Am 7. Oktober 2023 wurde Carmel als Geisel in den Gaza-Streifen verschleppt.
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Am 7. Oktober 2023 wurde Carmel als Geisel in den Gaza-Streifen verschleppt.

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Gefangen im Terror-Tunnel: Die Geschichte einer Hamas-Geisel

Gefangen im Terror-Tunnel: Die Geschichte einer Hamas-Geisel

7. Oktober 2023, 6.30 Uhr: Hamas-Terroristen überfallen den Kibbuz Be‘eri. Mehr als hundert Menschen werden ermordet. 30 werden verschleppt, unter ihnen die 39-jährige Carmel Gat. Ihr Cousin Gil Dickmann kämpft seitdem um die Freilassung der Geiseln.

Über dieses Thema berichtet: Euroblick am .

Eine junge Frau mit braunem Lockenkopf und breiten Grinsen tanzt, lacht und tobt: Die verwackelten Handyvideos zeigen Carmel Gat – in einer Zeit vor ihrer Entführung. Die damals 39-Jährige ist zu Besuch bei ihren Eltern im Kibbuz Be‘eri, als sie am 7. Oktober 2023 von der Hamas verschleppt wird. Seit diesem Tag wurde die inzwischen 40-Jährige nicht mehr gesehen. Und seitdem kämpfte ihr Cousin Gil Dickmann für ihre Freilassung.

Seinen Beruf als Marketingexperte hat er aufgegeben. Sein Leben dreht sich nur noch um Aktionen zur Freilassung der Geiseln. Viele Israelis, so auch Gil, sind der festen Meinung, ihre Regierung tue nicht genug. Gil ist inzwischen eine der wichtigen Stimmen der Geiselfamilien geworden. Seine Reden bewegen Zehntausende.

Hamas-Überfall zerreißt Familie

Als die Terroristen ihren Überfall starten, versteckt sich Carmel stundenlang mit ihrer 3-jährigen Nichte. Ein Terrorist verschleppt ihre Mutter Kinneret; wenig später liegt sie erschossen an einer Straßenecke. Verpixelte Fotos der Hamas belegen die traurige Geschichte, die Gil Dickmann erzählt. Carmels Vater, ihr Bruder, dessen Frau und die 3-jährige Nichte überleben den Angriff. Carmel selbst wird entführt.

Ehemalige Geiseln erzählen von Carmel

Dass aber Carmel noch immer lebt, da ist sich Gil zunächst sicher: "Wir wissen, dass Carmel am Leben ist. Zwei Geiseln, die zurückgekehrt sind, haben uns erzählt, dass sie sie die ganze Zeit gesehen haben. Ab dem Moment, als ihr Vater sah, wie sie verschwand. Dort wurde sie auf einen Pickup gezerrt". Es ist einer der wenigen Hoffnungsschimmer, an denen er sich klammert.

Denn – dass es anders ausgehen kann, beweist der Fall von Abraham Munder. Ende August wird der 79-Jährige beerdigt. Ein Tiefschlag für die Geiselfamilien: Sie gingen davon aus, dass Abraham noch leben würde und durch einen Deal freikommen könne. Doch das israelische Militär fand seine Leiche in einem Tunnel im Gazastreifen.

Rastloser Kampf für ein Geisel-Abkommen, für Carmel

Doch Rückschläge wie diese halten Gil Dickmann nicht davon ab, weiter für die Freilassung der übrigen Hamas-Geiseln zu kämpfen. Ein erstes Abkommen bringt 105 Geiseln zurück. Weitere werden von der israelischen Armee gerettet. Andere werden für tot erklärt. Mehr als 100 Geiseln sollen noch im Gazastreifen festsitzen. Wie viele von ihnen noch leben, ist völlig unklar.

Gils rastloser Kampf für Carmel haben ihn verändert. Anfangs war seine Kritik am israelischen Regierungschef noch zurückhaltend. Jetzt wird sie immer schärfer. Wie wichtig ist es Benjamin Netanjahu, die Geiseln nach Hause zu bringen, fragen sich viele Israelis. Warum treten die Verhandlungen mit den Terroristen auf der Stelle? Wie hilfreich sind die Proteste der Geiselfamilien überhaupt? Diese Fragen treiben viele Israelis um.

Kritik an Netanjahu wird immer lauter

Immer mehr werfen Netanjahu vor, es gehe ihm vor allem um sein politisches Überleben. Rechtsextreme und ultrareligiöse Kräfte in seiner Regierung verbieten ihm, der Hamas in den Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln Zugeständnisse zu machen. Ihr Ziel ist es, die Terrororganisation auszulöschen und den Gazastreifen erneut zu besetzen. Netanjahu scheint zwischen den Stühlen.

Die israelische Journalistin Ellie Hochenberg beobachtet Netanjahu seit Jahren und schätzt die Lage so ein: "Er will Macht gewinnen, um derjenige zu sein, der Geschichte schreiben wird. Um derjenige zu sein, der diese Geschichte, dieses Kapitel des jüdischen Volkes, also des Landes Israel, nach seiner Vorstellungen festhält. Und nicht die andere Seite dieses Kapitel schreiben lässt."

"Es tut mir so leid, dass wir so lange brauchen"

Zehntausende gehen immer wieder gegen Netanjahu auf die Straße. Gil organisierte im Juli vor dem israelischen Parlament, der Knesset, eine Protestaktion – eine von seinen vielen Aktionen im Kampf um ein Geisel-Abkommen, im Kampf um Carmel. "Meine Carmel, ich liebe Dich, ich mache mir Sorgen um Dich, es tut mir so leid, dass wir so lange brauchen", ruft Gil auf der Demonstration.

Am ersten September schließlich die traurige Gewissheit: Carmel ist tot. "Nach unserer ersten Einschätzung wurden sie von Hamas Terroristen brutal ermordet, kurz bevor wir sie lebend erreichen konnten", sagt Israels Armeesprecher Daniel Hagari in den Nachrichten.

Der Tod von sechs israelischen Geiseln versetzt das Land in Aufruhr. Noch am selben Abend gehen wieder Hunderttausende gegen die Regierung von Netanjahu auf die Straße.

Die Dokumentation "'Carmel, ich liebe dich!' Gefangen im Terror-Tunnel der Hamas" wird am 12. Januar 2025 um 23 Uhr im BR Fernsehen ausgestrahlt.

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