Zuerst sollten die Menschen den Norden des Gazastreifens verlassen. Viele flüchteten daraufhin in den Süden. Nun forderte Israel auch die Zivilbevölkerung in vier Städten im südlichen Gazastreifen auf, das Gebiet zu räumen.
Die flüchtenden Menschen wissen nicht wohin
Israels Generalstabschef Herzi Halevi hatte eine Ausweitung der Einsätze angekündigt. "Wir sind kurz davor, das militärische System im nördlichen Gazastreifen zu zerschlagen (...) wir werden in anderen Gebieten weitermachen", sagte Halevi bei einem Truppenbesuch im Gazastreifen. Kommandeure der islamistischen Hamas müssten "systematisch" ausgeschaltet und Infrastruktur zerstört werden. Dazu würden "immer mehr Regionen ins Visier" genommen, sagte er. Außerdem rief das Militär Bewohner von drei Stadtteilen in Gaza auf, bis 16.00 Uhr Ortszeit (15.00 Uhr MEZ) ihre Wohngebiete zu räumen und sichere Orte aufzusuchen – wo diese sicheren Orte im abgeriegelten Gazastreifen noch sein könnten, ist völlig unklar.
UN-Schulen hoffnungslos überfüllt
Nach Angaben von BR-Korrespondent Clemens Verenkotte hatte zum Beispiel die Stadt Chan Yunis im Süden des Gazastreifens früher etwa 400.000 Einwohner. Inzwischen sei die Zahl der Menschen dort auf rund eine Million gestiegen. Für die 100.000 Flüchtlinge, die sich östlich von Chan Yunis aufhielten und nun aufgefordert wurden, einen sicheren Ort aufzusuchen, gebe es "keine weiteren Zugangsmöglichkeiten. Die UN-Schulen sind hoffnungslos überfüllt", so Verenkotte in einem Interview mit tagesschau24.
Die humanitäre Lage ist katastrophal – auch in UN-Einrichtungen. Dort müssen sich im Durchschnitt 125 Menschen eine Toilette teilen, sagte Verenkotte unter Berufung auf UN-Angaben. Viele Menschen außerhalb von UN-Einrichtungen hätten gar keinen Zugang mehr zu sanitären Einrichtungen. Die Müllabfuhr sei zusammengebrochen, es regne, Müll schwimme auf den Straßen.
Zudem sind die Kommunikationsnetze unterbrochen. Das UN-Nothilfebüro OCHA erklärte am Morgen: "Humanitäre Organisationen und Rettungsdienste haben gewarnt, dass Blackouts die Sicherheit von Zivilisten und die Bereitstellung lebensrettender Unterstützung gefährden."
WHO besorgt über Ausbruch von Krankheiten
Die Weltgesundheitsorganisation WHO zeigte sich derweil alarmiert wegen der Ausbreitung von Krankheiten. Man sei deswegen "extrem besorgt", sagt der WHO-Gesandte für die Palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn. In dem dicht besiedelten Küstengebiet seien mehr als 70.000 Fälle von akuten Atemwegsinfektionen und über 44.000 Fälle von Durchfall registriert worden seien. Die Zahlen seien deutlich höher als erwartet.
Laut den UN, die sich auf das Gesundheitsministerium der Hamas-Verwaltung im Gazastreifen beziehen, sind seit Donnerstag zudem neun der 35 Krankenhäuser im Gazastreifen nur noch teilweise funktionsfähig. Die übrigen Krankenhäuser hätten aufgrund der Gewalt sowie Mangel an Medizin, Personal, Energie und Treibstoff ihren offiziellen Dienst eingestellt. Immer wieder werden zudem Krankenhäuser angegriffen, weil Israel unter Kliniken Hamas-Stellungen vermutet. Die Hamas weist dies zurück.
Angriffe auf Kliniken
Zuletzt stand unter anderem das von der anglikanischen Kirche Jerusalems getragene Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza unter Beschuss. "Es gibt mehrere Opfer im Innenhof des Krankenhauses, etwa 30 Meter von unseren Teams entfernt, aber sie können sie nicht erreichen", teilte der "Palästinensische Roter Halbmond" am Donnerstagabend mit. Israelische Panzer belagerten das Gebiet, die Angriffe hielten an.
Nach einem Angriff auf ein jordanisches Militärkrankenhaus im Gazastreifen mit sieben Verletzten sprachen sich die USA erneut gegen Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen aus - ohne jedoch Israel direkt zu beschuldigen. US-Außenminister Antony Blinken äußerte in einem Telefonat mit dem jordanischen Außenminister Ayman Safadi "große Sorge".
Israels Regierungschef sieht derweil "starke Hinweise" darauf, dass Geiseln von der Hamas im größten Krankenhaus des Gazastreifens festgehalten wurden. Das sei einer der Gründe für den Einmarsch israelischer Soldaten in die Schifa-Klinik gewesen, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem amerikanischen Fernsehsender CBS. Kämpfer der islamistischen Terrororganisation Hamas hatten Israel am 7. Oktober angegriffen und etwa 1.200 Menschen brutal umgebracht. Zugleich wurden rund 240 Menschen als Geiseln verschleppt.
Im Video: Gefechte im Gazastreifen halten unvermindert an
Mehr als 11.000 Tote – Netanjahu: "Jeder zivile Tod eine Tragödie"
Netanjahu drückte in dem Interview zugleich sein Bedauern aus, dass es Israel nicht gelungen sei, Opfer unter der zivilen Bevölkerung zu vermeiden. "Wir versuchen, diesen Job mit minimalen zivilen Opfern zu beenden. Aber leider ist uns das nicht gelungen", sagte Netanyahu. Jeder zivile Tod sei eine Tragödie. Israel tue alles, um die Zivilisten zu schützen." Also wir werfen Flugblätter ab, wir rufen sie auf ihren Handys an und sagen: 'Geht'. Und viele sind gegangen", sagte Netanjahu.
Laut palästinensischen Angaben, die sich bei vergangenen Konflikten im Nachhinein als zuverlässig erwiesen haben, wurden bereits über 11.000 Menschen getötet. Die Vereinten Nationen übernehmen diese Zahlen.
Neben der Toten und Verletzten aufgrund der Gefechte und Angriffe droht im Gazastreifen inzwischen auch eine Hungersnot. "Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser existiert im Gazastreifen praktisch nicht mehr", erklärte die Direktorin des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP), Cindy McCain. Nur ein Bruchteil des Benötigten gelange in das palästinensische Gebiet. Den Bewohnern drohe die "unmittelbare Möglichkeit des Verhungerns".
Israel genehmigt täglich zwei Lkw-Ladungen Treibstoff
Am Mittag wurde gemeldet, dass Israels Kriegskabinett täglich zwei Lkw-Ladungen Treibstoff in den Gazastreifen genehmigte. Damit solle dazu beigetragen werden, den Bedarf der UN-Hilfsorganisationen zu decken. Die Entscheidung zur Erteilung der Genehmigungen sei auf Bitten der US-Regierung erfolgt. Die UN-Hilfslieferungen in den Gazastreifen waren zuvor abermals ausgesetzt worden. Als Grund wurden die Treibstoffknappheit und der Zusammenbruch der Kommunikationsmöglichkeiten über Handy, Telefon und Internet genannt. Die Lkw-Lieferungen ließen sich so nicht koordinieren, hieß es.
Mit Informationen von dpa, Reuters, epd, AFP, AP, KNA
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