Bei der Präsidentenwahl in der Türkei hat Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan in der zweiten Runde gewonnen. Erdoğan sei zum 13. Präsidenten der Türkei gewählt worden, sagte der Chef der Wahlbehörde Ahmet Yener in Ankara.
Erdoğan selbst hatte sich noch vor Auszählung aller Stimmen zum Sieger erklärt. Er danke allen, die es ihm ermöglicht hätten, die nächsten fünf Jahre zu regieren, sagte der 69-Jährige am Abend vor jubelnden Anhängern in Istanbul. Im Fernsehen war zu sehen, wie er auf einem Wahlbus stehend den Wählern gratulierte und sich für die Unterstützung bedankte. Seine Anhänger feierten ihn mit "Allahu akbar"-Rufen (Gott ist groß). Er werde "bis ans Grab" bei seinen Anhängern sein, betonte der alte und neue Präsident.
"Tschüss, tschüss, tschüss, Kemal"
Wie bereits im Wahlkampf hetzte Erdoğan gegen lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Menschen. "Meine Brüder, ist diese CHP denn nicht für die LGBT?", sagte er auch am Sonntag mit Bezug auf die Partei von Kemal Kılıçdaroğlu. In seinem eigenen Wahlbündnis gebe es so etwas nicht, so Erdoğan. Er erhielt dafür laute Zustimmung aus dem Publikum.
Zugleich machte er sich über Kılıçdaroğlu lustig. "Tschüss, tschüss, tschüss, Kemal", spottete Erdoğan, während seine Anhänger buhten. "Der einzige Sieger heute ist die Türkei."
Kılıçdaroğlu will weiter für Demokratie kämpfen
Kılıçdaroğlu räumte seine Wahlniederlage indirekt ein. Er bedauere "die weit größeren Probleme", die das Land nun erwarteten, sagte Kılıçdaroğlu in Ankara. Damit deutete er an, dass Erdoğan die Stichwahl gewonnen hat, sagte dies aber nicht direkt. Er werde weiter für Demokratie kämpfen, sagte er. "Bei dieser Wahl ist der Wille des Volkes für den Wechsel einer autoritären Regierung trotz aller Repressionen deutlich zum Ausdruck gekommen."
Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu kam der türkische Präsident nach Auszählung von knapp 99 Prozent der Stimmen auf 52 Prozent, Kılıçdaroğlu auf 48 Prozent. Auch oppositionelle Agenturen kamen zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Wahlbeteiligung war - wie schon beim ersten Wahlgang - erneut sehr hoch und lag bei rund 85 Prozent. Vor dem Präsidentenpalast in Ankara versammeln sich Anhänger des Präsidenten.
EVP-Chef Weber fordert Abbruch des EU-Beitrittsprozesses
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, sprach sich dafür aus, den EU-Beitrittsprozess mit der Türkei zu beenden. "Die letzten Jahren haben gezeigt, dass eine enge Partnerschaft wichtig ist, eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU allerdings niemand mehr will - weder die Türkei noch die EU", sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
"Diesen Prozess müssen wir zu den Akten legen, weil er bessere Beziehungen mehr blockiert als unterstützt", sagte Weber. Vielmehr sei nun der "richtige Zeitpunkt gekommen für einen generellen Neustart zwischen der EU und der Türkei auf einer realistischen Grundlage". Die Beitrittsverhandlungen waren 2005 formal aufgenommen worden, liegen allerdings seit einigen Jahren auf Eis.
Opposition "dämonisiert"
In einer phoenix-Sondersendung sagte Yunus Ulusoy vom Essener Zentrum für Türkeistudien, Erdoğan habe die Opposition im Wahlkampf "dämonisiert" und sei damit erfolgreich gewesen. Zugleich habe es die Opposition sehr schwer gehabt. Die Neu-Ulmer Journalistin Meşale Tolu, die 2017 sieben Monat in der Türkei in Haft war, sieht "düstere Zeiten" auf die Türkei zukommen. Erdoğan werde sein System fortsetzen, sagte sie ebenfalls auf phoenix. "Die türkische Jugend hat keine Perspektive mehr in dem Land", so Tolu. Viele Experten erwarten einen Brain Drain, also dass gut ausgebildete junge Menschen, das Land verlassen werden. Trotz Erdoğans Sieg sieht sie auch einen Erfolg für die Opposition. "Die oppositionellen Menschen sind geeinter, sie haben gesehen, dass sie es hätten schaffen können", sagt Tolu.
Martin Erdmann, der von 2015 bis 2020 Botschafter in der Türkei war, erklärte im ARD-Brennpunkt, warum Erdoğan trotz vieler Probleme wie der Bewältigung der Erdbebenkatastrophe, wirtschaftlicher Schwierigkeiten und der schwierigen Flüchtlingssituation erneut erfolgreich war: "Und da sagt offenbar die Mehrheit der Türkinnen und Türken: wir vertrauen in dieser Situation dem Amtsinhaber, die Sache in unserem Sinne gut zu lösen, und wir vertrauen es nicht demjenigen an, der bisher noch keine Regierungserfahrung hat, nämlich dem Herausforderer."
Mit Blick auf deutsch-türkische Beziehungen, betonte Erdmann: "Die Wahl sei eine Zäsur, in dem Sinne, dass wir weitere fünf Jahre Erdoğan haben werden und damit werden auch die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei und der EU und der Türkei überprüft werden müssen." Aus seiner Sicht sei "ein Weiter so, wie wir das bisher gemacht haben, einschließlich der Zusage eines möglichen Beitritts, wann immer er stattfindet zur EU, so nicht mehr haltbar."
CDU/CSU-Fraktion: Weitere Zusammenarbeit mit Erdoğan rasch klären
Deutschland und die EU sollten dem außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Hardt, zufolge rasch ausloten, ob mit dem türkischen Präsidenten nach dessen Wiederwahl eine konstruktive Zusammenarbeit erreicht werden kann. "Erster Testfall ist die Entscheidung Erdoğans zur Mitgliedschaft Schwedens in der Nato und sein Verhalten auf dem Nato-Gipfel Mitte Juli", sagte Hardt der dpa. Dort sollte auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Vier-Augen-Gespräch mit Erdoğan suchen.
Schon früh Gratulationen aus Katar, Ungarn und von den Taliban
Schon am frühen Abend kamen Glückwünsche aus Katar, Ungarn, dem Iran und von den Taliban. Am späteren Abend gratulierten dann unter anderem auch der russische Präsident Frankreich Wladimir Putin, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der französische Staatschef Emmanuel Macron. Bundeskanzler Scholz unterstreicht den Willen zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem wiedergewählten Präsidenten. "Gratulation an Präsident Erdoğan zur Wiederwahl", erklärt Scholz auf Twitter. "Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben." Deutschland und die Türkei seien enge Partner und Alliierte. Auch gesellschaftlich und wirtschaftlich seien beide Länder stark miteinander verbunden.
Auch EU-Spitzenpolitiker gratulierten dem türkischen Präsidenten: "Ich freue mich darauf, die EU-Türkei-Beziehung weiter auszubauen", schrieb EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen auf Twitter. Es sei sowohl für die EU als auch für die Türkei von strategischer Bedeutung, "diese Beziehungen zum Wohle unserer Völker voranzutreiben". Auch EU-Ratspräsident Charles Michel sprach Erdoğan seine Glückwünsche aus.
Hohe Zustimmung von Auslandstürken
Wie beim ersten Wahlgang zeichnet sich auch bei der Stichwahl bei den Wahlberechtigten in Deutschland eine deutliche Mehrheit für Erdoğan ab. Beim Stand von rund 95 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland kam der Amtsinhaber bei dieser Gruppe auf 67,4 Prozent der Stimmen, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hervorging. Im ersten Wahlgang hatte er bei den Deutsch-Türken 65,5 Prozent der Stimmen bekommen. Offizielle Zahlen der Wahlbehörde zum Ergebnis der Stichwahl in Deutschland liegen noch nicht vor.
In München fuhren am Abend jubelnde Erdoğan-Anhänger mit Fahnen und hupend durch die Straßen. Nach Angaben der Einsatzleitung in München feierten 200 bis 300 Menschen unter dem Siegestor in Schwabing. Zwischenfälle gab es nicht. Auch in anderen deutschen Städten wie in Duisburg, Köln, Hamburg und Berlin gab es Autokorsos.
Im Audio: Jubelfeier für Erdoğan in München
In der ersten Wahlrunde am 14. Mai hatte der Amtsinhaber deutlich besser abgeschnitten als von Meinungsforschern erwartet, die nötige absolute Mehrheit aber knapp verfehlt.
Erdoğan führt die Türkei seit 20 Jahren. 2003 wurde er zunächst Ministerpräsident, 2014 Staatspräsident. Seit Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor. Befürchtet wird deshalb, dass er im Falle eines Wahlsieges noch autoritärer regieren wird. Die Türkei ist Nato-Mitglied, pflegt enge Beziehungen zu Russland, ebenso zur Ukraine und ist Akteurin im syrischen Bürgerkrieg. Die Wahl wurde entsprechend auch international mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.
Wahlen gelten als frei, aber nicht fair
Die Wahlen in der Türkei gelten grundsätzlich als frei, aber nicht fair. Nach der ersten Wahlrunde waren keine größeren Unregelmäßigkeiten gemeldet worden. Vielfach kritisierten Opposition und ausländische Beobachter aber den unfairen Wahlkampf, da sich die türkischen Medien überwiegend fest in der Hand des Regierungslagers befinden und die Opposition deutlich weniger Sendezeit erhielt.
Zu den bestimmenden Wahlkampfthemen hatten die hohe Inflation im Land und der Wiederaufbau nach dem schweren Erdbeben im Süden der Türkei gehört, aber auch die syrischen Flüchtlinge im Land spielten eine große Rolle. Sowohl Erdoğan als auch Kılıçdaroğlu sicherten sich die Unterstützung von rechtsnationalen Politikern. Vor allem Kılıçdaroğlu machte die Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien zu seinem Hauptwahlkampfthema und verschärfte seinen Ton gegenüber der ersten Runde deutlich.
Im Parlament konnte sich Erdoğans Regierungsbündnis bereits bei den Wahlen vor zwei Wochen erneut die absolute Mehrheit sichern.
Mit Informationen von dpa, AFP, AP, Reuters
Im Video: Die Wahlkampf-Strategie von Erdoğan ist aufgegangen
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