Das Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz war schon häufig von Krisen und Kriegen geprägt. Doch die 60. Ausgabe des Treffens, an dem rund 50 Staats- und Regierungschefs sowie über 100 Ministerinnen und Minister teilnehmen sollen, findet in einer Situation statt, wo die Anzahl der Konflikte "schon ein bedrohliches Ausmaß" angenommen hätten und auch näher an Europa herangekommen seien. So beschreibt es Konferenzleiter Christoph Heusgen. Der ehemalige Botschafter Deutschlands bei den Vereinten Nationen hofft darauf, in den rund 48 Konferenzstunden Vertreter von verschiedenen Kriegs- und Konfliktparteien ins Gespräch zu bringen.
Donald Trump, der weiße Elefant im Raum
Fast 800 Teilnehmende stehen auf der langen Liste der Münchner Sicherheitskonferenz. Einer ist nicht vermerkt, der trotzdem die Diskussionen in München maßgeblich mitbestimmen wird, quasi als "weißer Elefant im Raum": Donald Trump. Seit der ehemalige US-Präsident vor einer Woche mal eben mit wenigen Worten die globale Sicherheitsarchitektur infrage gestellt hat, herrscht Unruhe unter den Nato-Mitgliedsstaaten.
Trump hatte bei einem Wahlkampfauftritt erklärt, er würde als Präsident säumige Nato-Mitglieder nicht militärisch unterstützen. Wenn nicht alles täuscht, wird die Unruhe über diese Aussage auch im Tagungshotel Bayerischer Hof zu spüren sein. Dabei geht es um drei Punkte.
Erstens um die Stabilität des westlichen Militärbündnisses. Was ist die Nato wert, wenn mit den USA das wichtigste Mitgliedsland den militärischen Beistand an die Zahlungsmoral koppeln sollte? So hat es Donald Trump angekündigt. Vor einer Woche. Aber auch schon einmal in seiner Zeit als Präsident im Jahr 2018, als er in einem Interview anführte, Montenegro würde er nicht verteidigen wollen. Der Leiter der Sicherheitskonferenz plädiert dafür, nicht aufgeregt über die Worte des ehemaligen und vielleicht künftigen US-Präsidenten zu diskutieren. Vielmehr müssten die anderen Staaten ihre "Hausaufgaben" machen. Was zum nächsten Punkt führt.
Zweitens geht es um die Höhe der Verteidigungsausgaben der einzelnen Nato-Mitgliedsstaaten. Deutschland, das lange Zeit das Ziel verfehlte, zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, wird diese Nato-Verpflichtung 2024 erreichen. Und das soll auch in den Folgejahren so bleiben, wie Finanzminister Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz stets betonen. Allerdings ist die Frage unbeantwortet, wie die Finanzierung gewährleistet werden kann. Zur Diskussion steht, das Sondervermögen der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro deutlich aufzustocken oder die Regeln der Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben auszusetzen.
Drittens steht die Frage einer eigenständigeren europäischen Verteidigungspolitik im Raum. Konsens ist, dass Europa, unabhängig vom Wahlausgang in den USA, mehr für die eigene Verteidigungsfähigkeit tun muss. Wie dies aussehen soll, darüber gibt es aber unterschiedliche Vorstellungen. So dringt zum Beispiel der französische Präsident Emmanuel Macron seit Jahren darauf, dass Europa in seiner Sicherheitspolitik souveräner werden muss. Schon 2020 bot Macron den anderen europäischen Staaten Gespräche über eine eigene nukleare Abschreckung des "alten Kontinents" an. Kurz vor der Sicherheitskonferenz ist die Diskussion darüber aufgenommen worden. Mit sehr kontroversen Positionen.
Kriege im Fokus
Christoph Heusgen spricht sich explizit gegen eine europäische Atommacht aus. Zum einen sei das mit den Atomwaffensperrverträgen gar nicht vereinbar, zum anderen wolle er sich nicht einmal vorstellen, wie die europäische Sicherheit ohne den amerikanischen Schutzschirm aussehen würde. Aber Heusgen plädiert auch dafür, Macrons Gesprächsangebot aufzunehmen und Großbritannien als zweites europäisches Land, das Atomwaffen besitzt, miteinzubeziehen. Auf der Sicherheitskonferenz wird dieser Dialog nicht stattfinden, der französische Präsident ist nicht unter den Teilnehmern.
Im Zentrum der Sicherheitskonferenz werden die Kriege in der Ukraine und in Gaza stehen. Vor zwei Jahren hatte der ukrainische Präsident hier einen denkwürdigen und emotionalen Auftritt: "Wir werden vergessen", klagte Wolodymyr Selenskyj vier Tage vor dem russischen Überfall auf sein Land. Er warb vehement für Sicherheitsgarantien und eilte nach seiner Rede sofort zurück nach Kiew.
Selenskyj wird erwartet
Auch in diesem Jahr wird Selenskyj persönlich in München erwartet. Sein Werben um Unterstützung ist dringlicher geworden. Der Ukraine fehlen Waffen und Munition. Russland ist hier zum Teil um das Fünffache überlegen.
Hinzu kommt, dass ein US-Unterstützungspaket in Höhe von rund 60 Milliarden Dollar diese Woche zwar vom Senat befürwortet worden ist. Das republikanisch dominierte Repräsentantenhaus könnte es – und danach sieht es bisher aus – aber ablehnen. Europa wiederum wäre nicht in der Lage, diese Lücke zu füllen.
Heusgen: Sicherheitsabkommen ganz wichtig
Vor diesem Hintergrund seien Sicherheitsabkommen der Ukraine mit Unterstützer-Ländern ein "wichtiges Signal". So wertet es Christoph Heusgen und erinnert daran, dass Russland 1994 die Souveränität und Integrität der Ukraine garantiert hat, nachdem die Ukraine ihre Atomwaffen abgegeben hat.
Aber sowohl dieses Versprechen als auch das Minsker Abkommen hat der russische Präsident Wladimir Putin nicht beachtet. Daher sei es für die Ukraine besonders wichtig, Sicherheitsgarantien zu erhalten. Am liebsten wäre ihm, betont Heusgen, die Nato würde eine Mitgliedschaft der Ukraine vorbereiten.
Unterstützung der Ukraine
Neben Selenskyj werden auch die Europäer die Gelegenheit in München nutzen, um auf die republikanischen Senatoren und Abgeordneten für die Unterstützung der Ukraine einzuwirken. Nirgends außerhalb der USA sind an einem Ort so viele US-Abgeordnete anzutreffen wie auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Über Politik wird auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf den öffentlichen Podien diskutiert. Politik wird aber auch gemacht in den für die Öffentlichkeit unzugänglichen oberen Etagen des Hotels in zahlreichen bilateralen Treffen, die mitunter einem politischen Speed-Dating gleichen.
"Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele berechtigte Teilnahmewünsche wir aus Platzgründen ablehnen mussten", sagt Christoph Heusgen, der die Konferenz trotzdem nicht an einen noch größeren Veranstaltungsort verlegen will, weil im Bayerischen Hof alle allein durch die räumliche Enge gezwungen seien, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Peace through dialogue
Dazu passt das Motto, das die Konferenz seit jeher trägt: Peace through dialogue. Wobei seit drei Jahren keine russischen und auch keine iranischen Regierungsvertreter eingeladen sind. Russland, so Konferenzleiter Heusgen, müsse erst wieder zurück in die "Zivilisation" kommen und die Ukraine als Staat anerkennen. Dem Iran, der sowohl die Hamas als auch die Huthi-Rebellen unterstützt, wolle man keinen roten Teppich ausrollen.
Im Video: Hotel Weltpolitik - Inside Sicherheitskonferenz
Krieg in Nahost
Bis Donnerstagabend war die deutsche Außenministerin in Israel zu ihrem fünften Besuch in der Region seit dem Überfall der Hamas auf Israel. In München wird sie ihre Bemühungen um eine humanitäre Feuerpause und die Freilassung weiterer israelischer Geiseln fortsetzen. Gemeinsam mit US-Außenminister Anthony Blinken und anderen.
Der israelische Präsident Herzog und Außenminister Katz sind genauso angekündigt wie der Premierminister der palästinensischen Autonomiebehörde Mohammad Shtayyed. Dazu Repräsentanten etwa aus Katar und Ägypten, die im Krieg zwischen Israel und der Hamas eine Vermittlerrolle einnehmen.
Welche Rolle übernimmt China?
Überrascht hatte im Vorjahr in München die Ankündigung des chinesischen Außenministers Wang Yi, eine "Friedensinitiative" für die Ukraine zu starten. Noch kurz zuvor hatten sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Russlands Präsident Putin als "beste Freunde" bezeichnet.
Die Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Vorstoßes bestätigten sich nicht nur, sondern China stellte in der Folge seine Parteinahme für Russland unter Beweis: Chinesische Unternehmen verkauften kampffähige Drohnen und andere Waffenbestandteile an Russland. Außerdem kaufen China wie auch Indien Russland seit Kriegsbeginn Öl- und Erdgas in großem Maßstab ab.
Taiwan-Frage
Wang Yi wird an diesem Wochenende wieder in München auftreten. Und nach Einschätzung von Janka Oertel, Asien-Expertin des European Council on Foreign Relations, abstreiten, dass es so eine starke Unterstützung der russischen Regierung gibt, um das Friedensnarrativ zurückzugewinnen. Zugleich war zuletzt festzustellen, dass China aufgrund seiner zuletzt schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung um Investoren wirbt und offener auftritt. Was nicht bedeutet, dass China zum Beispiel in der Taiwan-Frage kompromissbereiter wird.
Peking sieht die Insel als eigenes Staatsgebiet an und droht mit Krieg, um seine Ansprüche durchzusetzen. Auch hier spielt die US-Wahl im November eine wichtige Rolle. Denn unter einem Präsidenten Trump könnte der amerikanische Schutz für Taiwan zur Disposition stehen.
Erweiterter Sicherheitsbegriff
Schon seit Jahren hat sich die einstige "Wehrkundetagung" zu einem globalen Diskussionsforum entwickelt. Heute ist die Konferenz stolz darauf, die "diverseste Konferenz ever" zu veranstalten. Der Sicherheitsbegriff ist längst erweitert.
Es geht nicht nur um militärische Sicherheit, sondern um Querschnittsthemen wie Klimasicherheit, Ernährungs- und Gesundheitssicherheit, Wirtschaftssicherheit. Es werden so viele Vertreterinnen und Vertreter aus Staaten des "Globalen Südens" erwartet wie nie zuvor.
Auszeichnung für Kampf gegen Klimawandel
Dazu passt, dass der "Kleist-Preis" in diesem Jahr an Mia Mottley und John Kerry vergeben wird. Die Premierministerin von Barbados und der Klimabeauftragte der US-Regierung und ehemalige Außenminister werden für ihre Bemühungen im Kampfe gegen den Klimawandel und dessen sicherheitspolitische Folgen ausgezeichnet. Der Preis ist nach dem Gründer der Sicherheitskonferenz, Ewald von Kleist, benannt.
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