Ein Taurus-Marschflugkörper
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Solche Taurus-Marschflugkörper produziert der Hersteller MBDA im bayerischen Schrobenhausen.

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Taurus: Deutsche Soldaten müssten nicht in die Ukraine

Taurus: Deutsche Soldaten müssten nicht in die Ukraine

Die AfD und das BSW behaupten, für einen Taurus-Einsatz brauche es deutsche Soldaten in der Ukraine. Experten und Hersteller widersprechen dem seit Monaten. Wer die Falschbehauptung für sich nutzt, erklärt der #Faktenfuchs.

  • Laut Experten stimmt nicht, was die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel in einer ZDF-Sendung behauptet hat: für eine Taurus-Lieferung an die Ukraine brauche es deutsche Soldaten vor Ort.
  • Die AfD und das BSW haben auf Facebook die bereits widerlegte Behauptung dennoch verbreitet. SPD-Politiker behaupteten, es bräuchte deutsche Soldaten für die Eingabe der Taurus-Zielkoordinaten — was laut Experten ebenfalls nicht stimmt.
  • Kreml- und pro-russische Accounts heizen ebenfalls die Debatte an, wie bereits der Taurus-Abhörvorfall zeigte. Sie wollen die Unterstützung für die Ukraine schwächen.

Die USA haben der Ukraine erlaubt, amerikanische ATACMS-Raketen einzusetzen, die hunderte Kilometer ins russische Staatsgebiet reichen. Das fachte hierzulande die Debatte wieder an: Soll Deutschland Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern? Für Bundeskanzler Olaf Scholz lautet die Antwort weiterhin "Nein", denn er fürchtet, Deutschland könnte zur Kriegspartei werden.

Immer wieder werden in der Debatte um die militärische Unterstützung der Ukraine Falschinformationen verbreitet, die die Kriegsängste vieler Menschen ansprechen. Es geht darin um die Anwesenheit von deutschen Soldaten für den ukrainischen Einsatz von Taurus. Und das obwohl Militär-Experten seit Monaten betonen: Deutsche Soldaten würden dafür nicht zwingend in der Ukraine benötigt; ukrainische Soldaten können die Taurus auch alleine bedienen (dazu später mehr). Pro-russische Accounts verbreiten diese Falschinformation gezielt, aber auch politische Parteien wie die AfD und das BSW nutzen die eigentlich bereits widerlegte Behauptung im Wahlkampf immer wieder für sich.

So sagte die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel Anfang Dezember in der ZDF-Sendung "Berlin Direkt": "Taurus kann nicht bedient werden von irgendwelchen Ukrainern. (...) Deutsche Soldaten müssten zur Ertüchtigung von Taurus in die Ukraine geschickt werden."

Die Falschbehauptung hält sich weiter in der öffentlichen Debatte. Der #Faktenfuchs hat recherchiert, warum — und was Parteien wie die AfD davon haben und was Russland mit der Verbreitung zu tun hat.

Kann die Ukraine Taurus ohne deutsche Soldaten vor Ort einsetzen?

Ja, laut Militär-Experten ist das durch Training der ukrainischen Soldaten und einen Umbau der ukrainischen Kampfjets möglich. Taurus-Marschflugkörper ähneln Raketen, haben aber - anders als Raketen - ein eigenes Triebwerk und damit einen durchgängigen Antrieb. Taurus sind rund fünf Meter lang, einen Meter breit und unbemannt. Sie werden als sogenannte Luft-Boden-Marschflugkörper von einem Flugzeug abgeworfen und können danach ihr Ziel selbstständig ansteuern. Sie müssen nach dem Abwurf also nicht mehr gelenkt werden.

Laut dem österreichischen Militärexperten Gustav Gressel braucht es keine deutschen Soldaten in der Ukraine, um Taurus-Marschflugkörper einzusetzen. Taurus werden "entweder durch ihr internes Navigationssystem gesteuert oder durch das GPS-System", so Gressel. Die oft genannte Sorge, dass nur deutsche Soldaten die benötigte Software für den Einsatz der Marschflugkörper programmieren oder vor Ort bedienen könnten, sei unbegründet. Man brauche nur die Zielkoordinaten, "da wird nichts programmiert und den Abschussvorgang nehmen ukrainische Soldaten selber vor", sagte Gressel im Gespräch mit dem BR.

Auch Rafael Loss, Sicherheits- und Verteidigungsexperte vom European Council on Foreign Relations in Berlin sagte gegenüber dem MDR: "Wenn die Bundesregierung die Entscheidung treffen würde, der Ukraine Taurus zur Verfügung zu stellen, dann kann zusammen mit der Industrie eine Anlernungs- und Lieferpipeline aufgebaut werden, die sicherstellt, dass keine Bundeswehr-Soldatinnen und -Soldaten beteiligt wären."

Hergestellt werden die Marschflugkörper im bayerischen Schrobenhausen von einer Tochter des europäischen Rüstungsherstellers MBDA. MBDA erklärte im März 2024 bereits, dass das Unternehmen ukrainische Soldaten "vollständig" ausbilden könne. "Wir können Nutzernationen von Taurus, und hier auch natürlich die Ukraine, vollständig im technischen Umfang mit dem System schulen, sodass unser Kunde, in dem Fall dann auch die Ukraine, alleinstehend technisch in der Lage ist, den Taurus zu betreiben und zu bedienen", sagte MBDA-Deutschland-Chef Thomas Gottschild.

Auch der Bundeskanzler sprach von Beteiligung deutscher Soldaten

Bundeskanzler Scholz hatte sich bereits 2023 gegen eine Taurus-Lieferung ausgesprochen und warnt seitdem vor einer drohenden "Eskalation des Krieges" durch eine Taurus-Lieferung.

Ende Februar 2024 erklärte Scholz, dass keine deutsche Soldaten involviert sein dürften. Diese Einschätzung bekräftigte er Mitte März, im Nachgang des Abhörvorfalls durch Russland. In einer Befragung im Bundestag sagte Scholz: "Es geht um die Beteiligung daran, wohin gezielt wird, wohin geschossen wird und wohin getroffen wird. Und das sollte nicht mit deutschen Soldaten passieren." Scholz wolle verhindern, "dass es zu einer Beteiligung Deutschlands in diesem Krieg kommt."

"Der Bundeskanzler hat im Zuge der Taurus-Debatte das Märchen in die Welt gesetzt, es brauche Soldaten des Westens, um diese Waffensysteme einzusetzen", sagt der österreichische Militärexperte Gustav Gressel von der Landesverteidigungsakademie Wien dem BR.

In einer Bundestagsdebatte Anfang Dezember sprach sich auch der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner gegen eine Taurus-Lieferung aus. Allerdings mit der Begründung, es sei notwendig, dass die Zielkoordinaten bei einem Taurus-Angriff von deutscher Hand eingegeben werden: "Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt unseren Kanzler darin, keine Waffen zu liefern, die weit in das russische Staatsgebiet hineinreichen oder für deren Zielplanung – wie beim Taurus-Marschflugkörper – deutsche Soldaten benötigt würden, weil wir keine Eskalation des Krieges wollen", so Stegner.

Experten: Ukrainisches Militär kann Zielkoordinaten auch selbst eingeben

Laut Experten stimmt es aber nicht, dass deutsche Soldaten die Zielkoordinaten eingeben müssten, sollte die Ukraine ein Ziel angreifen wollen. In einem Gespräch unter hohen Bundeswehroffizieren, das von Russland abgehört und veröffentlicht wurde, hieß es, dass auch am MBDA-Standort in Schrobenhausen die Eingabe der Zieldaten erfolgen könnte. Also: Der Hersteller könnte die Zielkoordinaten eingeben, statt der Soldaten. Laut Militärexperte Gustav Gressel sei aber auch das rein technisch nicht zwingend notwendig und weder der deutsche Hersteller noch deutsche Soldaten müssten die Zielkoordinaten eingeben. Ukrainische Soldaten könnten nach entsprechendem Training diese auch selbst direkt vor dem Abschuss eingeben, so Gressel im "Tagesspiegel".

Auch Raketenforscher Fabian Hoffmann von der Universität Oslo sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass ukrainische Soldaten die Zielkoordinaten selber eingeben könnten: „Die ukrainischen Soldaten müssen die Software verstehen und wissen, wie sie die Zielkoordinaten auf die Software einspielen," so Hoffmann. Das könnten sie laut Hoffmann innerhalb von drei Monaten lernen.

Auf eine Anfrage des #Faktenfuchs an die SPD verwies ein Pressesprecher lediglich auf das Regierungsprogramm der Partei. In diesem steht, dass Deutschland keine Kriegspartei werden dürfe. Die detaillierten Fragen des #Faktenfuchs zur Position des Kanzlers zu den Taurus-Lieferungen, wie etwa auf welche Informationen er die Einschätzungen zur Notwendigkeit deutscher Soldaten stützt, beantwortete die Pressestelle nicht.

Taurus-Abhörvorfall: Verstärker der öffentlichen Debatte

Russland selbst hat ein Interesse daran, die Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit um Taurus-Lieferungen für sich nutzen, sagt Richard Kuchta, Analyst bei ISD Germany - dem deutschen Dependance des Londoner Think-Tanks "Institute for Strategic Dialogue" - und Experte für ausländische Informationsmanipulation und Rechtsextremismus. Das ließe sich an bestimmten Vorfällen festmachen. Etwa dem Taurus-Abhörvorfall, der die Debatte um Taurus-Lieferungen Anfang März 2024 an die breitere Öffentlichkeit brachte, so Kuchta.

Damals verbreiteten russische Propagandakanäle - darunter der Telegram-Kanal der Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan - einen Mitschnitt von Beratungen deutscher Luftwaffenoffiziere zu theoretischen Möglichkeiten eines Taurus-Einsatzes in der Ukraine. Obwohl in dem Mitschnitt auch zu hören ist, dass es gar keine politische Zustimmung für eine Taurus-Lieferung gibt, stellten russischen Propagandakanäle die Diskussionen als konkrete Angriffsplanung dar.

Laut Kuchta war es dieser Vorfall, der die öffentliche Diskussion über die Lieferung von Taurus an die Ukraine angeschoben hat. Und der die Basis für alle weiteren Akteure schuf, die in den Monaten danach die widerlegte Taurus-Behauptung, es brauche deutsche Soldaten in der Ukraine, am Leben hielten.

Oft lassen sich die Ursprünge einer Falschbehauptung oder einer Desinformationskampagne nicht direkt auf eine bestimmte Quelle, wie etwa den Kreml, zurückführen, sagt Kuchta. Die Taurus-Behauptung, es brauche deutsche Soldaten in der Ukraine, werde seit Monaten auf Telegram geteilt. Allerdings vorwiegend von sogenannten alternativen Medien oder Influencern. Bei den Accounts, die das Narrativ aufgreifen, handele es sich vor allem um deutschsprachige Kreml-freundliche Quellen, so Kuchta. Direkte Verbindungen zum Kreml könne man meist aber nicht nachweisen.

Wie profitiert Russland von der Debatte?

"Das bringt viel Angst, viele Emotionen, und das ist eine sehr gute Gelegenheit für Russland - egal ob der Kreml das jetzt selber verbreitet oder nur die pro-Kreml-Accounts entsprechende Inhalte teilen. Es herrscht Unordnung, es gibt eine Debatte, in welcher auch widerlegte Informationen als Argumente genutzt werden, und davon kann Russland nur profitieren", so Kuchta.

Die falsche Behauptung zu deutschen Soldaten passt zur übergreifenden Strategie des Kremls, westliche Länder davor abzuschrecken, die Ukraine weiter zu unterstützen, sagt Julia Smirnova, Senior Researcherin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie, kurz CeMAS. "Seit dem Beginn der großangelegten Invasion versucht Russland, die Unterstützung für die Ukraine im Westen mit Einflusskampagnen zu untergraben", so Smirnova. "Lieferung von einzelnen Waffentypen wie Taurus werden als Eskalation seitens des Westens dargestellt – dabei wird ausgelassen, wie Russland mit seinen täglichen Angriffen auf die Ukraine den Konflikt eskaliert."

In Deutschland fiel die Behauptung auf fruchtbaren Boden. Dass von der deutschen Regierung im Frühjahr nach dem Abhörvorfall keine klare Einordnung zur Notwendigkeit von deutschen Soldaten in der Ukraine kam, sorgte dafür, dass die Falschbehauptung weite Kreise zog, so ISD-Experte Kuchta. Und erlaubte Kreml- und Kreml-nahen Accounts, die Diskussion für sich zu nutzen. "Sobald etwas Unklarheit herrscht und die Situation nicht nur schwarz und weiß ist - das ist der perfekte Zeitpunkt, um sehr starke und klare Narrative zu platzieren", so Kuchta.

AfD und BSW nutzen Soldaten-Behauptung im Wahlkampf

Auch die AfD und das BSW sprechen fälschlicherweise vor einem angeblichen Einsatz deutscher Soldaten beim Taurus - im Gegensatz zur SPD behaupten sie allerdings, dass die Soldaten direkt in der Ukraine zum Einsatz kämen.

Das BSW habe bereits früher das Narrativ von deutschen Soldaten in der Ukraine auf Social Media für sich genutzt, sagt ISD-Experte Kuchta. Im November stieg die Anzahl der Posts beider Parteien zu dem Thema auffällig stark an - als klar war, dass es vorgezogene Bundestagswahlen geben werde, so Kuchta. Am 19. November teilte die BSW-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen beispielsweise auf Facebook ein Interview mit ihr in der Tagesschau und schrieb dazu die inhaltliche falsche Aussage: "Wer jetzt deutsche Taurus-Raketen, die nur von deutschen Soldaten programmiert und abgefeuert werden können, an die Ukraine liefert, erklärt Russland praktisch den Krieg."

Am 4. Dezember teilte der offizielle AfD-Account auf Facebook einen Post gegen die Taurus-Lieferung, eingeleitet mit den Worten: "Es könnte Dein Kind sein, das bald in der Ukraine sein Leben riskieren muss". Der Post zeigte zudem ein Foto von Bundeswehrsoldaten, die eine Person im Leichensack transportieren, und wurde von drei anderen regionalen AfD-Accounts geteilt. Auf dem offiziellen AfD-Accounts wurde der Post über 2.000-mal geteilt und erhielt über 7.000 Likes.

"Es ist Wahlkampf", sagt Kutcha zur aktuellen Verbreitung solcher Behauptungen. Das habe zwei Effekte: Zum einen könnten Wähler angesprochen werden, die russlandfreundlich eingestellt seien. Zum anderen könne die AfD damit ihre politische Konkurrenz, also die CDU und die Bundesregierung, diskreditieren. Letzteres sei seit November ein Fokus in der Kommunikation der AfD - wie auch des BSW, so Kuchta.

Fazit

Deutsche Soldaten würden bei einem Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern durch die Ukraine nicht benötigt. Sie müssten nicht in der Ukraine vor Ort sein, sagen Militärexperten und der Taurus-Hersteller MBDA. Trotzdem schüren verschiedene Akteure mit der falschen Behauptung die Kriegsängste der Bevölkerung. Kreml- und pro-russische Accounts beispielsweise stellen Deutschland als Aggressor dar, um die westliche Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Die AfD und das BSW nutzen das Narrativ von deutschen Soldaten in der Ukraine im Wahlkampf für sich.

Die SPD argumentierte zuletzt gegen eine Taurus-Lieferung vor dem Hintergrund, dass bei einem Angriff mit Taurus zumindest die Zielkoordinaten von deutscher Hand eingegeben werden müssten. Das ist laut Experten allerdings nicht nötig, ukrainische Soldaten können mit entsprechendem Training die Zieldaten auch selbst eingeben.

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