Die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland sollen laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in jedem Fall bis zum kommenden Frühjahr Strom produzieren. Es werde nicht mehr geprüft, ob der Weiterbetrieb noch notwendig sei, sondern die Betreiber könnten sich darauf einstellen, sagte Scholz nach einem Treffen mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften in Berlin.
Scholz stellt klar: Am 15. April ist Schluss mit Atomkraft
Die genaue Nutzungsdauer der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke hängt laut Scholz in erster Linie von der Leistungsfähigkeit der vorhandenen Brennstäbe ab. Ein AKW könne etwa bis Anfang März laufen, ein anderes schaffe es vielleicht bis Mitte April, sagte er. Am 15. April sei aber mit der Atomkraft Schluss. Der Kauf neuer Brennstäbe sei ausgeschlossen. Scholz zeigte sich zuversichtlich, dass Deutschland gut über den Winter kommt.
Nach der Entscheidung des Bundeskanzlers im Atomkraft-Streit innerhalb der Ampel-Koalition war zunächst unklar geblieben, ob damit bereits festgelegt wurde, dass die Atomkraftwerke am Netz bleiben – oder ob das noch einmal geprüft werden sollte, wie es bisherige Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu einer "Einsatzreserve" vorsahen. Endgültig klar ist jetzt: Die verbliebenen drei deutschen AKW, darunter der bayerische Meiler Isar 2 bei Landshut, sollen über das ursprüngliche Ausstiegsdatum am 31. Dezember 2022 hinaus bis längstens Mitte April 2023 laufen.
Grüne: "Werden diesen Weg als Partei mitgehen"
Die Grünen sind von der Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für den Weiterbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke zwar nicht überzeugt, wollen sich aber nicht querstellen. "Unsere Haltung zum Atomkraftwerk Emsland ist klar: Es wird nicht gebraucht für Netzstabilität, der Weiterbetrieb macht deshalb fachlich wenig Sinn", sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang. Sie fügte aber hinzu: "Der Kanzler hat sich jetzt entschieden, Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz zu machen – wir werden diesen Weg als Partei mitgehen."
Die Ampel übernehme Verantwortung für die Energiesicherheit und die Netzstabilität in diesem Winter, sagte Lang. Klar sei auch: "Der Atomausstieg kommt. Es werden keine neuen Brennstäbe besorgt. Alle verbleibenden drei deutschen AKW werden zum spätestens 15 April 2023 vom Netz gehen." Die Zukunft gehöre ganz klar den erneuerbaren Energien. Daran werde auch nicht mehr gerüttelt, betonte Lang.
Entsprechend will auch die Grünen-Fraktionsführung ihren Abgeordneten im Bundestag empfehlen, dem Scholz-Vorschlag zu den Atomkraftwerken zu folgen. Das sagte die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Es gehe darum, eine Kontroverse nach einer verhärteten Lage abzuschließen, erklärte sie mit Blick auf einen langen Streit mit der FDP.
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SPD-Fraktionschef Mützenich kritisiert Grüne und FDP
Unterdessen warf SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich den Koalitionspartnern FDP und Grüne vor, durch ihren offenen Streit um den AKW-Weiterbetrieb das Machtwort von Kanzler Scholz erzwungen zu haben. Scholz habe die Frage nur deswegen durch Rückgriff auf seine Richtlinienkompetenz entscheiden müssen, weil die "Koalitionspartner sich tagelang, wenn nicht gar wochenlang verhakt haben", kritisierte Mützenich. Er bedauerte, dass FDP und Grüne "nicht die Möglichkeit genutzt haben, beim Bundeskanzler vertrauensvoll zu einer verabredeten Lösung zu kommen".
Dass Scholz nun erstmals ausdrücklich seine Richtlinienkompetenz als Kanzler genutzt habe, sei angesichts der Lage "erforderlich" gewesen. "Ich glaube, dass er klug genug ist, diese Möglichkeit nicht inflationär zu nutzen", fügte Mützenich allerdings hinzu.
- Zum Artikel: "Ist das alles?" – Bayern kritisiert AKW-Machtwort von Scholz
Kubicki denkt bereits an AKW-Betrieb über April 2023 hinaus
Viele Politiker der FDP zeigten sich mit Scholz' Entscheidung zufrieden – auch wenn die Liberalen eigentlich einen Weiterbetrieb mit neuen Brennstäben bis mindestens 2024 wollten. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki hält das mögliche neue Ausstiegsdatum 15. April allerdings nicht für ausgemacht. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte Kubicki: "Ich bin sicher, wir werden im Frühjahr nächsten Jahres neu diskutieren." Und weiter: "Wenn wir sie brauchen, müssen sie weiterlaufen, wenn nicht, dann sollen sie auch vom Netz." Gesetze hätten es "so an sich, dass sie jederzeit geändert werden können", betonte der FDP-Politiker.
CDU-Chef Friedrich Merz sieht das Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Atomstreit der Koalition derweil als Zeichen für schwere Spannungen innerhalb des Ampel-Bündnisses. "Die Inanspruchnahme der Richtlinienkompetenz auf diesem geradezu förmlichen Weg ist der vorletzte Pfeil, den der Regierungschef im Köcher hat, wenn es darum geht, seine Koalition zu disziplinieren", sagte Merz vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Das letzte Instrument wäre demnach die Vertrauensfrage im Bundestag.
Kritik an der Entscheidung von Kanzler Scholz kommt auch von der Linken. Der monatelange "Eiertanz" in der Frage der AKW-Laufzeiten "führt von der eigentlichen Frage weg", sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Offen sei etwa nach wie vor, wie der Kommissionsvorschlag zu den Gaspreisen umgesetzt werden soll. Bei der Atomenergie seien Monate "verschenkt" worden, auch bei der Gasumlage sei Zeit "verplempert" worden, beklagte Bartsch. "Im Ergebnis ist es so, dass unser Land nicht winterfest ist."
RWE: Atomkraftwerk Emsland kann länger laufen
Inzwischen ist auch klar: Das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen, an dessen Weiterbetrieb vor allem die Grünen Zweifel hatten, kann nach Angaben des Betreibers RWE bis April kommenden Jahres mit dem vorhandenen Brennstoff betrieben werden. Man habe mit den Vorbereitungen begonnen, damit die Anlage für einen Weiterbetrieb zur Verfügung steht, teilte RWE mit. Demnach könnte das 1988 ans Netz genommene Atomkraftwerk von Anfang Januar bis Mitte April kommenden Jahres rund 1,7 Terrawattstunden Strom erzeugen.
Zustimmung zur AKW-Entscheidung kommt auch vom Kraftwerksbetreiber PreussenElektra. Das Unternehmen betreibt den Meiler Isar 2 in der Nähe von Landshut. "Wir erwarten jetzt eine zügige gesetzliche Umsetzung und werden unsere Vorbereitungen auf einen Weiterbetrieb fortsetzen", sagte Guido Knott, Vorsitzender der Geschäftsführung.
Mit Informationen von dpa und AFP
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