferufe aus Städten und Gemeinden werden aus Berlin abgetan", sagte der CDU-Politiker. "Die Kommunen brauchen Verlässlichkeit. Denn die Unterbringung, Versorgung und vor allem Integration ist eine Daueraufgabe. Dafür müssen deutlich mehr Mittel bereitgestellt werden – und zwar dauerhaft und planbar."
Bundesländer: Bund rechnet falsch
Die Bundesländer werfen laut der Nachrichtenagentur Reuters dem Kanzleramt in einem internen Papier zudem falsche Berechnungen vor. Faktisch habe der Bund seine Hilfen in den vergangenen Jahren trotz steigender Flüchtlingszahlen sogar zurückgefahren.
Finanzminister: Scheindebatte des Bundes zu Haushaltsproblemen
Im Vorfeld wird auch die Argumentation, dass der Bund über einen immer geringeren Anteil der Steuereinnahmen verfügt, im Papier bestritten: Nach der Abgrenzung der amtlichen Statistik habe im Jahr 2021 der Anteil des Bundes am Steueraufkommen 41,2 Prozent betragen, der Länderanteil bei 40,5 Prozent. "Bei allem Verständnis für Unannehmlichkeiten der Finanzpolitik in Zeiten enger werdender finanzieller Spielräume muss der Bund endlich anfangen, seine Haushaltsprobleme in den eigenen Ausgabenpositionen zu lösen und keine Scheindebatte führen, die Länder seien an seinen Haushaltsproblemen schuld."
Die Bundesregierung lehnt ihrerseits eine von den Ländern geforderte Erhöhung der Zuweisungen mit dem Argument ab, dass laut Grundgesetz Länder und Kommunen zuständig seien. Der Bund habe in den vergangenen Jahren freiwillig Leistungen übernommen, die sich im Jahr 2023 über verschiedene Töpfe ohnehin schon auf 15,6 Milliarden Euro belaufen würden.
Die Länder fordern vom Bund unter anderem eine Rückkehr zu einer Fallpauschale pro Geflüchtetem. Statt der früheren Pauschale von 670 Euro monatlich wollen sie aber nun einen höheren Betrag. "Aus einer Aktualisierung auf der jüngsten Datengrundlage ergäbe sich ein Betrag von ca. 1.000 Euro je Flüchtling", heißt es in dem Papier.
Forderung: Bund und Länder sollten sich Kosten teilen
Auch öffentlich verhärten sich die Positionen vor dem Bund-Länder-Treffen: "Parteiübergreifend haben sich die 16 Länder verständigt, dass sich der Bund und die Länder die Kosten teilen sollten, also wenigstens 50:50", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst der "Rheinischen Post" und dem "General-Anzeiger". Bisher erhalte Nordrhein-Westfalen 600 Millionen Euro vom Bund, bei Gesamtkosten in diesem Jahr von 3,7 Milliarden Euro. Derzeit würden also nur deutlich unter 20 Prozent der Kosten vom Bund gedeckt.
Beistand kommt von der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang. Es gebe ein gemeinsames Interesse, dass vor Ort gute Lösungen entstehen könnten. "Wenn dafür Unterstützung nötig ist, muss der Bund helfen, auch finanziell", sagte sie der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". Dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei dem Thema auf die Verhandlungen über das neue Asylsystem in Europa verweise, sei zwar wichtig, sagte Lang. "Aber die Verhandlungen werden viele Monate dauern. Das hilft den Kommunen nicht, bei denen es jetzt brennt."
Weitere Flüchtlingshilfen: Bund mauert
Der Bund ist bislang weder bereit, seine Zahlungen zu erhöhen, noch ist er an einer Rückkehr zum System der Pro-Kopf-Pauschalen interessiert. Stattdessen wird in einem Entwurf aus dem Kanzleramt für eine Beschlussvorlage zu dem Treffen laut Nachrichtenagentur dpa vorgerechnet, wie viel der Bund jetzt schon zu den Ausgaben mit Flüchtlingsbezug beiträgt.
Zu den in dem Papier enthaltenen Vorschlägen, die für Entlastung sorgen sollen, gehört etwa eine Verlängerung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis von Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus von einem auf drei Jahre. Außerdem wird überlegt, wie man Ausländer, die trotz eines Einreiseverbots nach Deutschland gekommen sind, leichter in Abschiebungshaft nehmen kann.
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) sagte der Funke Mediengruppe: "Alle Zahlen zeigen, dass wir uns derzeit in einer außergewöhnlichen Sondersituation befinden durch Flüchtlinge aus der Ukraine. Das muss auch der Bund anerkennen und eine verlässliche, dauerhafte Finanzierung sicherstellen." Der neue Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner (CDU), forderte im "Spiegel", die finanzielle Last gerecht zu teilen. Thüringens Innenminister Georg Maier warnte im Redaktionsnetzwerk Deutschland, es sei ein gefundenes Fressen für die AfD, wenn die Kommunen Schwierigkeiten bekämen, die Kosten zu bestreiten.
Ampel lehnt Söders Vorschlag zu Entwicklungshilfe ab
Derweil wies die Ampel-Koalition einen Vorstoß von CSU-Chef Markus Söder zurück, Entwicklungshilfe an die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber zu knüpfen. "Es gibt keinen Beweis, dass diese Idee funktioniert – aber eine reale Gefahr, dass sie das Problem noch vergrößert", sagte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) der "Süddeutschen Zeitung". Bayerns Ministerpräsident Söder hatte vorgeschlagen, Herkunftsstaaten, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen, Hilfen zu kürzen.
"Entwicklungshilfe als Druckmittel bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber einzusetzen, ist ein völlig falscher Ansatzpunkt und hätte fatale Folgen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, der "Welt". Der Entwicklungshilfe sei auch dazu gedacht, die Lebenssituation von Menschen in ihrem Heimatland zu verbessern und dadurch Migrationsströme einzudämmen. Eine Kürzung hätte genau das Gegenteil zur Folge, sagte Thomae.
Die Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat sagte der Zeitung, Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten könnten nur unter der Voraussetzung funktionieren, dass sie partnerschaftlich und auf Augenhöhe erfolgen. Sebastian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, nannte Söders Vorschlag "unfassbar kurzsichtig".
Keine Einladung zum Flüchtlingsgipfel: Landkreistag unzufrieden
"Am Mittwoch müssen Ergebnisse erzielt werden", sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, der Deutschen Presse-Agentur. "Falsch ist, dass die kommunalen Spitzenverbände zu dem Treffen nicht eingeladen wurden", fügte er hinzu. Er habe dennoch keinen Zweifel, dass die Länder die Interessen der Kommunen "nach Kräften mitvertreten".
Die Kommunen forderten nichts Unmögliches, sondern die vollständige Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge. Hier klaffe bei den Kommunen ein jährliches Loch von mehr als zwei Milliarden Euro. Wenn der Bund vorrechne, was er bereits zur Entlastung von Ländern und Kommunen geleistet habe, sei es wichtig, nicht zu vergessen, "dass es sich bei der Frage der zu einem großen Teil ungesteuerten Zuwanderung um ein Problem handelt, für das der Bund allein die Verantwortung trägt", betonte Sager.
Anstieg der Anträge im Asylsystem
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 wurden deutschlandweit mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine registriert. Im vergangenen Jahr gab es nach einem Rückgang in den Corona-Jahren auch wieder einen Anstieg der Anträge im regulären Asylsystem. Knapp 218.000 Erstanträge wurden gestellt, 47 Prozent mehr als 2021. Hauptherkunftsländer sind nach wie vor Syrien und Afghanistan. Auch in den ersten Monaten dieses Jahres ist die Zahl der Asylanträge weiter gestiegen.
Mit Informationen von dpa, Reuters, AFP und epd
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