Die Ukraine treibt nach den jüngsten militärischen Erfolgen ihre Gegenoffensive weiter voran und meldet neben dem Großraum Charkiw auch zunehmend Erfolge im Süden des Landes. Binnen 24 Stunden seien mehr als 20 russisch-besetzte Ortschaften im Nordosten zurückerobert worden, teilte der Generalstab am Montag mit. Die Soldaten seien dabei, die Städte und Dörfer vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. In sozialen Medien war vielfach zu sehen, wie die Bewohner die einrückenden ukrainischen Soldaten freudig empfingen.
"Unser Ziel besteht darin, unser gesamtes Gebiet zurückzuerobern. Die Rückeroberung ist das Hauptziel", sagte der ukrainische Präsident Selenskyj dem US-Nachrichtensender CNN.
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Rückzug russischer Truppen nach halbem Jahr Besatzung
Innerhalb weniger Tagen konnte die ukrainische Armee die strategisch wichtige Stadt Kupjansk im Nordosten der Ukraine einnehmen. Russlands Verteidigungsministerium hatte in Folge des Drucks der unerwarteten Gegenoffensive eigene Truppen aus der Region Charkiw abziehen müssen. Damit verlor die russische Armee eines der Gebiete, welches sie am 24. Februar - dem ersten Tag der Invasion - erobert hatte.
Nach Angaben Kiews zogen sich russische Truppen auch aus Teilen des südlichen Gebiets Cherson zurück. Dort hat das ukrainische Militär nach eigenen Angaben rund 500 Quadratkilometer zurückerobert. Insgesamt fünf Siedlungen seien eingenommen worden. Unabhängig überprüft werden konnten diese Angaben nicht.
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Karte: Die militärische Lage in der Ukraine
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Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow sagte der "Financial Times", die Offensive laufe weitaus besser als erwartet. Sie sei wie ein Schneeball, der einen Hang runterkugele. "Das ist ein Zeichen, dass Russland besiegt werden kann." Wichtig sei jetzt, das zurückeroberte Gebiet zu sichern gegen einen möglichen Gegenangriff russischer Truppen auf die ausgedünnten ukrainischen Nachschublinien.
Selenskyj: Keine Bereitschaft für Verhandlungen
Mit der Gegenoffensive werde man sich "langsam und schrittweise weiter nach vorne bewegen", erklärte Präsident Selenskyj. Auf die Frage, ob er mit Russland in Verhandlungen treten wolle, antwortete er: "Zurzeit nicht. Ich sehe auf ihrer Seite keine Bereitschaft, konstruktiv zu sein." Nach einem Rückzug der russischen Truppen könne das Gespräch jedoch beginnen.
Der Kreml will seine Militäroffensive hingegen weiter fortführen. "Die militärische Spezialoperation dauert an und wird andauern, bis die ursprünglich gesetzten Ziele erreicht worden sind", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag. Es gebe derzeit "keine Aussicht auf Verhandlungen" zwischen Moskau und Kiew, fügte er hinzu.
Am Wochenende wurde eine Äußerung von Russlands Außenminister Sergej Lawrow als mögliche Verhandlungsbereitschaft gewertet. "Russland lehnt Verhandlungen mit der Ukraine nicht ab, doch je länger der Prozess hinausgezögert wird, desto schwerer wird es, sich zu einigen", hatte Lawrow nach den Gebietsverlusten rund um Charkiw erklärt.
Russlands Staatsmedien ringen mit Niederlagen in Charkiw
Die Rückschläge der russischen Armee im Osten der Ukraine nach der Gegenoffensive der Ukraine bringen nicht nur Moskau, sondern auch die staatlichen Medien Russlands in Erklärungsnot. Normalerweise versuchen die Kommentatoren und Talkshow-Gäste sich seit Beginn des Kriegs - der in Russland nur "militärischer Spezialeinsatz" genannt werden darf - regelrecht damit zu übertrumpfen, Solidarität mit Präsident Wladimir Putin zu zeigen und die Ukraine sowie deren Verbündete zu denunzieren. Doch seit dem Wochenende ist die Stimmung merklich gedämpfter.
Erklärungsansätze reichten von der angeblich zahlenmäßigen Überlegenheit der ukrainischen Truppen bis hin zur Untermauerung der vom Verteidigungsministerium ausgegebenen Erklärung für den offenbar fluchtartigen Abzug Tausender Soldaten aus der Region Charkiw: Es handle sich um eine "taktische Umgruppierung".
Die Talkshow-Gastgeberin Olga Skabejewa etwa versuchte, den Entwicklungen einen positiven Dreh zu geben. Sie eröffnete ihre tägliche Sendung am Montagmorgen mit dem Verweis auf die russische Bombardierung ukrainischer Kraftwerke und die daraus resultierenden großflächigen Stromausfälle im Osten der Ukraine. Das sei ein "Wendepunkt" in der Militäroperation.
Mehr deutsche Waffen für Kiew?
Angesichts der militärischen Erfolge der Ukraine hatten sich zuletzt auch in Deutschland Stimmen gemehrt, der Regierung in Kiew weitere schwere Waffen zu liefern, inklusive Kampfpanzern wie den Leopard 2 aus deutscher Fertigung. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss ein Alleingang Deutschlands in dieser Frage aber am Montag erneut aus.
Mit Material der dpa, AP, Reuters und AFP.