Eineinhalb Wochen nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht in Berlin, aber auch in anderen Städten beschäftigt sich die Justiz mit der Aufarbeitung und Strafverfolgung, Politiker diskutieren weiter über Konsequenzen. Die Polizei in Berlin leitete inzwischen 102 Strafverfahren wegen Übergriffen auf Sicherheits- und Rettungskräfte ein. Das sagte die Berliner Polizeipräsidentin Barbar Slowik im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. 49 Verfahren beziehen sich demnach auf Übergriffe auf Polizeikräfte, 53 weitere werden wegen Übergriffen auf Einsatzkräfte der Feuerwehr geführt.
Polizei: Angriffe "so weder erwartbar noch prognostizierbar"
Laut Slowik gibt in den 49 Verfahren wegen Angriffen auf Polizistinnen und Polizisten insgesamt 37 Beschuldigte, entsprechende Zahlen zu den Verfahren wegen Übergriffen auf die Feuerwehr nannte sie nicht. Am Freitag übergab die Polizei demnach zudem bereits abgeschlossene 22 Verfahren mit insgesamt etwa zehn Verdächtigen zur weiteren Bearbeitung an die Staatsanwaltschaft. Zugleich verteidigte Slowik die Einsatzplanung in der Hauptstadt. Die Ausschreitungen und Angriffe auf Einsatzkräfte seien "so weder erwartbar noch prognostizierbar" gewesen. Insgesamt hätten einschließlich Bundespolizei knapp 3.000 Einsatzkräfte zur Verfügung gestanden.
Faeser fordert "schnelles Aburteilen"
In der Silvesternacht wurden Einsatz- und Rettungskräfte in Berlin massiv angegriffen. Zum Teil musste die Polizei ausrücken, um Feuerwehrleute beim Löschen von Bränden gegen Angriffe zu schützen. Allein in der Hauptstadt wurden 33 Einsatzkräfte verletzt. Die gewalttätigen Angriffe lösten eine breite Debatte über Konsequenzen aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte ein zügiges Durchgreifen der Justiz. "Ein schnelles Aburteilen dieser jugendlichen Straftäter - das ist das Maß der Dinge, was wir dieser Tage brauchen", sagte Faeser nun bei der Jahrestagung des Beamtenbunds dbb in Köln. "Nur eine schnelle Strafe, die auf dem Fuß folgt, schafft Respekt."
Pläne zur Verschärfung des Waffenrechts
Nach den Krawallen und den aufgeflogenen Putschplänen einer Reichsbürger-Gruppe will Faeser zudem das Waffengesetz in Deutschland verschärfen. Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" sieht der Gesetzentwurf aus dem Innenministerium ein Verbot besonders gefährlicher halbautomatischer Waffen für Privatleute vor. Schreckschusspistolen und die bei Reichsbürgern beliebten Armbrüste sollen künftig nur gegen einen Waffenschein zu haben sein, schreibt die Zeitung unter Berufung auf das 48 Seiten lange Papier. Faeser hatte sich bereits vor den Ausschreitungen zu Silvester für eine Verschärfung des Waffenrechts ausgesprochen.
Beamtenbund: "Unsere Kollegen stehen (...) im Feuer"
Der Chef des Beamtenbunds, Ulrich Silberbach, übte derweil massive Kritik am Umgang mit den Krawallen. "Wir stehen unmittelbar davor, die Handlungsfähigkeit zu verlieren", sagte er am Wochenende. Die Politik müsse "mit ihren Schaufensterreden aufhören. Wir brauchen nicht noch mehr Studien und Lagebilder". Der Politik warf Silberbach hilflosen Aktionismus vor. "Unsere Kollegen stehen da draußen im wahrsten Sinn des Wortes im Feuer." Sein Vorwurf: "Unsere Politik schwurbelt rum, statt den eigenen Beschäftigten den Rücken zu stärken." Die Botschaft müsse sein: "Wer Polizisten oder Rettungskräfte angreift, greift den Staat an und wird mit der vollen Härte verfolgt und bestraft."
Diskussion über Migrationshintergrund
Silberbach sagte der Düsseldorfer "Rheinischen Post" vom Samstag: "Der Respekt vor dem Staat kommt bei einer bestimmten Klientel völlig abhanden." Zur Diskussion über das Thema Migrationshintergrund sagte er: "Ich will da gar nicht herumeiern, so wie es die Politik derzeit leider tut." Bei der Tagung in Köln sagte Silberbach zudem: "Auch in Berlin-Neukölln erwarten die Bürgerinnen und Bürger - egal welcher Religion, Hautfarbe oder Herkunft - einen starken Staat." In Neukölln waren die Ausschreitungen besonders heftig.
Faeser verwies mit Blick auf die Silvester-Krawalle auf Opfer mit Zuwanderungsgeschichte. Auch Menschen mit Migrationshintergrund hätten besonders unter der Gewalt gelitten, sagte die SPD-Politikerin. "Sie müssen wir doppelt schützen: vor Gewalttätern und vor einem Generalverdacht."
In den vergangenen Tagen hatten sich Berlins regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen Schlagabtausch geliefert. Giffey sagte der "Berliner Zeitung" mit Blick auf die massive Kritik der CSU am Umgang mit den Krawallen: "Wenn in einer fast Vier-Millionen-Metropole 145 Chaoten Mist bauen, kann man nicht daraus folgern, dass alle anderen Einwohner hier auch Chaoten sind." Bayern habe "vor der eigenen Tür einiges zu kehren, zum Beispiel in Sachen Reichsbürgertum", betonte die SPD-Politikerin und fügte hinzu: "Ich gebe Herrn Söder ja auch keine Ratschläge."
Bayern gibt Berliner Landesregierung Mitschuld aus Krawallen
Der CSU-Vorsitzende Söder sowie weitere Unionspolitiker üben seit Tagen scharfe Kritik an der Berliner Landesregierung und geben ihr eine Mitschuld an den Ausschreitungen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte finanzielle Sanktionen für die Berliner Landesregierung über den Länderfinanzausgleich. Ähnlich äußerte sich CSU-Generalsekretär Martin Huber auf Twitter.
Saleh: Versuch der CSU, Wahlkampf zu beeinflussen
Giffeys Ko-Vorsitzender der Berliner SPD, Raed Saleh, sagte der "Berliner Zeitung", die Attacken seien "Teil einer abgestimmten Strategie innerhalb der Union". Söder und CDU-Chef Friedrich Merz versuchten, den Wahlkampf in Berlin zu beeinflussen, sagte Saleh mit Blick auf die am 12. Februar anstehende Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Er warf den Unionsspitzen vor, "mit rechter Rhetorik die Stadt schlecht- und kaputtzureden".
Für Diskussion hatte zuletzt auch der Fragenkatalog der Berliner CDU für den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses gesorgt, die nach Vornamen von Tatverdächtigen gefragt hatten. Dies hatte heftige Kritik von SPD und Grünen ausgelöst. Die CDU-Anfrage hatte auch in den sozialen Medien für zahlreiche Reaktionen gesorgt. Insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund machten ihren Unmut über die Frage zu den Vornamen öffentlich. So schrieb unter anderem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Wochenende: "Mein #Vorname ist Cem. Und jetzt?"
Ausschreitungen und "Sieg Heil-Rufe" in sächsischer Stadt Borna
In den sozialen Medien verwiesen zudem viele Menschen auf die Ausschreitungen in der sächsischen Kleinstadt Borna bei Leipzig. Dort kam es Berichten zufolge in der Silvesternacht ebenfalls zu Krawallen. Es seien unter anderem gezielt Raketen auf das Rathaus abgefeuert worden. Zeugen berichteten zudem von "Sieg Heil"-Rufen. "Ich finde wir sollten auch über die Ethnie der 200 Leute diskutieren, die in #Borna Silvester Rettungskräfte und Polizei gezielt angegriffen haben, Hitlergrüße zeigten und randalierten", schrieb zum Beispiel der Leipziger Stadtrat Jürgen Kasek (Grüne).
Mit Material von AFP und dpa
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