In die Straßen und ÖPNV-Netze in Deutschland muss schnell und in dreistelliger Milliardenhöhe investiert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik, kurz Difu, die in Berlin vorgestellt wurde. Ein Drittel der insgesamt knapp 714.000 Kilometer an Straßen in Städten, Gemeinden und Landkreisen hat demnach größere Mängel, jeder zehnte Kilometer ist sogar in einem sehr schlechten Zustand. "Das sind Infrastrukturbestandteile, um die man sich eigentlich kurzfristig kümmern muss", sagte Stefan Schneider vom Difu.
Große Teile der Verkehrsinfrastruktur in den Kommunen erreichen dem Difu zufolge bis 2030 das Ende der Nutzungsdauer und müssen ersetzt werden. Allein für die bestehenden kommunalen Straßen entsteht so laut Studie ein Investitionsbedarf von rund 283 Milliarden Euro. Noch mal 20,5 Milliarden Euro braucht es laut Difu, um das Netz zu erweitern oder für eine Verkehrswende anzupassen.
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Fast jede zweite Straßenbrücke in keinem guten Zustand
Das Institut hat den Zustand der kommunalen Verkehrsnetze im Auftrag des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und des ADAC untersucht. Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass fast jede zweite Straßenbrücke in den Kommunen in keinem guten Zustand ist. Gerade die Brücken sind Schneider zufolge ein "Flaschenhals", weil es für Verkehrsteilnehmende große Auswirkungen hat, wenn sie nicht genutzt werden können. Stefan Gerwens vom ADAC wies darauf hin, dass der Straßenzustand auch für die Verkehrssicherheit entscheidend sei, "denn Schlaglöcher stellen für jeden Zweiradfahrer ein erhebliches Sturzrisiko dar und sind nicht nur eine Frage des Komforts".
ÖPNV: Geringer Investitionsbedarf, großer Hebel für Verkehrswende
Bei den ÖPNV-Netzen ist die Situation laut der Analyse etwas besser. Mit rund 900 Kilometern an U-Bahn-Gleisen und 6.320 Kilometern an Straßenbahnstrecken ist das Netz zwar viel kleiner, mit Blick auf die Verkehrswende sind aber auch hier in den nächsten Jahren hohe Investitionen nötig. Die Studie beziffert den Bedarf für den Erhalt der Strecken auf 64 Milliarden Euro.
Im Vergleich zu den Straßen weise der ÖPNV nur einen Bruchteil des Investitionsbedarfs auf, dessen Ausbau sei aber ein großer Hebel für die Verkehrswende, sagte Anne Klein-Hitpaß vom Difu. "In einem nachhaltigen Verkehrssystem wird der ÖPNV eine zentrale Rolle spielen", betonte sie. "Die Verkehrswende ist finanzierbar." Konkret wurden für die Erweiterung des ÖPNV in der Studie 4,5 Milliarden Euro veranschlagt.
"Alarmierend": VDV-Hauptgeschäftsführer äußert sich zu Studie
Die Ergebnisse zeigten "ein alarmierendes Bild des Zustands der kommunalen Verkehrsinfrastruktur", erklärte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. "Wir haben immer betont, dass der angestrebte Fahrgastzuwachs und die Verlagerung auf den ÖPNV vor allem dann nachhaltig funktioniert, wenn das Angebot für die Menschen attraktiv genug ist", erklärte Wolff. Die jährlichen Fördermittel des Bundes für Kommunen dürften dazu ab 2025 nicht mehr ausreichen, weil immer mehr Projekte angemeldet würden. Der VDV halte eine Erhöhung von zwei auf drei Milliarden Euro jährlich für geboten.
Bauindustrie-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller betonte, die Verkehrsinfrastruktur sei ein wichtiger Standortfaktor für die Wirtschaft. Die Industrie habe das Know-how und die Kapazitäten, um die politischen und gesellschaftlichen Ziele umzusetzen. "Es ist aber auch klar, dass, wenn der Scheck morgen kommen sollte, diese Projekte nicht von heute auf morgen in ein, zwei, drei Jahren umsetzbar sind", sagte Müller. Er forderte Planungssicherheit und beschleunigte Verfahren.
Können die benötigten Investitionen bis 2030 gedeckt werden?
Dass der riesige Investitionsbedarf von der Politik bis 2030 vollständig gedeckt wird, ist angesichts der aktuell schwierigen Haushaltslage unwahrscheinlich. Mehrere Verkehrsverbände kritisierten, dass die Bundesregierung derzeit grundsätzlich nicht erkennen lasse, wo Deutschland bei der Verkehrswende hinwolle.
Ampel im "Rückwärtsgang" - doch es gibt auch Lob
Schlechte Noten für die Ampel-Koalition gab es von der Allianz pro Schiene, dem Fahrradclub ADFC und dem Autoclub ACE vor allem bei den Vorhaben, den Radverkehr zu stärken, die Verkehrssicherheit zu verbessern sowie klimaschädliche Subventionen abzubauen, wie aus einem gemeinsamen Papier hervorgeht. Es fehle eine Gesamtstrategie für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Radwege. Die Ampel blinke verkehrspolitisch immer wieder in unterschiedliche Richtungen, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene.
Mit Blick auf den Radverkehr kritisierte Angela Kohls, Leiterin Verkehrspolitik beim Fahrradclub ADFC, es gebe keinen klaren Umsetzungsplan des Nationalen Radverkehrsplans. Zu geplanten Kürzungen bei der Förderung des Radverkehrs im Entwurf des Bundeshaushalts 2024 sagte sie, die Ampel lege den Rückwärtsgang ein und halte nicht, was sie versprochen habe.
Als befriedigend werteten die Verbände aber die Stärkung der Schiene sowie des Öffentlichen Personennahverkehrs. Das Deutschlandticket im Nah- und Regionalverkehr sei verkehrspolitisch ein "Riesenschritt" nach vorn, hieß es. Flege kritisierte aber den Streit zwischen Bund und Ländern um die künftige Finanzierung des Tickets.
Mit Informationen von AFP und dpa
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