Altkanzler Gerhard Schröder kann sich einen Rücktritt von seinen Posten für russische Energiekonzerne offensichtlich nur für einen Fall vorstellen: Wenn der russische Präsident Wladimir Putin Deutschland und der Europäischen Union das Gas abdreht. In einem am Samstag veröffentlichten Interview der "New York Times" sagt er, dass er nicht mit einem solchen Szenario rechne. Sollte es aber doch dazu kommen, "dann würde ich zurücktreten", fügt er hinzu - ohne explizit zu sagen, von welchen Posten.
Schröder ist Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energieriesen Rosneft und Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream. Außerdem ist er im zuständigen Handelsregister nach wie vor als Verwaltungsratspräsident der Nord Stream 2 AG eingetragen. Er steht in Deutschland massiv in der Kritik, weil er sich trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht von seinen Posten trennt. Vier SPD-Verbände haben deswegen ein Parteiausschlussverfahren gegen Schröder beantragt.
Schröder ist seit seiner Zeit als Kanzler (1998 bis 2005) eng mit Putin befreundet. In seinem ersten Interview seit Beginn des Ukraine-Kriegs macht er deutlich, dass er weiter bereit ist, diesen guten Draht zur Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine zu nutzen. "Ich denke, dieser Krieg war ein Fehler und das habe ich auch immer gesagt." Man müsse nun so schnell wie möglich zu einer Friedenslösung kommen. "Ich habe immer deutsche Interessen vertreten. Ich tue, was ich kann. Wenigstens eine Seite vertraut mir", sagt der frühere SPD-Chef.
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Schröder: Wie ein Staatschef an Putins Riesentisch im Kreml
Wie groß das Vertrauen Putins in Schröder ist, zeigt der Ablauf des ersten Vermittlungsversuchs des Altkanzlers. Schröder war im März gut zwei Wochen nach Kriegsbeginn nach Moskau gereist, um mit Putin zu sprechen. Dem Bericht der "New York Times" zufolge wurde er vom russischen Präsidenten im Kreml wie ein Staats- oder Regierungschef empfangen. So wie Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron wenige Wochen zuvor sprach er mit Putin an einem inzwischen berühmt gewordenen sechs Meter langen Riesentisch.
Zu den Details des Gesprächs äußert sich der 78-jährige Schröder in dem Interview nicht und verrät nur so viel: "Was ich Ihnen sagen kann ist, dass Putin daran interessiert ist, den Krieg zu beenden. Aber das ist nicht so leicht. Da gibt es ein paar Punkte, die geklärt werden müssen."
Die Initiative für die Moskau-Reise ging laut Schröder von ukrainischer Seite aus, den Kontakt habe das Schweizer Medienunternehmen Ringier hergestellt. Der ukrainische Parlamentarier Rustem Umerow habe ihn vor der Reise nach Moskau bei einem Treffen in Istanbul über die ukrainischen Positionen informiert. Nach dem Gespräch mit Putin habe es ein weiteres Treffen mit Umerow gegeben, danach sei der Kontakt abgebrochen. Er sei aber bereit, mit beiden Seiten wieder zu sprechen, sagt Schröder der "New York Times".
Butscha "muss untersucht werden"
Die Deutschland-Korrespondentin der Zeitung traf sich nach eigenen Angaben zwei Mal mit Schröder in dessen Heimatort Hannover. Der Altkanzler habe sich in den beiden Gesprächen vom Krieg distanziert, aber nicht von Putin, schreibt die "New York Times". Zum Massaker im Kiewer Vorort Butscha sagt Schröder: "Das muss untersucht werden." Er glaube aber nicht, dass die Befehle von Putin gekommen seien, sondern von niedrigeren Stellen, zitiert die Zeitung die Vermutung Schröders.
Klar ist, dass Putin der Einheit, die in Butscha im Einsatz war, einen Ehrentitel für "Heldentum und Mut" verlieh. Bilder von hunderten Toten und Massengräbern nicht nur in der Kiewer Vorstadt hatten zuvor weltweit für Entsetzen gesorgt. Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros häufen sich die Anzeichen für willkürliche Tötungen und damit für Kriegsverbrechen in der Ukraine.
Schröder: "Plötzlich wissen sie es alle besser"
Schröder wirbt dafür, die Beziehungen zu Russland trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine aufrechtzuerhalten. "Sie können ein Land wie Russland langfristig nicht isolieren, weder politisch noch wirtschaftlich", sagt er. "Die deutsche Industrie braucht Rohstoffe, die Russland hat. Es geht nicht nur um Öl und Gas, es geht auch um seltene Erden. Und das sind Rohstoffe, die nicht so einfach ersetzt werden können."
Die deutsche Energiepolitik der letzten Jahrzehnte, die das Land abhängig von russischem Gas gemacht hat, verteidigt Schröder. Über die hitzige Debatte in Deutschland darüber, bei der die Schuldigen vor allem in CDU und SPD ausgemacht werden, zeigt er sich verwundert. "Sie haben das alle mitgemacht in den letzten 30 Jahren. Und plötzlich wissen sie es alle besser."
Lange Zeit war die deutsche Ost- und Sicherheitspolitik von der Maxime "Wandel durch Handel" dominiert. Dahinter stand die Überzeugung, dass enge Wirtschaftsbeziehungen Demokratie fördern und ein friedliches Miteinander sichern, weil der Preis für Konflikte ökonomisch für alle Beteiligten zu hoch sei. Putin hielt das nicht vom Einmarsch in der Ukraine ab, die deutsche Abhängigkeit vom russischen Gas verhindert nun ein umfassendes Energieembrago und füllt die russische Kriegskasse.
Klingbeil: Schröder auf der falschen Seite der Geschichte
Für die SPD kommt das Schröder-Interview zur Unzeit. Die Partei muss sich seit Wochen gegen Vorwürfe verteidigen, sie habe zu lange und zu sehr auf Annäherung zu Russland gesetzt und dabei Warnungen der USA und von osteuropäischen Staaten außer Acht gelassen. Kanzler Scholz hat das erst in dieser Woche in einem "Spiegel"-Interview als Verleumdung und Lüge zurückgewiesen. Es werde ein "Zerrbild von sozialdemokratischer Politik" gezeichnet. Scholz verteidigte vor allem die Entspannungspolitik der SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt in den Jahren 1969 bis 1982. Den dritten SPD-Kanzler Schröder verschwieg er.
Die Parteispitze hat sich schon lange von Schröder distanziert. Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil haben ihn Ende Februar in einem Brief aufgefordert, seine Posten bei Staatsunternehmen niederzulegen. Die von ihnen "zeitnah" eingeforderte Antwort gibt es auch zwei Monate später noch nicht.
"Es gibt eine klare Abgrenzung der politischen Führung zu Schröder", sagte Klingbeil am vergangenen Mittwoch in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Er verweist auf die laufenden Parteiordnungsverfahren, auf die die SPD-Führung keinen Einfluss habe und die irgendwann zu einem Ergebnis führen würden. "Ich hätte mir gewünscht, dass sich Gerhard Schröder auf die richtige Seite der Geschichte stellt. Er hat sich aber für die falsche entschieden."
Renate Schmidt findet Schröder "zunehmend unmöglich"
Kritik kommt auch von der SPD-Politikerin Renate Schmidt. Mit Schröder war sie früher befreundet und arbeitete während seiner Kanzlerschaft als Bundesfamilienministerin. "Ich finde ihn zunehmend unmöglich", sagte Schmidt beim "Sonntags-Stammtisch" im BR Fernsehen. Dass sich Schröder weiterhin als Vermittler im Angriffskrieg auf die Ukraine sehe, sei "eine grandiose Selbstüberschätzung".
Schröder: "Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa"
Im Juni könnte sich das Thema Schröder für die Sozialdemokraten noch einmal zuspitzen. Dann findet nämlich die Hauptversammlung des Energieriesen Gazprom statt, bei der Schröder in den Aufsichtsrat gewählt werden soll. Laut "New York Times" ließ Schröder in dem Interview offen, ob er die Nominierung annehmen wird.
Ein Schuldbewusstsein wegen seiner engen Bindungen zu Russland hat er jedenfalls nicht. "Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa (meine Schuld)", sagt er. "Das ist nicht mein Ding."
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