Mehr als 500 Tage ist es inzwischen her, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Zeitenwende ankündigte. Nach Jahrzehnten des Kaputtsparens sollte die Bundeswehr wieder vernünftig ausgerüstet werden. Unter anderem versprach der Kanzler eine Aufstockung des Verteidigungshaushaltes und ein sogenanntes Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Bei den bayerischen Rüstungsunternehmen ist von diesem Geld bisher nur sehr wenig angekommen. Darüber sprachen am Donnerstagabend Betriebsräte und Vertreter der IG Metall in München mit Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Rüstungsindustrie erhoffte sich klare Aussagen von Pistorius
Die Kameras klickten, Boris Pistorius blickte freundlich in die Objektive. Es war nicht der erste Fototermin des Verteidigungsministers an diesem Tag. Gegen Mittag hatte er sich in Bad Reichenhall in Flecktarnjacke mit einem Muli der Gebirgsjäger ablichten lassen. Am Abend stand er dann im Münchener Osten mit Parteifreund Florian von Brunn von der Bayern-SPD im Anzug zwischen Belegschaftsvertretern von Rüstungsfirmen aus dem Freistaat.
Einer von ihnen war Hubert Otto, Gesamtbetriebsratschef des Münchener Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann, der sich gerade in KNDS Deutschland umbenannt hat. "Wir erhoffen uns klare Aussagen, wie es in der Verteidigungsindustrie weitergeht. Wie die Verteilung der 100 Milliarden stattfinden soll. Bisher ist hier noch sehr wenig geflossen. Die Belegschaft erhofft sich hier natürlich auf Dauer sichere Arbeitsplätze", erklärt Hubert Otto.
"Verheerend": Bundeswehr beklagt mangelnde Ausstattung
Nach der "Zeitenwende"-Rede des Bundeskanzlers vor eineinhalb Jahren hatte man sich in der Verteidigungsindustrie nicht nur warme Worte, sondern auch handfeste Bestellungen erhofft. Denn die Bestandsaufnahme der Bundeswehr war verheerend. Der Inspekteur des Heeres zum Beispiel hatte klipp und klar erklärt, die Truppe stehe mehr oder weniger blank da. Seither wurde die Bundeswehr noch blanker, da sie einiges von ihrem ohnehin schon knappen Material an die Ukraine abgab. Zumindest ein Teil davon soll nun ersetzt werden.
Und das gehe auch schneller als gedacht, sagte der Verteidigungsminister in München. Seit seinem Amtsantritt zu Beginn des Jahres versucht er, Tempo in die berüchtigt zähe Beschaffungsbürokratie der Bundeswehr zu bringen: "Die Leopard-Nachbestellung für die Panzer, die in die Ukraine gegangen sind, sollte - als ich anfing - nach Vorstellung meines Hauses getroffen und unterschriftsreif sein bis Ende des Jahres. Jetzt haben wir es geschafft bis Ende Mai", erklärte Pistorius. "Das ist eine 50-prozentige Verkürzung. Bei den Panzerhaubitzen hieß es: bis zum Sommer - unterschrieben wurden die Verträge im März. Das bedeutet: Es geht, die Beschleunigung greift."
"Deutschland-Tempo"? Lieferungen dauerten zu lange
Doch bis diese Fahrzeuge bei der Truppe eintreffen, dürften noch Jahre vergehen. Das sogenannte Deutschland-Tempo, das von der Bundesregierung immer wieder propagiert wird: Im Verteidigungsbereich ähnele es eher einem Kriechgang als einem Sprint, kritisieren Oppositionsvertreter wie Reinhard Brandl. Der CSU-Bundestagsabgeordnete ist Mitglied des Verteidigungsausschusses. Brandl erkennt zwar das Bemühen von Minister Boris Pistorius um mehr Geld und mehr Tempo an, doch er kritisiert, dass die Dringlichkeit der Lage in weiten Teilen der Bundeswehrbürokratie noch gar nicht angekommen sei.
"Die Zeitenwende läuft, aber sie läuft viel zu langsam. Die Bundeswehr hat über 500 Tage gebraucht, um nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine größere Munitionsbestellungen aufzugeben. Die Verträge sind super, sind wasserdicht und halten vor jedem Gericht. Aber es dauert viel zu lange. Und deshalb ist auch noch nichts angekommen", sagt Reinhard Brandl.
Noch keine Großaufträge in Bayern - aber Mittelständler profitiert
Auf die ganz großen Bestellungen müssen die Verteidigungskonzerne aus Bayern wohl noch warten. Von den bisherigen Großaufträgen aus dem Sondervermögen profitieren bisher im Wesentlichen andere, etwa der US-Konzern Lockheed Martin oder Rheinmetall aus Nordrhein-Westfalen. Von einer Bestellung an Rheinmetall profitiert aber zumindest indirekt auch der Standort Bayern. Der Mittelständler ACS aus Friedberg ist am Bau von mehreren tausend sogenannten Caracal-Fahrzeugen beteiligt; das sind hoch mobile und geschützte Geländewagen, die auf der G-Klasse von Mercedes beruhen.
Treffen gilt als Signal der Vertrauensbildung
Die Hoffnungen der Rüstungs-Betriebsräte auf mehr und schnelle Aufträge konnte Boris Pistorius bei seinem Besuch in München nicht erfüllen. Aber das Treffen wurde zumindest als Signal der Vertrauensbildung und der Wertschätzung verstanden, nach langen Jahren, in denen die Amtsvorgängerinnen einen weiten Bogen um die Industrie gemacht hatten.
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