Eine Pflegerin, die Schutzkleidung trägt, steht auf einem Krankenhausflur.
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Ethisch nicht vertretbar, Ärzten und Angehörigen nicht zuzumuten – das Verbot der Ex-Post-Triage im Entwurf erhält Lob von der Kirche.

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Triage in Corona-Zeiten: Wer kommt zuerst?

Wenn Kliniken überlastet sind, müssen Ärzte die schwierige Entscheidung treffen, wen sie behandeln - und wen nicht. Ein Gesetzesentwurf sieht vor, dass Menschen mit Behinderung dabei nicht benachteiligt werden. Heute diskutiert der Bundestag darüber.

Wer wird behandelt, wenn Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen? Wer muss draußen bleiben? Eine schwierige ethische Frage, die vor allem in Corona-Zeiten sehr akut geworden ist. Im Dezember vergangenen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber aufgefordert, unverzüglich Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderung zu treffen, damit diese nicht benachteiligt werden. Die Regierung hat im August einen Gesetzentwurf vorgelegt. Heute wird er im Bundestag diskutiert.

Triage-Regelung in Pandemie-Zeiten besonders wichtig

"Wer ein Intensivbett benötigt, muss es bekommen – auch in der Pandemie. Daher werde ich mich weiterhin dafür einsetzen, dass Engpässe in der intensivmedizinischen Versorgung gar nicht erst entstehen, durch konsequente Bekämpfung der Pandemie. Gleichzeitig tragen wir mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Schutzpflicht Rechnung und stellen klar, dass Menschen mit Behinderungen oder Hochaltrige auch in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden dürfen." Karl Lauterbach, Bundesminister für Gesundheit am 24.8.2022

Die sogenannte "Triage-Regelung" ist Teil des Infektionsschutzgesetzes, das zu diesem Zweck ein weiteres Mal geändert werden soll. Damit reagiert die Bundesregierung auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, das am 16. Dezember 2021 entschieden hatte, dass sich aus dem Grundgesetz (Art. 3 Absatz 3 Satz 2) ein Auftrag für den Staat ergibt: Menschen mit Behinderungen müssen wirksam vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung durch Dritte geschützt werden. In Corona-Zeiten, in denen Kliniken und besonders ihre Intensivstationen schneller an Kapazitätsgrenzen gelangen könnten, ist dieser Schutzauftrag des Staates noch einmal wichtiger geworden.

  • Zum Artikel: "Triage wegen Corona? Was man darunter versteht"
  • Kriterien für intensivmedizinische Behandlung

    Im Gesetzentwurf ist festgehalten, dass ausschließlich auf Grundlage von "aktueller und kurzfristiger Überlebenswahrscheinlichkeit" entschieden werden darf, wer bei knappen Ressourcen infolge einer übertragbaren Krankheit intensiv-medizinisch behandelt wird und wer nicht. Nicht berücksichtigt werden dürfen insbesondere eine Behinderung, das Alter, die verbleibende mittel- oder langfristige Lebenserwartung, der Grad der Gebrechlichkeit und die Lebensqualität. Krankenhäuser müssen zudem festlegen, wie sie ihre Entscheidung treffen und wer wie zuständig ist. (Auch Dokumentationspflichten und ein Mehraugenprinzip sind vorgesehen.)

    Ebenfalls im Gesetzentwurf steht, dass eine "Ex-Post-Triage" nicht stattfinden darf. Das bedeutet, dass ein Patient, der bereits intensivmedizinisch behandelt wird und eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit hat, im Falle knapper Kapazitäten auch weiterhin behandelt werden muss. Seine Behandlung darf nicht ausgesetzt werden, um stattdessen einen Patienten mit besserer Prognose intensivmedizinisch zu versorgen.

    Verbot von "Ex-Post-Triage" – Lob von Kirchen, Kritik von Ärzten

    Kirchliche Wohlfahrtsverbände hatten darauf gedrungen, auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält Ex-Post-Triage für ethisch nicht vertretbar und weder Ärzten noch Patienten und Angehörigen zuzumuten. Bei der Bundesärztekammer gibt es hingegen Vorbehalte, weil die ärztliche Entscheidungsfreiheit davon berührt ist. Das Hauptargument: Die Letztverantwortung für die Behandlung von Patientinnen und Patienten sollten immer die behandelnden Ärztinnen und Ärzte haben.

    Auch von Seiten der Bundesländer gab es Kritik am Verbot der Ex-Post-Triage: Dies könne zu deutlichen Unsicherheiten in der Praxis führen, steht in einer Stellungnahme der Länderkammer zum Gesetzentwurf. Dass es im parlamentarischen Verfahren deswegen hier noch zu weitreichenden Änderungen kommt, ist wenig wahrscheinlich. Der Bundesrat berät zwar über den Gesetzentwurf, kann das Gesetz aber nicht blockieren, weil seine Zustimmung nicht erforderlich ist.

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