Zwei Tage vor der Abschaltung von Isar 2 im April holte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) noch einmal aus. Die Botschaften: Ohne Atomkraft gehe es derzeit nicht, die Energiekrise habe alles verändert, es müsse also weitergehen, notfalls auch in Länderregie. Die gesetzgeberische Kompetenz über die Atomkraft aber liegt felsenfest in Berlin.
Nur deswegen in die Hauptstadt zu wechseln, wäre angesichts der Forderungen der Schwesterpartei aber gar nicht nötig. Denn auch die CDU hält die Debatte über die Kernenergie am Laufen. Erst im Dezember forderte sie in ihrem neuen Grundsatzprogramm die Reaktivierung von jüngst abgeschalteten Kraftwerken und sogar den Neubau von Reaktoren.
Drei Dinge für die Reaktivierung
Sind diese Forderungen überhaupt praktisch umsetzbar? "Technisch gesehen ja", sagt Uwe Stoll, Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit, im Interview mit BR24. "Die Reaktivierung von einem Teil der Kraftwerke, die wir abgeschaltet haben, ist technisch auf jeden Fall umsetzbar, teilweise haben die Rückbauarbeiten noch gar nicht begonnen", erklärt Stoll. Die Voraussetzungen klingen einfach: ausreichend Personal, Brennelemente und eine Entscheidung des Gesetzgebers.
Rückkehr zum Atom mit der Union?
Letzte will die Union liefern, sollte sie wieder eine Bundesregierung stellen – doch bis zur nächsten planmäßigen Wahl sind es noch knapp zwei Jahre. Und hier wird es schwieriger. Zeit, die die Kraftwerksbetreiber nicht absitzen wollen. Ende Oktober verkündet Preussen Elektra, verantwortlich für das Kernkraftwerk Isar 2, überraschend das endgültige Aus: "Wir werden die Anlage nicht mehr weiterfahren können, es geht technisch und organisatorisch nicht mehr. Wir sind da am Ende." Eine weitere Interviewanfrage von BR24 im Dezember lehnte Preussen Elektra ab.
Selbst Betreiber ziehen Reißleine
Isar 2 ist einer der Meiler, die bis zum Schluss am Netz waren. Bis zuletzt galt das Kraftwerk nicht nur als eines der leistungsstärksten weltweit – sondern auch als eines der modernsten und sichersten. Die Liste über meldepflichtige Ereignisse beim Bayerischen Umweltministerium stützt den guten Ruf. Dennoch ziehen selbst hier die Betreiber die Reißleine. Wie realistisch ist also die Forderung der Union?
Zweifel an schnellem Wiedereinstieg auch innerhalb der CSU
Auch der Landshuter CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Oßner glaubt nicht mehr an eine Rückkehr von Isar 2. Angesichts von Engpässen sollte man dennoch "alle Energieproduktionsformen auf den Tisch legen und vernünftig bewerten", so Oßner im Interview mit dem BR. "Um am Ende die Klimaschutzziele zu erreichen, braucht es einen vernünftigen Energiemix. Ohne fossile Energien und ohne Kohlestrom." Die Kernkraft schließt Oßner nicht aus. Der Anteil von Kohle und Gas als konventionelle Energieträger liegt im deutschen Strommix nach wie vor bei rund vierzig Prozent.
Vor möglichen Nachfolgetechnologien im Bereich der Kernkraft wolle er sich deswegen nicht verschließen, so Oßner. Egal, in welche Richtung: "Ideologie sollte dabei nicht im Vordergrund stehen."
In Zukunft kleinere Atomkraftwerke?
Von möglichen Nachfolgetechnologien spricht auch Oßners Parteichef Söder Anfang Dezember: "Unser Ziel muss sein, tatsächlich neue Kernkraftwerke - kleinere, mit einer ganz anderen Energieleistung, mit einer ganz anderen Absorption von möglichem Müll – anzunehmen." Zusammen mit der Kernfusion müsse die deutsche Energiepolitik bis 2040 auf völlig neue Beine gestellt werden, so Söder.
Der Neubau von Kernkraftwerken ist ein weltweit auftretendes Mittel zum Erreichen von Klimazielen, erklärt auch Kernenergie-Experte Uwe Stoll. Egal, ob es dabei um große, herkömmliche Kraftwerke gehe, oder um kleine, die sogenannten "Small Modular Reactors". "Von denen verspricht man sich, dass sie schneller zu bauen sind und weniger kosten. Das ist wie ein Hype, den ich im Westen noch nicht sehe. Aber es gibt viele Entwicklungen, die stattfinden und man sieht eben auch, dass viele Länder sagen: Mein Beitrag zur CO2-Minderung besteht im Ausbau der Kernenergie."
Grüne warnen vor Risiko und Atommüll
Konträr dazu steht die Meinung der niederbayerischen Grünen-Bundestagsabgeordneten Marlene Schönberger. Für das Interview mit dem BR ist sie zum abgeschalteten Kernkraftwerk Isar 2 gekommen und ist doppelt positiv gestimmt: Über den Atomausstieg in diesem Jahr und über ein neues Windrad, das sie am Horizont entdeckt. Der Wiedereinstieg in ein neues nukleares Zeitalter – für Schönberger eine Scheindebatte: "Das Risiko bleibt, der Atommüll bleibt, die hohen Kosten bleiben. Meines Erachtens ist jeder Cent, den wir in Atomkraft investieren, eine Fehlinvestition. Dieses Geld fehlt uns dann beim Ausbau der Erneuerbaren und das ist unbestritten die Zukunft."
Kein Investor für neue Kernkraftwerke in Sicht
Die Zeit für Planung und Bau eines Atomkraftwerks dauere im Durchschnitt zwei Jahrzehnte, so Schönberger. "Das sind Milliardeninvestitionen, die nicht wirtschaftlich sind und auf staatliche Subventionen angewiesen sind. Kein Investor würde in den Neubau eines Atomkraftwerks investieren. Und deswegen ist dieses Kapitel wirklich beendet. Spätestens seit dem 15. April."
Teure Rückkehr zum Atomstrom
Auch Uwe Stoll von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit bestätigt die lange Bauzeit und Kosten von rund zwölf Milliarden Euro für ein neues großes AKW. Er bezweifelt ebenso, dass sich private Investoren für eine Renaissance der Kernkraft finden ließen: "Dafür brauche ich einen großen Konsens über alle politischen Parteien hinweg. Wir haben alle vier Jahre Wahlen. Und ich brauche eigentlich über mehrere Wahlen hinweg eine stabile Meinung zur Nutzung der Kernenergie. Und das sehe ich nicht in Deutschland."
Davon unbeirrt geht die Debatte weiter. Und so steht aktuell nur fest: 2023 war das Jahr des Atomausstiegs. Unklar jedoch, ob für immer – oder doch nur auf Zeit.
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