Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat seine Zustimmung zu weiteren EU-Hilfen für die Ukraine von der Freigabe blockierter EU-Mittel für sein Land abhängig gemacht. "Ich habe immer gesagt, dass, wenn jemand das Haushaltsgesetz ändern will (...), dies eine großartige Gelegenheit für Ungarn ist, um klarzustellen, dass es bekommen sollte, was es verdient hat", sagte Orban am Freitag in einem Interview im ungarischen Radio.
Die EU hatte Mittel für Ungarn wegen Verfehlungen gegen die Rechtsstaatlichkeit zurückgehalten. Die EU-Kommission hat am Mittwoch zehn Milliarden Euro dieser Mittel freigegeben, weitere zwölf Milliarden Euro bleiben eingefroren. Orban betonte jedoch zunächst, es bestehe kein Zusammenhang mit den Ukraine-Themen. Bislang gibt es von Seiten der EU-Mitgliedsstaaten noch keine Reaktion auf diese Forderung.
Der ungarische Regierungschef hatte beim EU-Gipfel am Donnerstag mit seinem Veto die Auszahlung weiterer EU-Hilfen an die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Euro blockiert. Nachdem der EU-Gipfel erst am Donnerstag den Weg freigemacht hat für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine, ist die geplante Finanzhilfe am Widerstand aus Ungarn gescheitert. Ungarns Regierungschef hat bei einem geplanten 50-Milliarden-Hilfspaket für Kiew sein Veto eingelegt. Er argumentierte, die Ukraine könne kein Geld aus dem EU-Haushalt bekommen, weil sie nicht Mitglied ist. Orban hatte eine Finanzierung außerhalb des EU-Etats vorgeschlagen.
Neuer Anlauf Anfang Januar
Die Entscheidung wird nach Angaben von EU-Ratspräsident Charles Michel nun auf Januar vertagt. Michel sagte: "Wir werden Anfang nächsten Jahres auf dieses Thema zurückkommen und versuchen, Einstimmigkeit zu erzielen." 26 Regierungen seien sich einig gewesen, wie die EU-Haushalte generell bis 2027 aufgestellt werden sollen. "Wir haben Einstimmigkeit minus einer Stimme", fügte Michel in Anspielung auf Ungarns Ministerpräsident Orban hinzu.
Michel verwies darauf, dass Schweden noch einen Vorbehalt gegen das von den 26 EU-Staaten vereinbarte Finanzpaket habe, weil es erst das Parlament in Stockholm fragen müsse. Allerdings ist unklar, wie die 26 Regierungen weiter vorgehen werden, wenn Orban auch im Januar seine Zustimmung verweigern sollte. Denkbar wäre etwa, dass alle EU-Staaten bis auf Ungarn in einen Extratopf einzahlen, der mit dem von Orban blockierten EU-Haushalt nichts zu tun hat.
Haushaltspläne liegen komplett auf Eis
Eigentlich hätte bei dem Gipfel beschlossen werden sollen, für die Unterstützung der Ukraine in den kommenden vier Jahren 17 Milliarden Euro an Zuschüssen und 33 Milliarden Euro an Krediten einzuplanen. Zudem war auch geplant, andere Bereiche des langfristigen EU-Haushalts von 2021 bis 2027 anzupassen. Auf Wunsch von Ländern wie Italien soll es so auch zusätzliches Geld für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und Migrationspolitik geben. Auch diese Pläne sind allerdings vorerst von dem Veto Ungarns betroffen.
Es ging bei den Verhandlungen auch um die Frage, ob die nationalen Regierungen Geld nachschießen, weil es neue Aufgaben gibt und die Kosten für die aufgenommenen Kredite wegen der gestiegenen Zinsen höher sind als erwartet. Michel hatte vor dem Gipfel vorgeschlagen, dass die nationalen Regierungen rund 22 Milliarden Euro bis 2027 zusätzlich überweisen, deutlich weniger als die EU-Kommission gefordert hatte. Kanzler Scholz hatte klar gemacht, dass er die Ausgaben für die Ukraine für zentral halte und dass Deutschland dafür mehr Geld überweisen würde.
Orban hatte Vorschläge der EU-Kommission für die Überarbeitung des langfristigen Haushalts bereits vor dem Gipfel als "unbegründet, unausgewogen und unrealistisch" kritisiert. Bis zuletzt hatten die anderen Staats- und Regierungschefs jedoch gehofft, ihn mit Kompromissangeboten doch noch zu einer Zustimmung bewegen zu können.
Unerwarteter Durchbruch bei EU-Beitrittsverhandlungen
Zuvor hatte es unerwartet einen Durchbruch in einer anderen Frage gegeben. So ermöglichte es Orban überraschend, den Start von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu beschließen, indem er nicht an der entscheidenden Abstimmung teilnahm. Nach Angaben des scheidenden niederländischen Regierungschefs Rutte zeigte ihm der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) diesen Weg auf. Ungarn konnte so bei seinem Nein zu den Beitrittsverhandlungen bleiben, ohne sie zu blockieren.
Dass Orban nicht auch bei den Entscheidungen zu den Finanzthemen eine Entscheidung ermöglichte, könnte daran gelegen haben, dass diese sein Land viel Geld kosten könnte. Der Beschluss für den Start von EU-Beitrittsverhandlungen ist hingegen nur symbolisch sehr wichtig, da ein tatsächlicher Beitritt der Ukraine vor dem Jahr 2030 als ausgeschlossen gilt.
Geldprobleme drohen zunächst nicht
Selenskyj äußerte sich zu dem nächtlichen Veto Orbans zunächst nicht. Nach Angaben von Diplomaten wird die ausgebliebene Einigung auf neue Finanzhilfen die Ukraine bis zu dem nächsten EU-Gipfel im Januar nicht in Schwierigkeiten bringen. Schon jetzt wird zudem an Plänen gearbeitet, wie die Unterstützung auch außerhalb des EU-Haushalts organisiert werden könnte.
Mit Informationen von dpa, Reuters und AFP
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