Brandenburgs Innenminister wählt scharfe Worte: "Es passt nicht zusammen, davon zu reden, die Ukraine bestmöglich zu unterstützen – und im gleichen Atemzug fahnenflüchtige Ukrainer zu alimentieren", findet CDU-Politiker Michael Stübgen. Generell sei es ein Fehler, Geflüchteten aus der Ukraine sofort Bürgergeld zu zahlen. Das sei ein "Bremsschuh für die Arbeitsaufnahme", sagt Stübgen den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).
- Zum Artikel: "Union und FDP wettern gegen Bürgergeld – Ukrainer im Fokus"
Ähnlich äußern sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und weitere Politiker von Union und FDP. Um die Forderungen soll es ab Mittwoch beim Innenminister-Treffen der Bundesländer gehen. Vertreter der SPD und der Grünen sehen es anders. Was ist dran an den Vorwürfen? Wie viele ukrainische Wehrpflichtige leben hierzulande von Bürgergeld? Und wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer arbeiten in Deutschland? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie hoch ist das Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge?
Ukrainische Kriegsflüchtlinge können in Deutschland seit Juni 2022 Leistungen der Grundsicherung erhalten - anstelle der geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darauf haben sich damals Bund und Bundesländer verständigt. Begründet wurde das damit, dass Geflüchtete aus der Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben, sofort arbeiten dürfen und keine Entscheidung wie bei Asylbewerbern abwarten müssen.
Wie üblich haben auch Ukrainerinnen und Ukrainer Anspruch auf Bürgergeld, wenn sie über kein oder nur ein geringes Einkommen verfügen. Das Bürgergeld ist eine staatliche Sozialleistung. Abhängig von der jeweiligen Lebenssituation erhalten Anspruchsberechtigte monatlich eine bestimmte Summe. Wie viel genau zeigt die folgende Übersicht:
Wer ist in der Ukraine überhaupt wehrpflichtig?
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gilt in der Ukraine das Kriegsrecht – Wehrpflichtige dürfen bis auf wenige Ausnahmen eigentlich nicht ausreisen. Trotzdem haben Hunderttausende Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land verlassen, teils mit gefälschten Dokumenten, teils über die grüne Grenze.
Seit rund zwei Monaten sollen sie in ukrainischen Konsulaten im Ausland keine Reisepässe mehr erhalten – und damit gezwungen werden, sich bei der Armee zu registrieren und zurückzukommen. Von deutschen Behörden zurückgeschickt wird niemand: Alle ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland genießen, Stand jetzt, bis 2025 einen vorübergehenden Schutz nach Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes.
In der Ukraine sollen alle Männer ab 18 Jahren Grundwehrdienst leisten. Ab 25 kann man in den Krieg geschickt werden, offiziell erst nach einer mehrmonatigen Ausbildung. Wie in Deutschland kann man auch in der Ukraine den Kriegsdienst verweigern – dieses Recht haben aber nur die Angehörigen einiger kleiner Glaubensgemeinschaften. Es gibt jedoch weitere Möglichkeiten: Eingeschriebene Studierende und Männer mit kinderreichen Familien können einer Einberufung entgehen.
Wie viele ukrainische Männer sind aktuell in Bayern?
In Bayern sind aktuell gut 63.000 männliche ukrainische Staatsangehörige gemeldet, die das Land im Zuge des russischen Angriffskriegs verlassen haben. Das teilt das bayerische Innenministerium auf BR24-Anfrage mit. Was die Zahl der Ukrainer im wehrfähigen Alter betrifft, verweist das Ministerium auf das Bundesinnenministerium: Demnach halten sich im Freistaat rund 35.000 Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahren auf. Unklar bleibt, wie viele davon tatsächlich wehrpflichtig sind, also zum Militär müssten.
In ganz Deutschland befinden sich aktuell rund 260.000 ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren. Diese Zahl nennt das Bundesinnenministerium unter Verweis auf das Ausländerzentralregister. Insgesamt sind gut 1,1 Millionen ukrainische Flüchtlinge in Deutschland registriert – die meisten davon sind Frauen und Kinder. In Bayern leben laut dem hiesigen Innenministerium aktuell etwa 162.500 ukrainische Staatsangehörige, die ihr Land im Zuge des Kriegs verlassen haben.
Geflüchtete aus der Ukraine: Wie viele beziehen Bürgergeld?
Im Freistaat waren zuletzt 92.205 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit "Regelleistungsberechtigte", hatten also Anspruch auf Bürgergeld. Das teilt das bayerische Innenministerium auf BR24-Anfrage mit. Zwei Drittel davon waren im erwerbsfähigen Alter, darunter etwa 44.000 Frauen und 20.700 Männer. "Wie viele der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 'wehrpflichtig' sind, ist der Statistik nicht zu entnehmen", heißt es weiter.
Und wie viele arbeiten?
Im März 2024 gingen laut der Bundesagentur für Arbeit 185.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Das waren 127.000 mehr als vor Kriegsbeginn. Zusätzlich hatten 47.000 Ukrainerinnen und Ukrainer eine ausschließlich geringfügige Beschäftigung – 39.000 mehr als vor Kriegsbeginn.
In Bayern betrug die Beschäftigungsquote bei erwerbsfähigen Menschen aus der Ukraine 32,4 Prozent – Stand März 2024. Insgesamt beschäftigt waren im Freistaat 41.300 ukrainische Staatsangehörige, gut 28.000 mehr als vor Kriegsbeginn. Dazu zählen sozialversicherungspflichtig und ausschließlich geringfügige Beschäftigte. Das geht aus den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit hervor.
Im Herbst hatte die Bundesregierung angekündigt, mit einem "Job-Turbo" rund 400.000 Geflüchtete aus ihren Sprachkursen direkt in Jobs zu vermitteln – die Hälfte davon aus der Ukraine. Ein voller Erfolg ist das bisher laut Berichten nicht. Zuletzt sagte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums, viele Ukrainerinnen warteten auf einen Betreuungsplatz für ihre Kinder oder besuchten Deutsch-Kurse.
Bürgergeld für Ukrainer: Was wird kritisiert?
Kritik gibt es vor allem daran, dass ukrainische Männer in Deutschland Bürgergeld erhalten, obwohl sie eigentlich als Wehrpflichtige in der ukrainischen Armee gegen Russland kämpfen müssten. Das sei der deutschen Bevölkerung nicht mehr lange vermittelbar, sagte der bayerische Innenminister Herrmann zuletzt dem RND. Es könne jedenfalls nicht sein, "dass wir weitere Anstrengungen unternehmen, um die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen Russland zu unterstützen, was ich für richtig halte, und gleichzeitig prämieren, wenn jemand sich der Wehrpflicht entzieht".
Wie sein Brandenburger Amtskollege Stübgen hält es Herrmann für einen grundsätzlichen Fehler, dass Menschen aus der Ukraine sofort volles Bürgergeld erhalten. Die Bundesregierung setze damit "völlig falsche Anreize", sagte der CSU-Politiker der Bild-Zeitung.
Wie sieht es die Ampel-Bundesregierung?
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Bürgergeld-Zahlungen an ukrainische Kriegsflüchtlinge in Deutschland einzuschränken. Es gebe keine Änderungspläne, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag. Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums wies darauf hin, dass mit der Zuständigkeit der Jobcenter für Geflüchtete aus der Ukraine schneller Maßnahmen für ihre Integration in den Arbeitsmarkt ergriffen werden könnten.
Allerdings sind sich SPD, Grüne und FDP in ihrer Bewertung nicht einig. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai fordert künftig geringere staatliche Leistungen für Ukrainer, die vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland flüchten. "Neu ankommende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollten künftig kein Bürgergeld mehr bekommen, sondern unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen", sagte er der Bild-Zeitung. "Wir sollten nicht länger mit dem Geld der Steuerzahler Arbeitslosigkeit finanzieren, sondern müssen dafür sorgen, dass die Menschen in Arbeit kommen."
Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, sagte dagegen: "Die Behauptung, das Bürgergeld verhindere die Arbeitsaufnahme von Ukrainern, ist falsch." Erst durch das Bürgergeld und die Arbeit der Jobcenter hätten ukrainische Flüchtlinge Zugang zu arbeitsmarktpolitischer Unterstützung.
Antje Töpfer, Spitzenkandidatin der brandenburgischen Grünen bei der Landtagswahl im September, erklärte: "Die Forderung von Innenminister Stübgen, Bürgergeld an nach Deutschland geflohene Ukrainer im wehrfähigen Alter streichen zu wollen, ist unverantwortlich und inakzeptabel." CDU-Minister und der deutsche Staat können laut Töpfer gar nicht entscheiden, wer in der Ukraine wehrpflichtig sei und wer nicht.
Austausch zwischen bayerischen und ukrainischen Behörden?
Laut dem bayerischen Innenministerium gibt es aktuell keinen direkten Austausch zwischen bayerischen und ukrainischen Behörden über wehrpflichtige Ukrainer, die sich im Freistaat aufhalten und sich dadurch dem Kriegsdienst entziehen.
Der EU-weite Schutz für alle ukrainischen Kriegsflüchtlinge gelte derzeit bis 4. März 2025, teilt das Ministerium mit. Dieser Schutz differenziere "hinsichtlich der Schutzberechtigten nicht zwischen potentiell wehrpflichtigen Männern und sonstigen ukrainischen Staatsangehörigen". Deshalb liege es in der Zuständigkeit der Bundesregierung, auf EU-Ebene und mit den ukrainischen Partnern "die Zukunft wehrpflichtiger geflüchteter Männer aus der Ukraine zu klären".
Mit Informationen von dpa, epd und KNA
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