Es war an einem Samstag im August 2020, und die Bilder gingen um die Welt. Extremisten und Mitläufer versuchten damals, ins Reichstagsgebäude einzudringen. Nur eine Handvoll Polizisten stand ihnen am Ende gegenüber und verhinderte ohne den Einsatz von Waffen, dass sie sich Zutritt zum Gebäude verschaffen konnten. Am Ende besetzten rund 300 Menschen die große Außentreppe, sie schwenkten Reichsflaggen und feierten sich selbst.
Reichstagsgebäude: Transparenz vs. Sicherheit?
Die Frage, die damals und auch heute wieder im Raum steht, ist: Wie kann dieses wichtige und zugleich symbolträchtige Gebäude gegen Angriffe von außen gesichert werden? Ein Gebäude, das seit seiner Umgestaltung mit seiner gläsernen und begehbaren Kuppel eigentlich für Transparenz und Zugänglichkeit stehen soll.
Das Innere des Reichstags wird durch die Bundestagspolizei geschützt, die dem Bundestagspräsidenten/der Bundestagspräsidentin untersteht. Für den Außenbereich wiederum ist die Berliner Polizei zuständig. Nach dem Vorfall im Sommer 2020 gab es Gespräche zwischen Bundestagspolizei, der Berliner und der Bundespolizei. Man versprach sich, sich künftig besser abzustimmen. Viel mehr ist seitdem nicht passiert. Dabei liegen in den Schubladen der Bundestagsverwaltung längst Pläne, die Sicherheitsarchitektur zu ändern.
Ein Graben für mehr Schutz in Richtung Kanzleramt
Diese Pläne sehen vor, dass das Volk auf Abstand zu halten. Das wäre das Gegenteil von Transparenz und Zugänglichkeit. Die Rede ist von einem Graben und einem Zaun, um vor allem das Eingangsportal in Richtung Kanzleramt besser schützen zu können.
Besucher würden dann über einen Tunnel ins Gebäude gelangen. Im vergangenen Jahr hieß es, dass der geplante Graben frühestens 2025 fertiggestellt sein wird. Der offenbar geplante Angriff auf den Bundestag wird diese Pläne möglicherweise beschleunigen.
Angst im Bundestag
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, hat bereits wenige Stunden nach der Razzia angekündigt, das Thema auf die Tagesordnung zu heben. "Wir werden uns in den nächsten Wochen erneut intensiv mit der Sicherheitslage im Haus, dem Schutz der Abgeordneten sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befassen."
Mihalic verweist aber im selben Atemzug darauf, dass der Bundestag ein offenen Haus ist und diesen Charakter auch bewahren soll. In der Verwaltung allerdings, so scheint es, hat der Fall Einigen die Augen geöffnet, berichtet eine Mitarbeiterin, die namentlich nicht genannt werden möchte. "Wir haben Angst, dieser Vorfall ist so unglaublich."
Architekt: "Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz"
Wie sichert man wichtige Gebäude gegen Angriffe von außen, ist DAS Thema von Philipp Meuser. Der Architekt arbeitet seit mehr als 20 Jahren unter anderem für das Auswärtige Amt. Gerade betreut er Objekte in Kabul (Afghanistan), in Sanaa (Jemen) und Bamako (Mali). Allesamt Krisengebiete. Meuser sagt, dass es einen hundertprozentigen Schutz des Reichstags nicht geben kann und empfiehlt stattdessen, mögliche Angriffsszenarien noch einmal durchzuspielen – auch im Hinblick auf die Frage, wie realistisch sie eigentlich sind.
Ein mögliches Szenario, das er erwähnt, ist, dass Angreifer eine Tür sprengen und Geiseln nehmen. Sollte das realistisch sein, so Meuser, dürften eigentlich keine Besucher mehr rein in den Reichstag, das allerdings könne in einer Demokratie auch niemand wollen. Gefahr drohe auch durch sogenannte "Innentäter", zum Beispiel Wachschützer, Abgeordnete oder deren Mitarbeiter. Sie könnten möglichen Angreifern den Zugang zum Gebäude ermöglichen. Auch hier schränkt der Architekt ein: "Sie können nicht permanent alle Mitarbeiter kontrollieren."
Helfen mobile Sicherheitsgatter und Betonpoller?
Skeptisch ist der Berliner Architekt, der viel in Krisengebieten im Einsatz ist, auch im Hinblick auf mobile Sicherheitsgatter oder Betonpoller. "Da reibt sich am Ende nur die Sicherheitsindustrie die Hände."
Ganz ähnlich klingt Benjamin Jendro, von der Berliner Gewerkschaft der Polizei. Seine Kolleginnen und Kollegen schützen den Reichstag von außen. "Jede Infrastruktur ist angreifbar, wenn man Politik erlebbar machen möchte. Das ist der Preis einer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Das wird immer mal passieren. Das muss man in Kauf nehmen."
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