Eigentlich sollten nur 598 Abgeordnete im Bundestag sitzen. Weil aber jede Partei alle ihre siegreichen Direktkandidaten und -kandidatinnen ins Parlament bringt, können sogenannte Überhangmandate entstehen. Nämlich dann, wenn ihr Zweitstimmenanteil eigentlich nicht dafür ausreicht - wie jetzt bei der CSU: Sie holte in Bayern 45 Direktmandate. Ihr bundesweiter Anteil von 5,2 Prozent der Zweitstimmen hätte aber nur für 34 Abgeordnete gereicht. Das heißt, die Partei hat elf Überhangmandate gewonnen.
Acht Überhangmandate = 127 Ausgleichsmandate
Nun funktioniert unser Wahlrecht grundsätzlich nach dem Prinzip der Verhältniswahl: Das Sitzverhältnis im Bundestag soll dem Zweitstimmenverhältnis entsprechen. Wenn zum Beispiel eine Partei 20 Prozent der Stimmen hinter sich bringt, soll sie im Idealfall auch mindestens 20 Prozent der Abgeordneten stellen. Die Fünf-Prozent-Hürde ist der Grund, warum der Sitzanteil der Bundestagssparteien stets größer ist als der Stimmanteil. Das ist gewollt, um die Mehrheitsbildung zu erleichtern.
Überhangmandate verzerren das Sitzverhältnis im Parlament, weil sie einzelne Parteien bevorzugen würden. Deshalb greifen Ausgleichsmechanismen. Meist können die Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland mit Listenmandaten derselben Partei in anderen Ländern verrechnet werden. Weil sie nur in einem Bundesland antritt, ist das im Falle der CSU jedoch nicht möglich. Deshalb bekommen auch alle anderen Parteien zusätzliche Mandate - so viele, bis das Verhältnis wieder passt. Nach dem neuen Wahlrecht werden allerdings drei Überhangmandate nicht ausgeglichen.
Die verbleibenden acht für die CSU klingen nach wenig, haben aber eine große Wirkung. Um sie auszugleichen, erhalten die anderen Parteien zusammen 127 zusätzliche Sitze: die CDU 30, die SPD 36, die AfD 14, die FDP 16, die Linke 7 und die Grünen 24. Die Gesamtrechnung sieht so aus: 598 Abgeordnete im Normalfall + 11 Überhangmandate der CSU + 127 Ausgleichsmandate = 736.
Wahlrechtsreform nur mit leicht dämpfender Wirkung
Der neue Rekord liegt im Trend, bei den vergangenen Wahlen wuchs der Bundestag kontinuierlich: von 614 Abgeordneten (2005), über 622 (2009), 631 (2013), 709 (2017) - bis zu nun 736. Ohne die im Oktober 2020 vom Bundestag verabschiedete Wahlrechtsreform wäre das Parlament sogar noch etwas größer geworden.
Reformiert wurde vor allem die Berechnung der bundesweiten Mindestsitzzahl, sodass diese in der Regel etwas kleiner ausfällt als im alten Wahlrecht. Zudem werden - wie erwähnt - bis zu drei Überhangmandate nicht kompensiert. Wahlforscher Michael Kunert von Infratest dimap spricht dem neuen Wahlrecht auf BR24-Anfrage allerdings nur "eine leicht dämpfende Wirkung auf die Größe des Parlaments" zu. Zu einer grundlegenden Reform mit weniger Wahlkreisen hat sich Schwarz-Rot vor einem Jahr nicht durchringen können.
Experten: Mehr Abgeordnete machen das Parlament schwerfälliger
Die Experten auf dem Gebiet sind sich weitgehend einig: Eine große Zahl von Abgeordneten muss nicht auf eine bessere Arbeit hinauslaufen. Wahlforscher Robert Vehrkamp sagte der dpa: "Die Regelgröße 598 ist mit Bedacht gewählt worden und soll vor allem einen möglichst effizienten und reibungslosen Ablauf der parlamentarischen Arbeit garantieren. Zu große Fraktionen, Arbeitsgruppen und Ausschüsse erschweren die Abläufe und machen die parlamentarische Arbeit schwerfälliger." Das Thema wird im neuen Bundestag auf die Tagesordnung kommen.
Update: Der Text wurde nach dem Vorliegen des offiziellen Endergebnisses aktualisiert.
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