"Eine kleine Anerkennung für den Einsatz, den du für unser Land gebracht hast", sagt Rudi Joho. Mit diesen Worten überreicht er einem Mann eine Urkunde, heftet ihm einen Anstecker an. Der ist rund, silbern und etwa so groß wie ein Zwei-Cent-Stück. Ihn ziert ein "V". Es steht für "Einsatzveteran".
Der Akt: Eine symbolische Ehrung in kleinem Rahmen. Rund 30 Männer und Frauen sind an diesem Tag im Frühsommer einer Einladung gefolgt. Sie sitzen in einer Gaststätte in der Memminger Innenstadt. Abgetrennter Saal, gutbürgerliche Küche. Sie verbinden ihre Einsatzerfahrungen aus dem Kosovo oder aus Afghanistan. Nach Rudi Johos Worten ist es der "erste Veteranentreff im Allgäu". Er steht als Regionalvorstand des "Bund Deutscher Einsatzveteranen e.V." (BDV) in schwarzem Sakko vor den Männern und Frauen. Hinter ihm ein Aufsteller, auf dem zwei Soldaten abgebildet sind. Sie tragen Wüstentarn. Der eine legt dem anderen im Gehen den Arm um die Schulter. "Treu gedient, Treue verdient", ist da zu lesen: das Motto des BDV. Er bekomme "eine Gänsehaut" sagt Rudi Joho in die Runde, "so viele zu sehen und begrüßen zu können".
Bundesweite Veteranenbewegung
Rudi Joho geht es um Sichtbarkeit der Bundeswehrsoldaten, die aus Auslandseinsätzen zurückgekehrt sind. Der BDV will eine "Verbesserung der Wertschätzung von Einsatzveteranen in Politik und Gesellschaft" erreichen, heißt es in dessen Leitbild. Rund 1.700 Mitglieder zählt der Verein. Er ist eine von mehreren Organisationen, die sich für Einsatzrückkehrer starkmachen. Bundesweit ist in den letzten Jahren eine eng vernetzte Veteranenbewegung entstanden.
Afghanistaneinsatz sind Grund für die Entwicklung
Marcel Bohnert, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes und Oberstleutnant im Generalstabsdienst, führt diese Entwicklung vor allem auf die Missionen in Afghanistan zurück, in denen deutsche Soldaten teils in heftige Gefechte verwickelt waren: "Ab etwa 2010 war der Leidensdruck der Rückkehrer da, sich gesellschaftlich Gehör zu verschaffen."
Bohnert war 2011 selbst in Afghanistan im Einsatz. Nach der Rückkehr habe er sich "entrückt vom Alltag in Deutschland" gefühlt, schildert er im Gespräch mit dem BR: "Es war ein anderes Leben. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mein Leben in Deutschland mit dem Leben in der Schlammzone in Einklang bringen konnte". Vielen sei dies aber nie gelungen, sagt Bohnert: "Sie bleiben dauerhaft entrückt."
Posttraumatische Belatungsstörungen
Solchen Männern und Frauen gilt auch das besondere Augenmerk von Rudi Joho und seinen Mitstreitern im BDV. Als alle Anstecker verteilt sind, fordert er die Gruppe auf, sich für eine Schweigeminute zu erheben. Neben den Gefallen will Joho die "Einsatzgeschädigten" ausdrücklich bedacht wissen.
Gemeint sind jene Soldatinnen und Soldaten, die verwundet oder traumatisiert aus dem Einsatz heimgekehrt sind. Um manche, kritisiert Joho, kümmere sich die Bundeswehr bis heute mitunter nur unzureichend. Er meint damit insbesondere jene, bei denen psychische Leiden infolge der Einsätze erst Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst auftreten.
Wie hoch ist die Dunkelziffer?
Insgesamt waren seit den frühen Neunzigerjahren laut Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr rund 230.000 Soldatinnen und Soldaten in "Out-of-area-Einsätzen", also in Missionen außerhalb des NATO-Bündnisgebiets. Viele von ihnen nahmen mehrfach an derartigen Einsätzen teil. 116 starben im Einsatz.
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) gelten laut Bundeswehr als seltene Folgeerscheinungen solcher Missionen. Das Einsatzführungskommando verweist auf ein Register, in dem seit 1992 etwa 4.000 Soldatinnen und Soldaten gelistet wurden, die an PTBS oder anderen psychischen Erkrankungen in Folge eines Einsatzes leiden. Wie groß die Dunkelziffer ist, ist demnach unbekannt. Treffen kann es prinzipiell jeden.
Bundeswehr schlecht vorbereitet auf Probleme?
In den Augen von Beobachtern ist der Umgang der Bundeswehr mit psychisch belasteten Soldaten weiterhin ein Thema, auch wenn der Truppe bescheinigt wird, viel dazugelernt zu haben. Etwa, weil heute das Einsatzweiterverwendungsgesetz eine Wiedereinstellung ermöglicht, oder weil es inzwischen zahlreiche Informationsangebote und Hotlines gibt. In den Augen des Militärhistorikers Sönke Neitzel waren Bundeswehr und Politik im Hinblick auf den Umgang mit dem Thema "Getriebene".
Es sei schade, dass in diesem Bereich nicht vorausgedacht wurde, sagte Neitzel jüngst im Interview mit dem BR: "Die Bundeswehr ist gerade in Afghanistan erwachsen geworden, weil sie sich mit Problemen konfrontiert sah, die für viele schon eine Rolle spielten. Etwa für die Franzosen, die Amerikaner, die Briten – also für Länder, die in den Krieg gezogen sind. Die Bundeswehr aber war unvorbereitet, wie man mit PTBS oder mit Verwundeten umgehen sollte."
Bundeswehrverband fordert "Veteranentag"
Der Deutsche Bundeswehrverband macht sich unterdessen für einen "Veteranentag" stark. Mit ihm sollen nach den Worten Marcel Bohnerts insbesondere Soldatinnen und Soldaten geehrt werden, die im Einsatz waren und auch diejenigen, die dabei verwundet oder traumatisiert wurden. Diese Forderung bekräftigte der stellvertretende Verbandsvorsitzende im Laufe des Sommers in zahlreichen Interviews.
Dem BR sagte Bohnert, er sehe derzeit ein gutes Zeitfenster für einen solchen Vorschlag. Die Bundeswehr sei im Zuge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine wieder in den Fokus vieler Menschen gerückt. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Streitkräften sei gewachsen, so Bohnert.
Minister Boris Pistorius (SPD) könne sich einen Veteranentag gut vorstellen, heißt es laut einem Bericht der Rheinischen Post. Die Initiative dazu sollte aus dem Parlament kommen.
Der offizielle Veteranenbegriff ist dabei in Bundeswehrkreisen weiter umstritten. Laut einer Definition des Verteidigungsministeriums gilt in Deutschland inzwischen jeder Soldat, der aktiven Dienst in der Bundeswehr leistet oder ehrenhaft ausgeschieden ist, als Veteranin oder Veteran. Die Definition schließt damit einstige Wehrpflichtige genauso ein, wie Heimkehrer aus den zahlreichen Out-of-area-Einsätzen.
Militärparade in Berlin?
In den Augen von Marcel Bohnert wäre ein zentraler Veranentag in Berlin sinnvoll – ergänzt durch regionale Termine. Ihm geht es um Sichtbarkeit der Einsatzrückkehrer und um direkten Austausch mit Politik und Bevölkerung. Das Parlament entsende die Soldaten, sagt Bohnert. Da gehöre es dann auch dazu, "dass die Soldaten Aufmerksamkeit bekommen. Die Parlamentarier verlieren die Verantwortung nicht, wenn die Soldaten dort unten sind. Sie sind auch für die Reintegration verantwortlich."
Als Negativbeispiel nennt der Stabsoffizier den Großen Zapfenstreich anlässlich des Endes des Afghanistaneinsatzes vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Zu weitläufig sei das Areal abgesperrt gewesen, bemängelt Bohnert. Veteranen hätten keinen Zugang gehabt. Die Bundeswehr aber dürfe sich nicht abschotten, fordert er. Sie dürfe keine "Blackbox" sein, müsse auch öffentliche Kritik aushalten. Eine Militärparade in der Hauptstadt ist für ihn deshalb durchaus denkbar. Der Veteranentag solle schließlich "Gesellschaft und Bundeswehr zusammenbringen".
"Invictus Games" beginnen in Düsseldorf
Für mehr Sichtbarkeit von Veteranen können in den Augen von Bohnert auch die "Invictus Games" sorgen, die an diesem Wochenende in Düsseldorf beginnen.
Bei den Invictus Games (invictus = lateinisch unbesiegt / unbesiegbar) handelt es sich um einen internationalen Wettkampf für körperlich oder psychisch verletzte Soldatinnen und Soldaten. Ins Leben gerufen wurde er vom britischen Prinzen Harry. Er war selbst als Soldat in Afghanistan.
Die Spiele finden erstmals in Deutschland statt. Es handelt sich um die sechste Auflage. Erwartet werden rund 500 Teilnehmer aus 21 Nationen, auch aus der Ukraine. Sie treten in Sportarten wie Schwimmen, Bogenschießen, Rollstuhl-Basketball oder -Rugby gegeneinander an. Zum deutschen Team zählen erstmals auch erkrankte Polizistinnen und Polizisten sowie Feuerwehrleute. Die Eröffnungsrede am Samstag wird Verteidigungsminister Pistorius halten. Zum Abschluss am 16. September soll Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen.
Bayerischer Berufssoldat Botschafter der Spiele
Als offizieller Botschafter der Invictus Games fungiert der Augsburger Stefan Huss. Huss ist Stabsfeldwebel im IT-Bataillon 292 in Dillingen. Nach seinem zweiten Einsatz in Afghanistan im Jahr 2013 entwickelte er eine Posttraumatische Belastungsstörung. Durch therapeutische Behandlungen fand Huss zurück in den Dienstalltag. 2017 nahm er an den Invictus Games in Toronto und 2018 an den Spielen in Sydney teil, wo der Berufssoldat als Kapitän des deutschen Teams antrat. Dabei möchte er selbst keinesfalls als Opfer gesehen werden – eher als Vorbild. "Ohne heroisiert zu werden", sagt Huss im Gespräch mit dem BR. Schließlich seien Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen genauso Teil der Gesellschaft.
Die Forderungen nach einem Veteranentag unterstützt der Stabsfeldwebel. Es gehe um Wertschätzung und Respekt. Gefallenen der Bundeswehr etwa am Volkstrauertag zu gedenken, lehnt er ab. Der 19. November solle im Schwerpunkt dem Gedenken an die Gefallenen der Weltkriege vorbehalten bleiben. "Ein Part unserer Geschichte, den wir nicht vergessen dürfen", so Huss. Es brauche aber einen eigenen Rahmen für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Über Einsatzveteranen der Bundeswehr berichtete das Bayern2 Radiofeature. Die Sendung finden Sie unter anderem in der ARD-Audiothek als Podcast zum Hören oder Herunterladen. Sie zeichnet den Weg der Bundeswehr hin zur Einsatzarmee nach.
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