Bewegung in Berlin – mit vielen Signalen: Die Parteispitzen von CDU/CSU und SPD treten gemeinsam vor die Kameras: Vorneweg Friedrich Merz und Saskia Esken, auch Markus Söder und Lars Klingbeil gehen nebeneinander. Einigkeit, Zuversicht und Vertrauen – das wollen SPD und Union ausstrahlen. Im Rekordtempo scheinen sie die erste Etappe geschafft zu haben, die Sondierungsgespräche sind geglückt. Doch es liegt noch ein weiter Weg vor ihnen. Ein analytischer Überblick.
- Weitere Informationen und Hintergründe zum Sondierungspapier bei tagesschau.de
Migration: Grenzkontrollen und Zurückweisungen
Mit Spannung wurde das Ergebnis beim Thema Migration erwartet – es galt bis zuletzt als einer der größten Knackpunkte. Der wohl nächste Kanzler Merz (CDU) zog mit dem Versprechen in den Wahlkampf, einen härteren Kurs einzuschlagen. Dieser soll kommen, beim Thema Asylpolitik wird die Unions-Linie im Sondierungspapier deutlich: Mit verstärkten Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen – auch von Asylbewerbern. Aber in enger Absprache mit den europäischen Nachbarländern. Das von Merz versprochene De-facto-Einreiseverbot für alle Asylbewerber könnte somit kommen. Im Papier wird in diesem Zusammenhang auch das Wort "rechtsstaatlich" betont.
Mit all diesen Vorhaben soll die irreguläre Migration begrenzt werden. Abschiebeflüge nach Afghanistan und Syrien soll es geben – dafür keine Flüge mehr nach Deutschland, denn: Freiwillige Aufnahmeprogramme sollen gestrichen, ebenso der Familiennachzug für vorübergehend Schutzberechtigte ausgesetzt werden. Mehr Befugnisse soll es für die Bundespolizei geben. Das Motto: Begrenzung statt Zuwanderung.
All diese Punkte erinnern an das zuletzt im Bundestag gescheiterte "Zustrombegrenzungsgesetz". Das hatte die Union noch während des Wahlkampfs eingebracht. Damals stimmte unter anderem die AfD dafür, die SPD dagegen. Jetzt finden sich die härteren Maßnahmen im Sondierungspapier von Schwarz-Rot, die SPD hat sich bewegt.
Milliarden-Paket für Verteidigung und Infrastruktur
Was sie wohl musste, denn: Es ist vor allem SPD-Chef Klingbeil, der das geeinte Milliarden-Finanzpaket als Erfolg seiner Partei betont – auch bei der Pressekonferenz: ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Infrastruktur, die Auflösung der Schuldenbremse bei Verteidigungsausgaben sowie die Lockerung der Schuldenbremse für die Bundesländer. Für die Union und Merz bedeutet das eine 180-Grad-Wende beim Thema Finanzen und Schulden. Deutlich wird die Handschrift der Sozialdemokraten auch beim Thema Renten: Das Rentenniveau soll gesichert werden – ein Wahlversprechen der SPD. Ebenso ein Mindestlohn von 15 Euro.
Viele Wahlversprechen: Bürgergeld, Energiepreise, Agrardiesel
Das Bürgergeld hingegen wird wohl künftig anders heißen: Grundsicherung, womit die Union in den Wahlkampf gezogen ist. Im Sondierungspapier ist die Rede von einem "vollständigen Leistungsentzug" bei Arbeits-Totalverweigerern. Zuletzt hatte der noch amtierende Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in der Ampel-Regierung schärfere Sanktionen durchgesetzt. Die Bewegung bei den Sondierungen dürfte an diesem Punkt nicht schwer gewesen sein.
Freudig verkünden beide Seiten außerdem Erleichterungen für die Wirtschaft: mit niedrigen Energiekosten, einem Industriestrompreis und gedeckelten Netzentgelten. CSU-Chef Söder betont auch die bayerische Linie: Die Mehrwertsteuer in der Gastro soll auf sieben Prozent gesenkt werden, die höhere Mütterrente kommen und die Agrardiesel-Rückvergütung für Landwirte wieder eingeführt werden. Letztere hatte die Ampel-Regierung gestrichen, was zu wochenlangen Bauernprotesten geführt hatte.
Viele Gruppen sollen vom Sondierungspapier angesprochen werden und profitieren. Rot-Schwarz will Zuversicht vermitteln. Esken sendet am Weltfrauentag ein weiteres Signal in Richtung Frauen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gleicher Lohn, mehr Gerechtigkeit – all das müsse verbessert werden. Wie konkret – noch offen.
Sondierungspapier: Kompromiss als Vertrauensbasis
Klar hingegen: Beide Parteien sind aufeinander zugegangen. Die Parteispitzen wirkten ernst, dennoch partnerschaftlich. Ein "Jubel" bedeute das Papier aber für keine Seite, wie Söder klarmachte – es stellt einen ersten Kompromiss, eine Vertrauensbasis dar.
Auf die Frage, wie all die im Papier festgehaltenen und auch teuren Versprechen gegenfinanziert sind, weicht Merz zunächst aus. Er lässt erkennen, dass die konkreten Details bei den wohl anstehenden Koalitionsgesprächen noch harte Brocken werden. Jetzt müssen zunächst die Parteigremien zustimmen, dann wird am konkreten Koalitionsvertrag gearbeitet. Ein langer Weg steht Schwarz-Rot noch bis zu einer endgültigen Regierungsbildung bevor – mit einigen Stolpersteinen.
Milliarden-Paket von Schwarz-Rot: Es kommt auf die Grünen an
Die nächste Hürde liegt im geplanten Milliarden-Paket, für das eine Zweidrittelmehrheit nötig ist: Union und SPD sind im Bundestag auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Zwar hat sich Merz jetzt öffentlich auf sie zubewegt – sprach von "grünen Ideen". Denn es waren die Grünen, die schon lange eine Reform der Schuldenbremse und Investitionen in die Infrastruktur forderten – damals aber noch an FDP und Union scheiterten.
Auf Basis der Sondierungs-Einigung machen die Grünen-Chefs Franziska Brantner und Felix Banaszak jedoch klar: Der Plan von Schwarz-Rot, "das Land mit Geld zuzuschütten, bringt uns weiter weg von einer Zustimmung". Sie werfen Union und SPD vor, Wahlversprechen und bereits abgeschaffte Dinge wie die Ausweitung der Mütterrente oder den subventionierten Agrardiesel wieder einzuführen bzw. auszuweiten. Auch kritisieren sie, dass schwarz-rot die schwierige weltpolitische Lage missbrauchen würde, um die Wahlversprechen von Union und SPD zu finanzieren. Bei allem Geeinten spielten die Themen Zukunft und Klimaschutz für die wohl nächste Koalition keine Rolle, so die Grünen-Chefs. Doch das sind wohl die Bedingungen der Grünen für ihre Ja-Stimme im Bundestag.
Im Video: Einigung auf Sondierungspapier
Union und SPD haben sich auf ein gemeinsames Sondierungspapier verständigt.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!