Russische Truppen haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Teilen der ostukrainischen Region Luhansk die ukrainischen Verteidigungslinien durchbrochen. Während der russischen Offensive hätten sich die ukrainischen Truppen bis zu drei Kilometer von ihren vorherigen Stellungen zurückgezogen, erklärte das Ministerium in Moskau. Die ukrainischen Streitkräfte seien gezwungen gewesen, Ausrüstung und die Leichen von Kameraden zurückzulassen.
Eine unabhängige Bestätigung der Angaben war nicht möglich. Der Generalstab der ukrainischen Armee erwähnte keine wesentlichen Rückschläge in Luhansk. Russische Artillerie, Drohnen und Raketen bombardieren seit Monaten unablässig die von der Ukraine gehaltenen Gebiete im Osten des Landes. Die Hauptlast entfällt auf die Regionen Donezk und Luhansk, die zusammen die Industrieregion Donbass bilden. Dorthin verlegte Moskau zuletzt weitere Truppen.
"Mit der schieren Masse an Menschen"
Die Zahl der russischen Boden- und Luftangriffe nehme jeden Tag zu, sagte der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj. "Die Russen waren in der Lage, neue Kräfte für die Offensive zu verlegen, und jetzt versuchen sie, uns mit der schieren Masse an Menschen zu überwältigen", erklärte er. Sein Kollege in Donezk, Pawlo Kyrylenko, sagte, eine Stadt in der Region sei am Vortag mehr als drei Stunden lang ununterbrochen mit Raketenwerfern angegriffen worden. Dabei seien mindestens zwölf Wohngebäude beschädigt worden.
Angesichts des bevorstehenden Jahrestags des Kriegsbeginns und des bevorstehenden Frühlings könnten die Gefechte Beobachtern zufolge eine kritische Phase erreichen, in der beide Seiten Offensiven starten. Für Moskau könnte ein Hindernis im eigenen Land liegen: Russlands Rüstungsproduktion werde zu einer kritischen Schwäche, urteilte das britische Verteidigungsministerium am Mittwoch.
Experten loben Abwehrkampf in Bachmut
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Lage an der östlichen Front als "äußerst schwierig" bezeichnet. "Das sind buchstäblich Kämpfe um jeden Meter ukrainischen Landes."
Das amerikanische Institute for the Study of War beurteilte die fortgesetzte Verteidigung der Bergbaustadt Bachmut, ein Hauptziel der russischen Invasoren im Osten, durch ukrainische Truppen positiv. Der Einsatz sei strategisch sinnvoll, weil er den Angreifern den Schwung genommen habe, erklärte der Think Tank. Die Verteidigung habe die russischen Kräfte bedeutend dezimiert, darunter auch Einheiten der Söldnertruppe Wagner. Einige Beobachter hatten am Sinn der Verteidigung von Bachmut gezweifelt, weil dies die Chancen der erwarteten Frühjahrsoffensive beeinträchtigen könne.
Karte: Die militärische Lage in der Ukraine
EU erwägt neue Sanktionen
Die Europäische Union erwog unterdessen neue Sanktionen im Umfang von elf Milliarden Euro gegen Russland und einige Drittländer, die durch Lieferungen von Gütern russische Truppen unterstützen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte am Mittwoch, das Paket ziele darauf ab, Russland militärische Ausrüstung vorzuenthalten.
Zu den Vorschlägen gehören Strafmaßnahmen gegen sieben iranische Einrichtungen, um Russland am Einsatz von iranischen Drohnen für Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine zu hindern.
Weniger Panzer als versprochen
Anders als angekündigt wird die Ukraine nicht die von Deutschland in Aussicht gestellte Menge an Kampfpanzern erhalten. Nach Angaben von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sind am Mittwoch bei einem Treffen der sogenannten Panzerkoalition keine neuen Zusagen für Panzer vom Typ Leopard 2A6 gemacht worden. Demnach wollen nur Deutschland und Portugal dieses Modell liefern. "Da werden wir die Bataillonsstärke nicht erreichen", sagte Pistorius.
Die Bundesregierung hatte am 25. Januar das Ziel ausgegeben, "rasch zwei Panzer-Bataillone mit Leopard-2-Panzern für die Ukraine zusammenzustellen". Diese sind in der Ukraine üblicherweise mit jeweils 31 Panzern ausgestattet. Von Polen koordiniert seien mittlerweile knapp 30 Leopard 2A4 zusammengekommen, sagte Pistorius. Es gebe allerdings sonst nur die 14 von Deutschland versprochenen Leopard 2A6 und drei dieser Panzer aus Portugal. Schweden prüfe noch mögliche Panzerlieferungen.
Habeck: "Die Zeit drängt"
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) kritisierte den Zeitpunkt der Zusage für Panzerlieferungen als zu spät. "Ja, mit der Entscheidung, nun Leopard-1- und Leopard-2-Panzer zu liefern, tun wir, was wir derzeit tun können. Ein bisschen zu spät, aber immerhin ist es jetzt passiert", sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit". "Die Zeit drängt", sagte Habeck. "Alle rechnen mit einer furchtbaren russischen Offensive, Russland hat in den letzten Wochen die Angriffe schon verstärkt."
Aus London gab es einen Dämpfer für die ukrainischen Hoffnungen auf schnelle Kampfjet-Lieferungen. "Ich denke nicht, dass wir in den kommenden Monaten oder gar Jahren unbedingt Kampfjets liefern werden, denn das sind ganz andere Waffensysteme als etwa Panzerabwehrraketen", sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace in einem BBC-Interview.
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