Bei schweren israelischen Angriffen auf den Süden des Gazastreifens sowie Gaza-Stadt im Norden wurden am Samstag Dutzende Palästinenser getötet, darunter offenbar auch weitere Kinder.
Dutzende Tote bei israelischem Angriff im Süden des Gazastreifens
Bei einem erneuten Luftangriff in Chan Junis im südlichen Gazastreifen starben nach palästinensischen Angaben 32 Menschen. Bei dem Angriff auf drei Wohngebäude im Stadtteil Hamad seien zudem Dutzende Menschen schwer verletzt worden, teilte der Leiter des Nasser-Krankenhauses in Chan Junis der Nachrichtenagentur AFP am Samstag mit.
Auf Bildern der Nachrichtenagentur Reuters waren Dutzende verhüllte Leichen zu sehen, darunter mehrere Kinder. Eine Palästinenserin sagte Reuters: "Meine Cousinen, meine Tante und ihre Kinder und deren Kinder sind alle umgekommen. Sie haben keinerlei Verbindung zur Hamas oder so etwas, sie wurden von drei Raketen getroffen, die in der Küche und den Zimmern einschlugen." Israel habe die Menschen aufgefordert in den Süden zu fliehen und nun seien dennoch alle tot.
Offenbar erneut Angriffe auf Flüchtlingsviertel Dschabalia
Die israelische Armee forderte auch Samstag Anwohner auf, zu ihrer eigenen Sicherheit aus den Stadtteilen im nördlichen Gazastreifen in den Süden fliehen. Das schrieb ein Sprecher der Armee am Samstag auf Arabisch auf der Plattform X, vormals Twitter. Zur Evakuierung aufgerufen waren auch Bewohner des Flüchtlingsviertels Dschabalia in Gaza-Stadt.
Dort wurden bei zwei mutmaßlich israelischen Angriffen nach Angaben des von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums am Samstag mehr als 80 Menschen getötet. Die von der UNO betriebene und als Flüchtlingsunterkunft genutzte Al-Fachura-Schule im Flüchtlingslager Dschabalia sei am frühen Samstagmorgen beschossen worden, sagte ein Ministeriumsvertreter der Nachrichtenagentur AFP. Dabei seien 50 Menschen getötet worden. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur AP, Dutzende Menschen, darunter Frauen und Kinder, hätten regungslos am Boden gelegen. Der Anblick sei entsetzlich gewesen, "Leichen von Frauen und Kindern lagen auf dem Boden. Andere schrien um Hilfe."
Bei einem zweiten Angriff auf ein weiteres Gebäude wurden laut Ministeriumsvertreter 32 Mitglieder einer Familie getötet. Das Gesundheitsministerium veröffentlichte eine Liste mit den Namen aller beim zweiten Angriff getöteten Familienmitglieder. Den Angaben nach waren 19 der Todesopfer Kinder.
Angesichts der "schrecklichen Bilder" forderte der Generalkommissar des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, Philippe Lazzarini, erneut eine "humanitäre Feuerpause".
Ägypten verurteilte den Beschuss der UN-Schule "schrecklichen Bombenanschlag der israelischen Besatzungstruppen" scharf. Das Außenministerium erklärte am Samstag, man betrachte den Vorfall als ein weiteres Kriegsverbrechen, das untersucht werden müsse und dessen Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssten.
Jordanien verurteilte in einer Erklärung des Außenministeriums die "abscheulichen und anhaltenden Kriegsverbrechen" Israels auf das Schärfste. Dazu zähle auch der jüngste Angriff auf die UN-Schule. Es handele sich um "einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht".
Die israelische Nachrichtenseite ynet schrieb, es sei unklar, ob es sich um einen israelischen Angriff oder eine fehlgeleitete Rakete palästinensischer Terroristen handelte. Aus dem Gazastreifen wurden am Samstag nach israelischen Militärangaben erneut mehrere Raketen auf israelische Grenzorte sowie die Küstenstadt Aschkelon abgefeuert. Nach Darstellung der israelischen Armee geht etwa ein Fünftel der abgefeuerten Raketen im Gazastreifen nieder.
Schon über 12.000 tote Palästinenser
Zu Beginn des Monats waren bei heftigen Raketenangriffen auf Dschabalia Dutzende Menschen getötet worden, darunter ebenfalls viele Kinder. Das Flüchtlingsviertel gilt als Hochburg der Terrororganisation Hamas. Nach palästinensischen Angaben, die sich bei vergangenen Konflikten im Nachhinein als zuverlässig erwiesen haben, wurden bei dem erneuten Krieg in Gaza in den vergangenen sechs Wochen über 12.000 Menschen getötet. Die Vereinten Nationen übernehmen diese Zahlen.
Zuvor waren am 7. Oktober Hunderte bewaffnete Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet vorgedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Rund 1.200 Menschen wurden nach israelischen Angaben getötet, zudem wurden etwa 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Karte: Übersicht des Gazastreifens
Widersprüchliche Angaben zur Evakuierung der Schifa-Klinik
Unterdessen verließen hunderte Menschen am Samstag das Al-Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza. Nach palästinensischen Angaben wurden die Patienten, Schutzsuchende und Mitarbeiter von der israelischen Armee gezwungen, die Klinik innerhalb einer Stunde zu verlassen.
Die Menschen flohen teils in Panik zu Fuß auf einer Straße in Richtung Süden, wie Bilder der Nachrichtenagentur Reuters belegen. Vertreter des von der radikalislamischen Hamas geführten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen erklärten, es seien nur noch etwa 120 Verletzte und eine nicht näher genannte Zahl von Frühgeborenen im Krankenhaus.
Der Angaben zufolge handelt es sich bei den zurückgelassenen Patienten um Verletzte und Menschen mit chronischen Krankheiten, die nicht transportfähig seien. Für ihre Betreuung verblieb demnach auch eine nicht näher genannte Zahl von Krankenhausmitarbeitern vor Ort.
Der irisch-palästinensische Arzt Ahmed El Mokhallalati schrieb auf X, die israelische Armee habe die Evakuierung angeordnet, er bleibe hingegen mit fünf anderen Ärzten im Krankenhaus, um die verbliebenen 120 Intensivpatienten und Neugeborene in Inkubatoren zu versorgen. Krankenhausleiter Mohammed Abu Salmija sagte der AFP, er sei angewiesen worden, "die Evakuierung von Patienten, Verletzten, Vertriebenen und medizinischem Personal" sicherzustellen.
Die israelische Armee teilte mit, die Evakuierung geschehe auf Wunsch des Direktors des Schifa-Krankenhauses. Die Armee habe zu keinem Zeitpunkt die Evakuierung von Patienten oder medizinischem Personal angeordnet, sie habe lediglich dazu aufgerufen, einen Fluchtkorridor zu nutzen.
Die Armee veröffentlichte auch einen Mitschnitt, der den Angaben zufolge aus einem Telefonat zwischen einem Vertreter Israels und dem nicht namentlich genannten Direktor der Schifa-Klinik stammte. Darin sagt dieser, medizinische Teams hätten das Krankenhaus verlassen und er habe keine Kontrolle über deren Entscheidung. Letztlich wolle er, dass auch alle Patienten die Klinik verließen. Die Echtheit des Mitschnitts ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Die palästinensische Gesundheitsministerin Mai al-Kaila fordert von Israel, im Schifa-Krankenhaus "zurückgelassene" Patienten in andere Kliniken zu verlegen. In der größten Klinik des Gazastreifens seien noch 32 Frühchen und 126 Verletzte, sagte sie in einer Pressekonferenz in Ramallah im Westjordanland am Samstag. Die Betroffenen könnten nicht laufen und sich in Sicherheit bringen. Sie verlangte, die Patienten nach Ägypten oder ins Westjordanland verlegen zu lassen.
Noch keine Beweise für Kommandozentrale der Hamas unter Schifa-Klinik
Die israelische Armee durchsucht den vierten Tag infolge das Al-Schifa-Krankenhaus, unter dem sie eine Kommandozentrale der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas vermutet – Hinweise auf eine derartige Zentrale wurden der Öffentlichkeit bislang allerdings nicht präsentiert. UN-Angaben zufolge befanden sich vor der Evakuierung rund 2.300 Patienten, Verletzte und Vertriebene in dem Krankenhaus.
Nach Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" sind Mitarbeiter der Hilfsorganisation und deren Angehörige in der Nähe des Schifa-Krankenhauses im Gazastreifen eingeschlossen. Insgesamt gehe es um 137 Menschen, darunter 65 Kinder, denen es wegen der anhaltenden heftigen Kämpfe in der Stadt Gaza nicht möglich sei, das Gebiet sicher zu verlassen, erklärte die Organisation am Samstag. Bisherige Versuche, die Mitarbeiter und deren Familien zu evakuieren, seien gescheitert.
Es brauche dringend einen Waffenstillstand, um Tausende festsitzende Zivilisten sicher evakuieren zu können, forderte Ärzte ohne Grenzen. Sonst liefen Menschen, denen es an Essen und Trinkwasser fehle, Gefahr, "in den nächsten Tagen, wenn nicht gar Stunden", zu sterben, warnte die Organisation.
Druck auf Israels Premierminister Netanjahu wächst
Unterdessen trafen am Samstag tausende Israelis in Jerusalem ein. Sie waren vor Tagen in Tel Aviv aufgebrochen. Ihr Protestmarsch bekam mehr und mehr Zulauf. Sie fordern das Kriegs-Kabinett unter der Führung von Premier Benjamin Netanjahu auf, alles für die Freilassung der Geiseln zu tun, die die Hamas bei ihrem Angriff am 7. Oktober nach Gaza verschleppt hat.
Kritische Stimmen im Land werden langsam lauter, auch wenn die äußeren Bedrohungen derzeit noch im Fokus stehen. Netanjahu wird unter anderem vorgeworfen, bis heute keine Verantwortung dafür übernommen zu haben, dass Israel am 7. Oktober derart überrascht werden konnte.
Im Video: ARD-Korrespondent Limpert zur Lage in Gaza
Mit Informationen von dpa, AFP, Reuters, AP
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