In der von Russland bombardierten Ukraine sind kurz vor dem Neujahrsfest bei beispiellosen Luftangriffen landesweit mindestens 30 Menschen getötet und mehr als 160 weitere verletzt worden. Die ukrainische Führung sprach von massivem "Terror" gegen die Zivilbevölkerung. Tote gab es in Dnipro, Charkiw, Saporischschja, Odessa, Lwiw (Lemberg) und der Hauptstadt Kiew.
"Ich stand auf dem Balkon und hörte ein Wummern, fast wie ein Countdown", sagt eine Anwohnerin aus Dnipro. Dort trafen Raketen unter anderem ein Shoppingcenter. Dann habe sie eine laute Explosion gehört und sei vom Fenster weggerannt - "denn das hat gebebt." Sechs Menschen sollen allein in Dnipro gestorben sein.
Ukrainisches Militär: Massivster Luftangriff seit Kriegsbeginn
Das Militär in Kiew sprach vom "massivsten Luftangriff" auf die Ukraine seit Beginn des Krieges - also seit fast zwei Jahren. Der ukrainischen Luftwaffe zufolge feuerte Russland 158 Raketen und Kampfdrohnen gegen das Land ab. Der ukrainische Oberbefehlshaber Waleryj Saluschnyj berichtete von 122 Raketen und Marschflugkörpern sowie von 36 Drohnen. Noch nie seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gab es demnach solche starke Luftangriffe an einem Tag wie jetzt zum Jahresende.
Die bis dahin höchste offiziell gemeldete Zahl russischer Raketen, die an einem Tag auf die Ukraine abgefeuert worden waren, lag bei mehr als 90. Die Flugabwehr habe Saluschnyj zufolge diesmal mehr als 70 Prozent der russischen Angriffe abfangen können. Die Schläge seien in mehreren Wellen aus verschiedenen Richtungen und unter Einsatz strategischer Bomber erfolgt.
Verletzte durch Beschuss gab es auch in der westukrainischen Stadt Chmelnyzkyj und in der nahe zur russischen Grenze gelegenen Kleinstadt Konotop im Gebiet Sumy. In mehreren Gebieten des Landes kam es zu Stromausfällen. In der Metro in Kiew suchten viele Menschen Schutz vor den Angriffen.
Moskau spricht von Angriff auf militärische Ziele
Das Verteidigungsministerium in Moskau kommentierte den Angriff nur am Rande und sprach von einem "massierten Schlag mit Hochpräzisionswaffen und Drohnen". Dieser sei gegen militärische Ziele wie Rüstungsbetriebe, Militärflughäfen und Waffendepots geführt worden. "Alle anvisierten Objekte wurden getroffen", betonte das Ministerium dabei.
Widerstand der Bevölkerung soll gebrochen werden
Die Luftschläge gelten als gezielter Versuch der russischen Militärführung, den Widerstand der Ukrainer gegen die von Kremlchef Wladimir Putin befohlene Invasion zu brechen. Immer wieder werden viele Zivilisten Opfer der russischen Angriffe.
Auch heute standen Wohnhäuser sowie zivile Gebäude in Flammen. Es gab Bilder der Verwüstung. In Kiew mussten laut Bürgermeister Vitali Klitschko Verletzte aus den Trümmern eines getroffenen Gebäudes gezogen werden.
Selenskyj: Russland hat "mit fast allem geschossen, was es in seinem Arsenal hat"
"Heute hat Russland mit fast allem geschossen, was es in seinem Arsenal hat - mit Kinschal, S-300, Marschflugkörpern, Drohnen. Strategische Bomber haben Ch-101/Ch-505 (russische Marschflugkörper) abgefeuert", schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Er sprach von großen Schäden im zivilen Bereich: Eine Entbindungsstation, Bildungseinrichtungen, ein Einkaufszentrum und viele private Wohnhäuser seien getroffen worden, teilte er mit. Die Aussagen unterlegte Selenskyj mit einem Video, das unter anderem ein völlig zerstörtes Einkaufszentrum zeigte.
Selenskyj will Russland zur Verantwortung ziehen
Der 45-Jährige sprach von einem terroristischen Akt, versicherte aber zugleich, dass die Ukraine darauf antworten werde. Russland werde seinen Angriffskrieg verlieren und die Ukraine werde alles dafür tun, ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten.
Das ukrainische Außenministerium sprach angesichts der vielen zivilen Opfer von einem "Genozid" und forderte die internationale Gemeinschaft zu einer Reaktion auf. Das Gerede über Kriegsmüdigkeit und einen möglichen Waffenstillstand, über den vorübergehenden Verzicht auf Gebiete (durch die Ukraine) sowie über Verhandlungen werde Russland nicht stoppen, heißt es in der Erklärung. Ziel Moskaus sei die Vernichtung der Ukraine.
Sunak: Angriffe auf Ukraine sollen Freiheit und Demokratie ausrotten
Der britische Premierminister Rishi Sunak verurteilte die heftigen russischen Luftangriffe und machte Putin direkt verantwortlich. "Diese umfassenden Attacken auf ukrainische Städte zeigen, dass Putin vor nichts zurückschrecken wird, um sein Ziel zu erreichen, Freiheit und Demokratie auszurotten", schrieb Sunak beim Onlinedienst X (früher Twitter). "Wir werden ihn nicht gewinnen lassen. Wir müssen weiterhin an der Seite der Ukraine stehen – so lange es nötig ist."
Nawalny-Vertrauter wirft Putin "Wahnsinn" vor
Der ins Ausland geflüchtete Kremlgegner Leonid Wolkow warf dem russischen Präsidenten "Sadismus" und "Wahnsinn" vor. "Putin hat die massivste Terrorattacke auf die ukrainischen Städte verübt", teilte der enge Vertraute des inhaftierten russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny mit. Zum Jahresende solle das der ganzen Welt zu denken geben, "wie wenig sie 2023 getan hat, um einen der schrecklichsten und blutrünstigsten Irren des 21. Jahrhunderts zu stoppen".
Russland hatte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen und beschießt immer wieder auch zivile Ziele weit hinter der Front. Im vergangenen Winter waren vor allem Objekte der Energieversorgung Ziel russischer Angriffe. Experten warnen vor einer Wiederholung dieser Taktik in diesem Winter. Ziel Moskaus ist es, den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen.
Mit Informationen von dpa, AFP
Im Video: Zahlreiche Tote und Verletzte bei Angriffswelle
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