Ein sonst üblicher Vorgang: Am späten US-Wahlabend steht zum Zeitpunkt X fest, wer die Wahl gewonnen hat. Der Verlierer akzeptiert seine Niederlage und ruft den Gewinner an. Siegt der Herausforderer des amtierenden Präsidenten oder steht der Amtsinhaber nicht mehr zur Wahl, weil er beispielsweise schon zwei Amtszeiten hatte, trägt der Gewinner den Titel "President-elect" bis zu seiner Amtseinführung am 20. Januar.
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Hochrechnungen am Wahlabend gibt es, wenn an der Ostküste die ersten Wahllokale schließen. Das passiert um 1 Uhr deutsche Zeit. Das finale Ergebnis steht in der Regel in den Morgenstunden deutscher Zeit fest: Beim Barack-Obama-Sieg gegen John McCain 2008 gegen 5 Uhr, bei der Obama-Wiederwahl gegen Mitt Romney gegen 5:30 Uhr und beim Trump-Sieg über Clinton gegen 8:30 Uhr.
Eine Ausnahme gab es in der jüngeren Vergangenheit: Bei der umstrittenen Wahl im Jahr 2000, bei der George W. Bush gegen Al Gore gewann, sorgten Unstimmigkeiten bei der Auszählung in Florida dazu, dass das Ergebnis erst viel später feststand – und mit der Unterstützung des Supreme Courts, der eine Wiederholung der Auszählung verhinderte, für Bush ausging. Auch bei der Wahl 2020 könnte es unter Umständen kompliziert werden. Vier Szenarien:
Szenario 1: Joe Biden gewinnt deutlich
Aktuell sehen die Umfragen Trumps Herausforderer Joe Biden deutlich vorne. Sollte der Demokrat es schaffen, schon früh einige "Swing States" im Osten des Landes – zum Beispiel Florida, Pennsylvania, Michigan – klar zu gewinnen, könnte alles früh auf einen Sieg des 77-Jährigen hindeuten. Das Ergebnis einzelner und von der Bevölkerungszahl her kleinerer Staaten würde das Ergebnis nicht mehr verändern können. Mit der Auszählung von Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten und traditionell demokratisch wählenden Staat, könnte Biden als Sieger feststehen. Aufgrund der Deutlichkeit des Ergebnisses würde Trump seine Niederlage anerkennen.
Mögliche Verkündung des Ergebnisses: Zwischen 5 und 9 Uhr deutscher Zeit am 4. November.
Szenario 2: Donald Trump gewinnt deutlich
Hierbei gilt das gleiche wie bei einem deutlichen Biden-Sieg: Holt sich der Amtsinhaber früh einige der Swing States im Osten, könnte alles auf ein klares Ergebnis hinauslaufen. Biden würde seine Niederlage anerkennen.
Die Umfragen deuten allerdings nicht auf dieses Szenario hin, auch wenn diese 2016 ebenfalls mehrheitlich keinen Trump-Sieg vorhergesagt hatten. Ein hoher Trump-Sieg ist dennoch äußerst unwahrscheinlich.
Mögliche Verkündung des Ergebnisses: Zwischen 5 und 9 Uhr deutscher Zeit am 4. November.
Szenario 3: Enges Rennen – die Briefwähler sind entscheidend
Wegen der Corona-Pandemie wird es in den USA eine Rekordzahl von Briefwählern geben. Laut einer Umfrage der Associated Press (AP) wollen 39 Prozent der registrierten Wähler ihre Stimme per Brief abgeben. In manchen Staaten - darunter in den Swing States wie Pennsylvania oder Wisconsin – werden diese erst am Wahltag bearbeitet: Briefe werden gezählt, geöffnet, zugeteilt und die Stimmen gezählt.
Bei der Masse an Briefstimmen wird dieser Vorgang das Endergebnis hinauszögern – und die Präsidenten-Verkündung schiebt sich wegen des engen Rennens um einige Stunde nach hinten. Das Resultat wird aber von beiden Seiten akzeptiert.
Mögliche Verkündung des Ergebnisses: Frühestens mittags (deutscher Zeit) am 4. November, unter Umständen auch erst Tage nach der Wahl.
Szenario 4: Enges Rennen – mit anschließendem Chaos?
Zur zeitlichen Verzögerung könnte ein Faktor hinzukommen, der das politische System ins Chaos stürzen würde: nämlich dann, wenn Trump eine Niederlage nicht akzeptiert. Laut der AP-Umfrage gibt es bei der Präferenz der Art der Stimmabgabe klare Unterschiede: Eine Mehrheit der Trump-Wähler (57 Prozent) will am Wahltag im Wahlbüro ihre Stimme abgeben, während eine Mehrheit der Demokraten (53 Prozent) per Brief abstimmen will.
Es könnte also folgender Fall eintreten: Trump liegt in einigen Staaten vorne, weil dort zuerst die vor Ort abgegebenen Stimmen am Wahltag gezählt werden. Es könnte aber zu einem sogenannten "blue shift" kommen, in dem die später ausgezählten Briefwahlstimmen dem Herausforderer Biden eine Mehrheit bringen. Hinzu kommt, dass es in manchen Staaten reicht, wenn der Stimmzettel am 3. November in die Post gegeben wurde. Dieser wird damit unter Umständen erst einen oder mehrere Tage später gezählt. Bis zu einem möglichen "blue shift" könnten gar Tage vergehen.
In dieser Zeit könnte Trump sich in den jeweiligen Staaten bereits selbst zum Sieger ausrufen oder – wie er es in der jüngsten Vergangenheit häufig getan hat – die Legitimität der Briefwahl anzweifeln. Auf Twitter schrieb er bereits, dass er auf ein Ergebnis am Wahlabend bestehe.
Sollte der Fall eintreten, dass Trump eine Niederlage nicht anerkennt, könnte es ein langer Prozess werden, zahlreiche Klagen wären möglich - zum Teil werden diese in einigen Staaten sogar schon vorbereitet. In diesem Szenario könnte wie im Jahr 2000 der Supreme Court eine entscheidende Rolle spielen und beispielsweise über Neuauszählungen entscheiden.
Dort gibt es nach der Bestätigung von Amy Coney Barrett eine konservative Mehrheit von sechs zu drei. Drei der neun Richter am höchsten Gericht nominierte Trump in seiner Amtszeit. Viele Demokraten befürchten, dass sie bei der Wahl Einfluss zugunsten des Republikaners nehmen könnten.
Mögliche Verkündung des Ergebnisses: Mitte/Ende November, unter Umständen sogar noch später.
Bis zum 8. Dezember muss das Ergebnis feststehen
Am 14. Dezember kommen die Wahlleute zusammen, um den Präsidenten und den oder die Vizepräsidentin zu wählen. Sechs Tage davor, also am 8. Dezember, muss feststehen, welche Wahlleute die Staaten benennen, auf Grundlage der sogenannten "Safe Harbour Deadline".
Sollte es in einigen Staaten dann immer noch unklare Ergebnisse geben, könnten die Parlamente dort per Mehrheitsentschluss entscheiden, an wen die Stimmen der Wahlleute gehen. In sechs Swing States - Florida, Michigan, North Carolina, Wisconsin, Pennsylvania und Arizona - kontrollieren die Republikaner beide Kammern und könnten so entscheidend Einfluss auf den Wahlausgang nehmen. Teile der Demokraten befürchten, dass Trump, wenn es am Wahlabend kein klares Resultat geben wird, das Ergebnis so lange in Zweifel ziehen könnte, bis diese Frist erreicht ist.
Und sollte dieser Fall eintreten, gibt es zwar formal ein Ergebnis - aber ein undemokratisches, das das politische System der USA in seine schwerste Krise stürzen könnte.
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