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Kampf um die Zukunft der Türkei: Jetzt kommt es auf Oğan an

Kampf um die Zukunft der Türkei: Jetzt kommt es auf Oğan an

Knappes Ergebnis in der Türkei: Die Kandidaten Erdoğan und Kılıçdaroğlu müssen wohl in die Stichwahl. Anhänger der Opposition, auch in Bayern, zeigten sich enttäuscht. Eine besondere Rolle kommt nun dem Drittplatzierten zu.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Der Wahl-Krimi in der Türkei wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen. Nach dem Wahlkampf-Marathon in den vergangenen Wochen steht ein weiterer Sprint an. Denn über das künftige Staatsoberhaupt wird wohl in einer Stichwahl am 28. Mai entschieden. Türken im Ausland dürften dann zwischen dem 20. und 24. Mai abstimmen.

Beim Stand von 99 Prozent der ausgezählten Wahlurnen im Inland und 84 Prozent im Ausland liege Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei 49,40 Prozent der Stimmen, sagte der Chef der Wahlbehörde, Ahmet Yener. Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu kam demnach auf knapp 45 Prozent. Beide verfehlten damit - zumindest nach bisherigen Zahlen - die absolute Mehrheit von 50 Prozent.

Was macht Sinan Oğan?

Nun blicken alle gespannt auf Sinan Oğan von der ultranationalistischen Ata-Allianz. Er landete mit 5,3 Prozent zwar weit abgeschlagen auf dem dritten Platz. Dem Außenseiter könnte aber eine wichtige Rolle zukommen. Bei einer Stichwahl wird wichtig sein, welche Wahlempfehlung er abgeben wird. Oğan wertete daher sein schwaches Abschneiden als Erfolg. Mit seinen Anhängern will er sich nun beraten. "Wir werden niemals zulassen, dass die Türkei in eine Krise gerät", sagte er in der Nacht.

Wahlgewinner: "Türkische Nationalismus und politische Islam"

Beobachter haben daran allerdings Zweifel. Der Politikwissenschaftler Burak Çopur schrieb auf Twitter: Der Gewinner der Wahl stehe fest. "Der türkische Nationalismus und politische Islam. Mit Sinan Oğan als Königsmacher bei den möglichen Stichwahlen werden beide Präsidentschaftskandidaten auf diese Rechtsextremisten zugehen müssen." Auch der Münchner Kommunikationswissenschaftler und Aktivist Kerem Schamberger sagte BR24: "Für alle Menschen, die nicht in das Weltbild des türkischen Nationalismus passen, wird es noch schwieriger und gefährlicher."

Der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Ali Ertan Toprak, sagte BR24: "Die Opposition wollte den Frühling über die Türkei bringen, aber die Türkei hat sich anscheinend für den Herbst entschieden. Auch wenn Erdoğan bis zur Stunde die 50 Prozent nicht geschafft hat. Die Türkei bleibt weiterhin ein gespaltenes Land." Erdoğan habe "zwar keine große Erzählung mehr, aber seine Dichotomie zwischen Gläubigen und Ungläubigen und die Dämonisierung der politischen Gegner als Terroristen verfängt in der zutiefst nationalistischen Türkei."

Regierungskrise möglich - Erdoğan plädiert für "Stabilität"

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte in der Bayern 2-radioWelt mit Blick auf das Parlament, es sei so konservativ zusammengesetzt wie nie: "Das ist für Frauenrechte, für LGBT-Rechte, für Menschenrechte, Minderheitenrechte sicherlich keine gute Nachricht."

Erdoğans islamisch-konservative AKP und ihr ultranationalistischer Partner MHP werden dort ihre absolute Mehrheit voraussichtlich halten können. Sollte Kılıçdaroğlu bei einer Stichwahl gewinnen, könnten sich Parlament und Präsident theoretisch blockieren, was zu einer Regierungskrise führen könnte. Erdoğan scheint dieses Szenario für den Wahlkampf vor der Stichwahl nutzen zu wollen. Er sei sich sicher, dass die Wähler in einer Stichwahl "Sicherheit und Stabilität" bevorzugten, sagte er in der Nacht.

Ton wird sich verschärfen

Der Ton im Wahlkampf war rau. Er dürfte sich in den kommenden zwei Wochen aber noch einmal deutlich verschärfen. Erdoğan hatte der Opposition immer wieder vorgeworfen, mit Terroristen zusammenzuarbeiten und an LGBTQ-Rechten festzuhalten, die eine Bedrohung für traditionelle Familienwerte seien. Außerdem beschimpfte er CHP-Politiker als "Säufer". Erdoğans ultranationalistischer Verbündeter Devlet Bahçeli polterte gar bei einer seiner letzten Wahlkampfauftritte: "Hans, Sam, Toni, Jonny, Herkel, Frank – auch wenn sie alle Recep Tayyip Erdoğan f*cken wollen, werden sie keinen Erfolg haben."

Viele Türken und türkischstämmige Menschen in Deutschland, die auf einen Neuanfang mit dem Sechserbündnis der Opposition gehofft hatten, zeigten sich enttäuscht. Der in Parsberg in der Oberpfalz geborene Boxer Ünsal Arık schrieb auf Twitter: "Wenn in einem Land so vieles schlecht läuft, aber knapp 50 Prozent immer noch Erdoğan wählen, dann ist das Land verloren." Andere werteten das Ergebnis dennoch als Erfolg: "Ich hätte nicht gedacht, dass Kılıçdaroğlu soweit kommt, ich bin sehr positiv überrascht", sagt Mustafa aus München. "Erdoğans Stuhl wackelt mächtig."

Wähler straften Erdoğan für Umgang mit Erdbeben nicht ab

Erstaunt hat viele Beobachter, dass Erdoğan trotz der hohen Inflation und der Kritik an dem Katastrophenmanagement nach dem verheerenden Erdbeben mit offiziell mindestens 50.800 Toten nicht von den Wählern abgestraft wurde. "Es ist eine Enttäuschung, dass Erdoğan in der Erdbebenstadt Maraş so viele Stimmen erhielt", sagt zum Beispiel Deniz aus München. Eine Erstwählerin aus Augsburg meint: "Ich hatte gehofft, dass Erdoğan deshalb sehr viele Wähler verlieren wird."

Der Aktivist Schamberger erklärt: "Das kann auch daran liegen, dass viele betroffene Aleviten und Kurden - die eher oppositionell eingestellt sind - danach vom Staat nicht die nötige Unterstützung bekommen und die Region verlassen mussten."

Beide Seiten werden nun versuchen, ihre Anhänger für die mögliche Stichwahl zu mobilisieren. In der Türkei gibt es keine Briefwahl, Wählerinnen und Wähler müssen an ihrem Heimatort abstimmen. Viele Überlebende der Erdbebenkatastrophe, die die Region verlassen hatten, mussten sich entweder umtragen oder müssen erneut zurückreisen. Auch viele Menschen, die in der Tourismusbranche an der Südküste arbeiten, müssten erneut nach Hause fahren - nicht alle werden sich aufgrund der hohen Inflation erneut ein Ticket leisten können.

Schicksalswahl über die Zukunft des Landes

Dass die Abstimmung eine Schicksalswahl über den künftigen Kurs der Türkei ist, wurde zum Ende des Wahlkampfes noch einmal klar. Die beiden Politiker wählten jeweils symbolträchtige Orte für ihre letzten Auftritte. Erdoğan versammelte seine Unterstützer zum Gebet in der symbolträchtigen Hagia Sophia und feierte damit auch demonstrativ seine Anordnung aus dem Jahr 2020, die einst als christliche Kirche errichtete Hagia Sophia wieder zur Moschee umzuwidmen. Kılıçdaroğlu dagegen legte am Mausoleum von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk in Ankara rote Nelken nieder.

Mit Informationen von dpa, AFP, Reuters, AP

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