Kiew hat den russischen Truppen im Rahmen der Invasion Kriegsverbrechen vorgeworfen. Der russische Militäreinsatz gründe auf der "grotesken Lüge" der Behauptung eines Genozids in den Separatistengebieten, erklärte ein ukrainischer Vertreter vor dem IGH, dem obersten Rechtsorgan der Vereinten Nationen. Das Gericht erklärte, bei der Anhörung gehe es um den "Verdacht des Völkermords". Zunächst trug die Ukraine wie geplant ihre Argumente vor. Russland hätte sich eigentlich am morgigen Dienstag in Den Haag äußern sollen. Diese Anhörung wurde aufgrund der Weigerung zur Prozessteilnahme aber abgesagt.
Russland nicht im Gericht - "sondern auf dem Schlachtfeld"
Der ukrainische Prozessvertreter Anton Korynewytsch verurteilte die Absenz russischer Vertreter. Die Tatsache, dass die russischen Sitze leer seien, spreche eine deutliche Sprache, sagte er. "Sie sind nicht hier in diesem Gericht. Sie befinden sich auf dem Schlachtfeld und führen einen Angriffskrieg gegen mein Land."
Die Ukraine warf Russland vor, in dem Land bereits verbreitet Kriegsverbrechen zu begehen und auf Taktiken zurückzugreifen, die an mittelalterliche Belagerungskriege erinnerten. Mit Blick auf die Genozid-Vorwürfe sagte ein Anwalt Kiews, David Zionts: Die Ukraine sei wegen einer "grotesken Lüge" zum Gericht gekommen und um Schutz vor den verheerenden Konsequenzen der Lüge zu suchen: "Die Lüge ist die Behauptung der Russischen Föderation eines Genozids in der Ukraine. Die Konsequenzen sind nicht provozierte Aggression, Städte unter Belagerung, Zivilisten unter Beschuss, eine humanitäre Katastrophe und Flüchtlinge, die um ihr Leben fliehen."
Anhörung findet ohne Vertreter Russlands statt
Das Gericht bedauerte das "Nichterscheinen der Russischen Föderation zu dieser mündlichen Verhandlung", wie die Vorsitzende Richterin Joan Donoghue sagte. Der russische Botschafter in den Niederlanden, Alexander Schulgin, habe dem Gericht mitgeteilt, dass seine Regierung nicht beabsichtige, an der Verhandlung teilzunehmen.
Ukraine wirft Russland "Planung eines Völkermords" vor
Die Regierung in Kiew hatte den Gerichtshof angerufen und Russland die Planung eines "Völkermords" in der Ukraine vorgeworfen. Die Ukraine ruft das UN-Gericht auf, zu erklären, dass Russland keine rechtliche Grundlage für die Invasion hat. Russland hatte den Krieg unter anderem mit der Behauptung gerechtfertigt, dass Russen vor einem Völkermord geschützt werden müssten.
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Wann ein Urteil erfolgt, steht noch nicht fest. Urteile des Gerichts sind zwar bindend, aber das Gericht besitzt keine Machtmittel, um einen Staat zu zwingen, das Urteil auch umzusetzen. Es kann dann nur den UN-Sicherheitsrat anrufen. Der IGH ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IstGH), dessen Sitz sich ebenfalls in Den Haag befindet.
Völkerrechtsexperte Krajewski hält Verhandlung für bedeutsam
Der Erlanger Völkerrechts-Professor Markus Krajewski misst der heute begonnenen Verhandlung am IGH große Bedeutung bei. "Russland behauptet, die Ukraine hätte einen Völkermord begangen, das ist der Grund, warum Russland den Krieg führt. Und der Gerichtshof wird wahrscheinlich nachweisen, dass das eine Lüge war", sagte Krajewski BR24. Russland werde dieses Urteil sicher zunächst einmal nicht akzeptieren, aber es wäre trotzdem mit der Autorität des höchsten Gerichtes der Vereinten Nationen versehen. Dabei spiele es keine Rolle, dass die geladenen Vertreter Russlands der Gerichtsverhandlung fernbleiben, so Krajewski, der Gerichtshof könne trotzdem auch in Abwesenheit verhandeln und entscheiden.
Putin selbst auf der Anklagebank?
Ebenso wichtig ist es nach Einschätzung des Erlanger Professors, dass der UN-Menschenrechtsrat beschlossen hat, eine Kommission einzusetzen, die Beweise sammelt und auf Echtheit überprüft. Zum russischen Präsidenten Putin meint Krajewski: "Nach alledem, was wir jetzt wissen, ist er wohl ein Kriegsverbrecher." Dass er als solcher vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auch verurteilt wird, sei aber unrealistisch, solange er noch Staatschef ist. Ehemalige Staatschefs hätten aber durchaus schon in Den Haag auf der Anklagebank gesessen. Es sei also "durchaus denkbar, dass in langer Zeit irgendwann auch Herr Putin sich dort verantwortet".
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