Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine verbreiten die russische Führung und Staatsmedien verstärkt Falschbehauptungen und Gerüchte über die ukrainische Regierung. Das Land werde von Nazis und Drogensüchtigen regiert, heißt es oft, Belege dafür gibt es nicht. Derartige Narrative finden auch in Deutschland bei vielen Menschen Anschluss, wie eine aktuelle Untersuchung der gemeinnützigen Organisation Cemas zeigt.
Im Netz verbreitet sich aktuell ein Artikel, der die ukrainische Regierung diskreditieren soll – und von zahlreichen Unterstützern und Sympathisanten Russlands über soziale Netzwerke geteilt wird. Der Bericht ist allerdings veraltet und die aktuelle Verbreitung irreführend.
Die Behauptung: Ukrainischer Justizminister in gestohlenem Auto unterwegs
In einem Screenshot, auf dem ein Foto und dazugehöriger Text zu sehen sind, heißt es: “Ukrainischer Minister in gestohlenem Mercedes unterwegs”. In dem sichtbaren Textausschnitt steht außerdem: Der ukrainische Justizminister sei in einem Auto unterwegs, das seit Januar 2010 in Deutschland als gestohlen gemeldet sei.
Es wird bei der Verbreitung des Screenshots sowie des Artikels nahegelegt, dass sich der Bericht auf den aktuellen ukrainischen Justizminister bezieht.
Die Fakten: Artikel stammt aus dem Jahr 2011
Der Text sowie die Informationen, die sich verbreiten, sind Inhalte eines Artikels des Portals "auto.de" - allerdings aus dem Jahr 2011. Laut dem Artikel habe sich der damalige ukrainische Justizminister Alexander Lawrinowitsch in einem Mercedes herumfahren lassen, der in Deutschland als gestohlen gemeldet gewesen sei. Das habe ein konkurrierender Abgeordneter herausgefunden, schreibt "auto.de".
Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete Ende 2011 ebenfalls über das angeblich gestohlene Auto des Ministers. Auch der "Spiegel" recherchierte dazu. Demnach waren es die Besitzer des Mercedes selbst, die den Wagen von Deutschland in die Ukraine gebracht hatten, wo er an der Grenze von ukrainischen Behörden konfisziert wurde.
Anschließend soll ein ukrainisches Gericht den Wagen zum Staatsbesitz erklärt haben, was laut "Spiegel" in der Ukraine rechtlich möglich war. Die deutschen Besitzer wurden zu Haftstrafen verurteilt, weil sie im größeren Stil Luxusautos nach Russland und die Ukraine verschoben hatten, berichtete das Magazin 2011.
Minister seit Jahren nicht mehr im Amt
Lawrinowitsch, dessen Dienstwagen der besagte Mercedes dann war, war von 2010 bis 2013 Justizminister der Ukraine, unter der als prorussisch geltenden Regierung von Ministerpräsident Mykola Azarow und Präsident Wiktor Janukowytsch. Janukowytsch floh im Zuge der ukrainischen Euromaidan-Revolution 2014 und wurde abgesetzt. Seit 2014 hat auch Lawrinowitsch keine Regierungsposition mehr inne. Mit der aktuellen Regierung der Ukraine hat er also nichts zu tun.
Ob das Auto heute noch im Besitz des ukrainischen Staates ist, ist nicht bekannt. Auf eine Anfrage des #Faktenfuchs antwortete die ukrainische Botschaft in Deutschland bis zur Veröffentlichung des Artikels nicht.
Die Verbreitung: Auch AfD-Politiker teilen Artikel ohne Zeitangabe und Kontext
Dass der Artikel veraltet ist und nicht der amtierende ukrainische Justizminister Denys Maljuska gemeint ist, haben einige bei der Verbreitung wohl nicht gesehen oder bewusst übersehen.
Der AfD-Politiker André Poggenburg etwa teilte den "auto.de"-Artikel ohne Verweis auf das Veröffentlichungsdatum, aber mit Verweis auf deutsche Steuergelder, die der Ukraine zugutekämen. Der Landesvorsitzende der AfD Bayern, Stephan Protschka, teilte den Artikel ebenfalls. Er kommentierte ihn mit den Worten "Ukrainischer Justizminister fährt mit gestohlenem Auto rum" - ohne zu erwähnen, dass es sich um den vorvorletzen ukrainischen Justizminister handelt.
Der Link zum Artikel sowie Screenshots davon wurden auch von zahlreichen anonymen Accounts auf Twitter geteilt, deren Profile auch sonst durch die Verbreitung von Falschbehauptungen, politischer Desinformation und Hetze sowie prorussischen Erzählungen auffallen.
Auf dem Messengerdienst Telegram wurde der Artikel ebenfalls auf zahlreiche Kanälen geteilt, die Desinformation verbreiten oder der verschwörungsideologischen QAnon-Bewegung zuzuordnen sind.
Alleine auf Telegram sahen den Artikel – ohne jegliche zeitliche oder inhaltliche Einordnung – weit über 100.000 User (Stand 30.11.2022).
Geteilt wurde der Artikel zum Beispiel über den Telegram-Kanal "Neues aus Russland". Der Kanal wird von Alina Lipp betrieben, die russische Propaganda verbreitet und damit rund 180.000 User erreicht. Sie teilte den Artikel zunächst ebenfalls ohne Einordnung, überarbeitete den Post schließlich aber und ergänzte die Jahreszahl 2011 und den Hinweis "Archivfund".
Fazit
Im Netz verbreiten Desinformations-Accounts, Propaganda-Kanäle sowie AfD-Politiker Screenshots von und Links zu einem "auto.de"-Artikel und legen dabei irreführenderweise nahe, beim Dienstwagen des aktuellen ukrainischen Justizministers handele es sich um ein gestohlenes Auto fahren.
Tatsächlich stammt der Artikel aus dem Jahr 2011 und handelt von dem damaligen Justizminister, dessen Dienstauto laut Medienberichten in Deutschland als gestohlen gemeldet worden war. Der damalige Justizminister Lawrinowitsch hat mit der heutigen ukrainischen Regierung aber nichts zu tun.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!