Im Streit der EU-Staaten über die künftige Asylpolitik gibt es weiterhin keine Lösung. Ein zweitägiger Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel ist heute ohne eine Einigung und eine gemeinsame Erklärung zu Ende gegangen. Polen und Ungarn wollen den erst vor drei Wochen getroffenen Asylkompromiss nicht mittragen. Sie stemmen sich vor allem gegen die verpflichtende Verteilung einer geringen Zahl von Schutzsuchenden auf die EU-Mitgliedstaaten.
Polen und Ungarn tragen Mehrheitsentscheidung nicht mit
Im Asylstreit hatten die Innenminister Anfang Juni eine Mehrheitsentscheidung getroffen, die Polen und Ungarn aber ablehnten. Diese sieht einen Solidaritätsmechanismus vor, wonach die Aufnahme von Flüchtlingen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen.
Polen forderte auf dem Gipfel, dass jedes EU-Land selbst darüber entscheiden sollte, wie es Länder mit besonders hohen Migrationszahlen unterstützt. Die Aufnahme von Schutzsuchenden sollte freiwillig sein, hieß es in einem polnischen Textvorschlag für die Gipfelerklärung, der der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Die polnische Regierung stellte sich zudem auf den Standpunkt, dass in der Migrationspolitik nach dem Konsensprinzip entschieden werden sollte, also nicht per Mehrheitsentscheidung.
Orban spricht von "Migrationskrieg"
Auch Ungarn hatte vor dem Gipfel angekündigt, dass es sich an der geplanten Verteilung von Flüchtlingen in der EU nicht beteiligen und auch keine Ausgleichszahlungen leisten werde. Ministerpräsident Viktor Orban drohte damit, EU-Gelder für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zu blockieren. Die Brüsseler Verhandlungen beschrieb er im staatlichen Radio als "Migrationskrieg" im Sitzungssaal.
Rein formal hat polnisch-ungarische Verweigerung des Asylkompromisses keine Konsequenzen für den Gesetzgebungsprozess, dieser kann trotzdem weiterlaufen. Der nächste Schritt sind Verhandlungen der EU-Staaten mit dem Europaparlament. Politisch aber ist der Gipfelstreit aber ein Eklat. Die Blockade der beiden Länder zeugt von großer Symbolkraft - und könnte andere EU-Vorhaben gefährden.
Scholz trotz fehlender Einigung zuversichtlich
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich von den Blockadeversuchen allerdings unberührt gezeigt. Er sprach nach dem Treffen von einem "großen Durchbruch". Der SPD-Politiker erklärte, er hoffe nun darauf, dass ein entsprechendes Gesetz noch vor Ende der Legislaturperiode im Sommer 2024 verabschiedet werde. "Wenn die Vorschläge erst umgesetzt sind, dann werden sich auch alle daran halten." Der Kompromiss bei der geplanten Umverteilung der Flüchtlinge in Europa sehe schließlich zwei Möglichkeiten vor. "Es wird einige geben, die ihren fairen Anteil dadurch tragen wollen, dass sie Geld zahlen", so der Kanzler.
Scholz lobte das kürzlich in Deutschland verabschiedete Gesetz zur Einwanderung von Fachkräften als "das fortschrittlichste weltweit" zur Arbeitszuwanderung. Deutschland wolle verstärkt Migrationspartnerschaften abschließen, die einerseits "eine geordnete Zuwanderung als Arbeitskraft" ermöglichen, aber auch sicherstellen, dass diejenigen, die zurückkehren müssen, auch wieder aufgenommen würden. "Das ist in wechselseitigem Interesse und wird sich irgendwann herumsprechen, sodass sich weniger auf die gefährliche Passage machen", erklärte er.
Einigkeit bei Unterstützung für Ukraine
Einigkeit erzielten die Staats- und Regierungschefs am ersten Gipfeltag bei der Unterstützung der Ukraine. Sie wollen die Ukraine stärker bei Planungen für einen internationalen Friedensgipfel unterstützen, der nach Vorstellungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Schweiz organisiert werden könnte. Und die EU bietet der Ukraine nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms weitere Hilfe an, zusätzlich zur bereits laufenden Katastrophenschutzhilfe.
Mit Sicherheitsgarantien für die Zeit nach Ende des russischen Angriffskriegs hält sich die EU aber zurück. In der Gipfelerklärung einigten sich die Staats- und Regierungschefs nur auf eine vage Absichtserklärung für "künftige Sicherheitszusagen". Grund für die zurückhaltende Wortwahl war die Haltung von Ländern wie Österreich, Irland und Malta. Sie wollen militärisch neutral bleiben und sind deswegen auch nicht Mitglied der Nato.
Interesse an stabilen Beziehungen zu China
Am zweiten Tag der Beratungen stand aber vor allem die China-Politik der EU im Fokus. Hierzu konnte man sich auch zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung durchringen. Die Europäische Union will zwar Abhängigkeiten von China reduzieren, sieht das Land aber gleichzeitig weiter als Partner an.
"Trotz ihrer unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systeme haben die EU und China ein gemeinsames Interesse an konstruktiven und stabilen Beziehungen", heißt es in dem von den 27 EU-Staats- und Regierungschefs beschlossenen Text. Es bleibe beim Ansatz, dass China gleichzeitig Partner, Konkurrent und systemischer Rivale sei.
Ukraine-Krieg: Peking soll Kontakte nach Russland nutzen
Die EU "ermutigt" die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, ehrgeizigere Maßnahmen in den Bereichen Klimawandel und biologische Vielfalt, Gesundheit und Pandemievorsorge, Ernährungssicherheit, Katastrophenschutz, Schuldenerlass und humanitäre Hilfe zu ergreifen. Dazu gehöre auch Einflussnahme auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Peking müsse Moskau endlich zu einem Ende der Kämpfe drängen.
Zudem bekräftigt die EU ihre Besorgnis über wachsenden Spannungen in der Straße von Taiwan. Der Status Quo dürfe nicht mit Gewalt oder Zwang verändert werden, heißt es mit Blick auf die Insel Taiwan, die von Peking als abtrünnige Provinz angesehen wird. Außerdem pocht die Union auf die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Man sei besorgt wegen der Lage der Menschenrechte in den Gebieten Tibet und Xinjiang und wolle die Einhaltung früherer Zusagen Chinas in Bezug auf Hongkong.
Mit Material von dpa und AFP
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