Mehrfach sind Staatsanwaltschaft und Polizei in den vergangenen Wochen gegen Islamisten vorgegangen – auch wegen antisemitischer Propaganda und der Billigung von Terror, etwa am vergangenen Donnerstag: Im Zusammenhang mit dem Verbot der islamistischen Terrororganisation Hamas und des internationalen pro-palästinensischen Vereins Samidoun wurden 15 Objekte in Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein durchsucht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser richtete dabei ihre Worte auch an die Hamas-Unterstützer: "Unsere heutigen Maßnahmen zeigen, dass wir unser konsequentes Vorgehen gegen radikale Islamisten fortsetzen." Islamisten und Antisemiten "können und dürfen sich hier nirgendwo sicher fühlen", so die Ministerin.
Wie der Verfassungsschutz einen Islamisten überführt
Allerdings ist die Lage kompliziert. Nicht alle Islamisten, die antisemitische Propaganda verbreiten, können gestoppt werden. Das zeigt der Fall eines Islamisten, den BR24 recherchiert hat. Diese Geschichte liefert Einblick in einen geheimen Chat und wie Bayerische Verfassungsschützer Islamisten ausspionieren: Über ein gefaktes Social-Media-Profil kommt der Verfassungsschutz via Chat mit einem Islamisten in Kontakt.
Er ist Teil einer Gruppe von mehreren Dutzend Deutschen, die bis heute in Nordwestsyrien für islamistische Terrorgruppen kämpfen. Bis zu einer Ausreise 2016 hatte der Mann sich in der Augsburger Salafisten-Szene bewegt.
Mitarbeiter des Bayerischen Verfassungsschutzes geben sich in dem Fake-Account als Frau aus – und gewinnen das Vertrauen des deutschen Islamisten in Syrien. Bald stellt sich heraus: Der Islamist verbreitet Mythen zu einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung. Corona etwa, teilt er in dem Geheimchat mit, sei dazu benutzt worden, "die Menschenrechte einzuschränken und eine Weltordnung für die Zionisten zu schaffen."
An diesem Beispiel wird deutlich, wie Islamisten vorgehen. Unsichere Menschen werden im persönlichen Kontakt manipuliert – auch mithilfe antisemitischer Weltbilder, etwa dargestellt in der Youtube-Serie "The Arrivals". Diese Serie ist seit mehr als zehn Jahren im Netz abrufbar. Sie ist wie eine Film-Dokumentation aufgebaut und enthält viele Verschwörungsmythen. Und: Immer wieder werden antisemitische Narrative aufgegriffen, zum Beispiel, dass jüdische Eliten die gesamte Menschheit manipulierten.
Antisemitismus-Forscher warnt vor Anschlägen
Genau diese Youtube-Serie hat der ausspionierte Islamist dem Fake-Profil des Verfassungsschutzes empfohlen. Aber: Weil er sich in Syrien befindet, können deutsche Behörden diesen Islamisten nur schwer aufhalten. Er und andere verbreiten von Syrien aus ihre Propaganda via sozialer Netzwerke – und zwar teilweise auch öffentlich auf Deutsch.
Seit den Gräueltaten der Hamas in Israel Anfang Oktober sind ihre Botschaften stark antisemitisch geprägt. Ein islamistischer Antisemitismus sei das, sagt Kim Robin Stoller, Vorsitzende des Internationalen Instituts für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung.
Entsprechende Akteure agierten "religiös begründet antisemitisch gegen Jüdinnen, sogenannte Zionisten und die Existenz Israels". Stoller zufolge gehen Islamisten davon aus, "dass die Existenz eines jüdischen Staates prioritär bekämpft werden muss": "Also die islamische Umma, die Gemeinschaft der gläubigen Muslime, soll sich über den gemeinsamen Kampf gegen die Juden und Zionisten vereinen."
Genau diese Beschwörung der Umma spielt seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober in der Internetpropaganda eine große Rolle, wie Recherchen von BR24 zeigen. Laut Kim Robin Stoller waren die Hamas-Attacken ein "Trigger-Ereignis" für Islamisten. Entsprechend hoch sei nun die Anschlagsgefahr.
Pädagoge: Islamistische Influencer wiegeln Jugendliche auf
Ende Oktober wurde ein deutscher Islamist verhaftet, weil er einen Anschlag auf eine pro-israelische Demo geplant haben soll. Der Anwalt des verhafteten Duisburgers bestreitet die Vorwürfe der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf. Der 29-jährige Verhaftete war mehrere Jahre in Syrien und sammelte Kampferfahrung bei der Terrorgruppe IS. 2017 wurde er nach seiner Rückkehr nach Deutschland zu fünf Jahren Jugend-Freiheitsstrafe verurteilt.
Doch wer wiegelt die Szene auf? Der Pädagoge Burak Yilmaz berät die Bundesregierung zum Thema Antisemitismus. Er warnt vor islamistischen Influencern, die zum Teil auch zu Demos aufriefen. Den Jugendlichen werde in Social-Media-Vorträgen, etwa auf TikTok, von diesen Islamisten eingeflüstert: "Wenn ihr Muslime seid, dann geht ihr auf diese Demos, und dann verteufelt ihr Israel." Die eigene muslimische Identität werde so an den aktuellen politischen Konflikt angebunden, so Yilmaz. "Und das ist halt auch eben das, was diese Dynamik ergibt, dass Menschen auch auf die Straße gehen."
Islamist schimpft auf "faschistisches Regime Israel"
Islamisten treten immer massiver auf – in Berlin oder auch in Essen. Dort waren es Anfang November rund 3.000 Demonstranten. Laut Medienberichten forderten sie Freiheit für Palästina, aber auch ein Kalifat in Deutschland.
In Internetvideos sind zudem Fahnen sichtbar, die der sogenannten Hizb ut-Tahrir zugeordnet werden, eine Organisation, die 2003 in Deutschland verboten wurde. Laut Verfassungsschützern will sie den Staat Israel vernichten. In Deutschland gibt es Organisationen, bei denen Verfassungsschützer davon ausgehen, dass sie der Hizb ut-Tahrir nahestehen. Dazu gehört "Generation Islam", deren Redner gegen Israel hetzen – bisher im Netz und neuerdings auch auf der Straße. So war ein Prediger von "Generation Islam" Wortführer bei der Demo in Essen. Bei seiner auf Instagram ausgestrahlten Rede empfiehlt er auch die Lektüre sogenannter alternativer Medien. "Ihr müsst euch nur zehn Minuten Zeit nehmen. Und dann erkennt ihr, was für ein faschistisches Regime Israel tatsächlich ist", brüllt er vor versammelter Menge ins Mikrofon.
Wer sich für Israel einsetzt, wird schnell bedroht
Auch Russland spielt eine Rolle bei der Verbreitung islamistischer Hetze. Aslan Arzuev ist Muslim und Anwalt. Seit acht Jahren lebt er in Hamburg. Er kommt aus Tschetschenien – einer Teilrepublik Russlands im Nordkaukasus. In sozialen Netzwerken kritisiert der Anwalt das Putin-Regime, vor dem er geflohen ist. Aber auch Islamisten machen ihm das Leben schwer – solche, die in der tschetschenischen Diaspora in Deutschland stark vertreten sind. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel hat Arzuev in sozialen Netzwerken mehrfach die Terroristen verurteilt. Die Folge: Er wurde von Islamisten bedroht. "Dein Blut ist freigegeben", "Wir werden dich töten", "Wir werden dich schnappen und bestrafen", "Verräter": Mit solchen Sätzen sei er bedroht worden, berichtet Arzuev.
Auch ein Video wurde erstellt. Es zeigt Arzuev in einem brennenden Grab, zusammen mit den Flaggen der USA und Israels. "Ich bin überzeugt, dass dieses Video von russischen Geheimdiensten erstellt wurde. Denn nach Veröffentlichung wurde es schnell von pro-russischen Accounts und Bloggern verbreitet", sagt der Tschetschene.
Die russische Regierung äußerte sich zu diesen Vorwürfen bislang nicht. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Russland im Verdacht steht, islamistische Propaganda zu fördern. Die schwedische Regierung zum Beispiel hat vor ein paar Monaten davor gewarnt, dass Russland bewusst über seine Internet-Kanäle islamistische Narrative streut, damit Islamisten im Westen Unruhe stiften. Und dazu gehört letztlich auch die Verbreitung von Antisemitismus.
Experte: Entwicklung neuer Erinnerungskultur ist wichtig
Unabhängig, wer die Propaganda produziert: Verzerrte islamistische Botschaften kommen via sozialer Netzwerke auch bei jungen Menschen an. Das Problem werde angesichts der Eskalation in Nahost an Schulen sichtbar, sagt Pädagoge Yilmaz. Er hat zum Beispiel von Schülerinnen und Schülern gehört, die ihre Lehrkräfte beschimpfen, weil diese positiv über Israel sprechen. Aus Jugendzentren und Schulen höre er, "dass die Situation gerade sehr, sehr angespannt ist, dass die Emotionen kochen". Lehrer würden während des Studiums auf solche politisch aufgeladenen Konflikte nicht vorbereitet.
Yilmaz fordert langfristige Lösungen. Es gehe darum, eine neue Erinnerungskultur zu entwickeln, die deutlich mache, warum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland besonders wichtig sei. Viele Migranten hätten keine direkten Bezüge zur NS-Zeit. Sie seien vor allem in den Sechzigern, in den Siebzigern und 2015 eingewandert. Laut Yilmaz geht es darum, diesen Menschen zu vermitteln, dass sie und ihre Geschichte ein Teil Deutschlands sind. Genauso müssten Migranten aber auch verstehen, dass die Geschichte dieses Landes zu ihnen gehöre.
- Zum Artikel: Antisemitismus - Der Kampf um Jugendliche
Video: Durchsuchung am Donnerstag
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