Seit Jahren diskutiert die Politik, wie sie die Zahl der Abgeordneten im Bundestag eingrenzen kann. 598 sind es laut Bundeswahlgesetz, 709 waren es in der zu Ende gehenden Wahlperiode. Der Grund für den großen Zuwachs: Die Überhangmandate mussten ausgeglichen werden, bis das Verhältnis der Zweitstimmen erreicht war. Diese Mandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate über die Erststimmen erhält, als ihr Sitze im Bundestag über die Zweitstimmen zustehen.
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Konkret sah das 2017 so aus: Die Union erzielte 43 Überhangmandate. Alle anderen Parteien mussten zusammen 65 Ausgleichsmandate bekommen, damit das Stimmenverhältnis wieder passte. Das heißt, es zogen (einschließlich dreier Überhangmandate für die SPD) insgesamt 111 Abgeordnete zusätzlich in den Bundestag ein.
Kein großer Wurf
Weniger Wahlkreise und damit weniger Abgeordnete: Das war für viele die Zauberformel in der Diskussion. Aber zu einer solch "großen" Wahlrechtsreform hat sich die schwarz-rote Bundesregierung in der zu Ende gehenden Wahlperiode nicht durchringen können. Die "kleine", im Oktober 2020 vom Bundestag verabschiedete Reform ließ das Bundesverfassungsgericht für die Wahl 2021 gelten. Eine grundsätzliche Entscheidung über ein neues Wahlrecht bedeutet das nicht. Sie wird erst später fallen.
"Leicht dämpfende Wirkung"
Die "kleine" Reform hat laut dem Wahlforscher Michael Kunert von infratest dimap immerhin "eine leicht dämpfende Wirkung auf die Größe des Parlaments". Reformiert wurde vor allem die Berechnung der bundesweiten Mindestsitzzahl, sodass diese in der Regel etwas kleiner ausfällt als im alten Wahlrecht. Zudem werden bis zu drei zusätzliche Mandate nicht ausgeglichen.
Kunert kommt zu folgendem Ergebnis: Wäre die Reform schon bei der Bundestagswahl 2017 in Kraft gewesen, hätten statt 709 nur 686 Abgeordnete im Bundestag gesessen.
821 Abgeordnete – Ein denkbares Szenario
2021 könnte das Abschneiden der CSU zum entscheidenden Faktor bei der künftigen Größe des Bundestags werden. Für BR24 hat Wahlforscher Kunert ein denkbares Szenario entworfen – was nicht heißt, dass es tatsächlich so kommt. Das Rechenbeispiel geht von mehreren Annahmen aus:
- Die Zahl der Wähler in Bayern und in Deutschland ist gegenüber 2017 unverändert.
- Bundesweit entfallen acht Prozent der Zweitstimmen (wie im letzten ARD-DeutschlandTrend) auf Parteien, die keine Sitze bekommen, also im Wesentlichen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
- Die CSU bekommt in diesem Rechenbeispiel 30 Prozent der Zweitstimmen in Bayern (28 Prozent waren es in der Umfrage des letzten BR-BayernTrends) und gewinnt alle 46 bayerischen Direktmandate.
- Das sonstige Wahlverhalten bleibt gegenüber 2017 weitestgehend gleich.
Ergebnis: Der neue Bundestag müsste in diesem Szenario auf 821 Sitze anwachsen, damit 43 der 46 Mandate der CSU ausgeglichen wären. Die verbleibenden drei Mandate würden nicht ausgeglichen. In diesem Modell fallen diese Zusatzmandate gemäß dem neuen Wahlrecht der CSU als derjenigen Partei zu, die am meisten von Überhangmandaten profitiert.
Funktionsfähigkeit des Bundestags in Gefahr
Die Parteienforscherin Sophie Schönberger warnte im Interview mit der Bayern2-Radiowelt vor einer weiteren Aufblähung des Bundestags.
"Das Problem ist ganz einfach, dass ab einer bestimmten Größe die Funktionsfähigkeit des Bundestags in Frage steht. Wenn wir möglicherweise bei 900 Abgeordneten oder mehr sind, dann ist ein vernünftiger Austausch weder im Plenum noch in den Ausschüssen möglich." Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Düsseldorf
Eine Gefahr, die auch BR-Wahlexperte Andreas Bachmann sieht. Zudem seien die Kosten für einen Bundestag mit 900 Abgeordneten den Bürgerinnen und Bürgern nur sehr schwer zu vermitteln. Er verweist allerdings auch auf den Aspekt der Bürgernähe:
"Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land in Europa. Ein Abgeordneter vertritt hier aktuell rund 117.000 Bürger. Sieht man sich andere europäische Länder an, relativieren sich die deutschen Zahlen. In Österreich beispielsweise ist das Parlament noch aufgeblähter. Bei rund neun Millionen Einwohnern sitzen im Nationalrat 183 Abgeordnete. Auf einen Volksvertreter kommen also rund 49.000 Wähler." Andreas Bachmann, BR-Wahlexperte
Egal wie es am 26. September ausgeht, der Bundestag wird sich auch in der nächsten Legislaturperiode mit seiner eigenen Verkleinerung befassen müssen.
💡 Was sind Überhangmandate?
Sie kommen zustande, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten ins Parlament schickt, als ihr nach dem Zweistimmenanteil zustehen. Angenommen, die XY-Partei holt acht Direktmandate. Gleichzeitig bekommt sie einen so geringen Zweitstimmenanteil, dass sie eigentlich nur sechs Abgeordnete in den Bundestag schicken kann. Trotzdem erhält sie alle acht Sitze. Das heißt, sie hat zwei Überhangmandate gewonnen.
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