Der Krieg in der Ukraine und die Lage in Russland, die Gewaltspirale im Nahen Osten, Spannungen im südchinesischen Meer, Skepsis im Globalen Süden gegenüber dem Westen: Es waren vielfältige Konflikte und Probleme, die die 60. Münchner Sicherheitskonferenz prägten - und auf die Stimmung drückten. "Die Haupterkenntnis ist, dass tatsächlich die Konflikte zwar im Mittelpunkt stehen, aber noch immer nicht ihre Lösungen", sagt die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff bei BR24live. Es gebe in diesem Jahr viele massive Konflikte, die aktuell eskalierten. "Diese Krisenstimmung merkt man sehr deutlich auf der Konferenz."
Auch Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR), nimmt eine deutlich gedämpftere Stimmung als im vergangenen Jahr wahr. 2023 sei in München die "Wiedergeburt des Westens" gefeiert worden, es habe damals viel Optimismus mit Blick auf die Ukraine geherrscht. "Ein Jahr später zieht sich durch alles, was ich hier erlebe, das Gefühl, dass wir nicht so weit gekommen sind, wie wir vor einem Jahr wollten." Alles werde von der Sorge vor den weiteren Entwicklungen überschattet.
1. Nahost-Konflikt: Harte Fronten
Besonders krass treten in München die verhärteten Fronten im Nahost-Konflikt zutage. Direkte Gespräche zwischen Vertretern Israels und der Palästinenser gibt es auch auf den Podien der Sicherheitskonferenz nicht - so gern die Veranstalter sie auch gesehen hätten. Es gebe leider "diplomatische Realitäten", sagt Programmdirektorin Lisa Marie Ullrich.
So sprachen der israelische Präsident Jitzchak Herzog und der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtajjeh in München an unterschiedlichen Tagen. Beide traten zudem jeweils allein auf - und somit auch jenseits größerer Diskussionsrunden mit Spitzenvertretern der umliegenden Staaten. Und so laut die Rufe aus aller Welt nach einer Zweistaatenlösung waren, die schon seit drei Jahrzehnten diskutiert wird, so deutlich wurde in München, wie weit der Weg dorthin ist.
Im Nahost-Konflikt seien bei der Konferenz "sehr, sehr unterschiedliche Haltungen" zutage getreten, sagt Deitelhoff. Die eine Seite fordere, es müsse jetzt sofort ein Ende der Kampfhandlungen geben - und zwar ohne Gegenleistung bei der Freilassung von Geiseln. Die andere Seite verlange dagegen eine bedingungslose Freilassung der Geiseln, erst danach könne über einen Waffenstillstand gesprochen werden. Das führe letztlich zu einer Blockade.
Wechselseitige Vorwürfe - und Gespräche hinter Kulissen
Schtajjeh beklagt in München israelische "Gräueltaten" im Gazastreifen, Israel plane die Vertreibung der Palästinenser. Nötig seien ein sofortiger Waffenstillstand, humanitäre Hilfe und eine Anerkennung des palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967. Da die Palästinenser in Israel keinen Partner hätten, mit dem sie sprechen könnten, brauche es die Hilfe der internationalen Gemeinschaft.
Widerspruch kommt kurze Zeit später von Israels Ex-Außenministerin Tzipi Livni: "Nur mit dem Finger zu zeigen und die internationale Gemeinschaft anzurufen, 'gebt uns einen Staat', das ist nicht hilfreich." Es sei die Hamas, die kein Ende des Konflikts wolle und Israels Existenzrecht nicht akzeptiere. Sie selbst sei eine politische Gegnerin von Benjamin Netanjahu, unterstütze aber den Krieg in Gaza und das Ziel, die Hamas zu besiegen.
Der Leiter der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, spricht dennoch von einem "Silberstreif" durch das Treffen in München, dessen Motto "Frieden durch Dialog" sei. Denn es habe hinter den Kulissen eine Begegnung des israelischen Präsidenten mit dem Premierminister von Katar gegeben. Auch Programmdirektorin Ullrich betont: "Es geht nicht immer nur um die Bühne", sondern auch darum, was "hinter der Bühne passiert". Zwar nahm der Nahost-Konflikt heuer in München wegen der Brisanz der Lage viel Raum ein, Beobachter erinnern aber daran, dass er auf der Sicherheitskonferenz über Jahre nur eine Nebenrolle gespielt hatte.
2. Der Krieg in der Ukraine: "Putin handelt"
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wäre ohnehin eines der zentralen Themen der Sicherheitskonferenz geworden - die Nachricht vom Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny unmittelbar vor der Eröffnung befeuerte die Debatten zusätzlich. Ullrich spricht von einem "Weckruf", der deutlich gemacht habe: "Putin wartet nicht auf Antworten aus Europa, aus dem transatlantischen Raum, von der Welt. Sondern Putin handelt".
Das Fazit von Konfliktforscherin Deitelhoff fällt dennoch ernüchternd aus. In München seien "ganz viele Durchhalteparolen" und Berichte über schon Geleistetes zu hören gewesen. "Aber die Gegenwart und Zukunft sieht nicht so gut aus." Sollte die europäische Unterstützung auf dem bisherigen Niveau bleiben, "wird das nicht reichen". Zumal in München klar geworden sei, dass in den USA "die Republikaner nicht mehr an Bord sind, sie wollen die Ukraine-Hilfe herunterfahren".
Auch Puglierin betont: "Was die Europäer und die Amerikaner momentan kollektiv machen, reicht eben nicht, um die Ukrainer zum Sieg zu führen (...). Es geht wirklich darum, dass wir erkennen, dass unsere Sicherheit momentan extrem bedroht ist." Europa müsse sich darauf vorbereiten, weniger Unterstützung der USA zu erhalten.
Widerstände in den USA "werden größer"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe in München versucht, bei der amerikanischen Delegation Überzeugungsarbeit zu leisten und deutlich zu machen, wie dringend sein Land die Unterstützung der USA benötige, sagt Puglierin. "Aber die Widerstände werden größer." Der republikanische US-Senator J. D. Vance habe in München klar gesagt, dass sich die USA entscheiden müssten, ob ihnen China oder die Ukraine wichtiger sei. "Er plädiert klar für den indopazifischen Raum."
Vance sei Vertreter des "rechten Randes", der das republikanische Lager derzeit fest im Griff habe, erklärt die Expertin. Auch wenn viele Abgeordnete noch immer versicherten, wie fest sie an der Seite der Ukraine stünden, "sind es diese entscheidenden Akteure der Ränder, die gerade die Debatten bestimmen". Daher sei es wichtig gewesen, diese Position in München zu hören. "Das tut uns allen hier gut, die wir immer noch in dieser Wohlfühlblase sitzen und denken, es wird immer so weitergehen, wie wir es aus der Nato in den letzten Jahren kennen."
Berlin habe lange Zeit eine Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus für keine realistische Möglichkeit gehalten. "Jetzt ist es wirklich eingesickert", sagt Puglierin. Die Kernnachricht dieser Konferenz sei aus ihrer Sicht daher der Appell an Europa und die Erkenntnis in Europa: "Wir müssen jetzt tatsächlich mehr machen und nicht nur darüber reden."
Video: Interview mit Stephan Bierling
3. Der Westen und die übrige Welt
Stärker als in vergangenen Jahren haben sich laut Deitelhoff in München dieses Mal "komplett unterschiedliche Perspektiven auf die Welt und ihre Probleme" gezeigt. Dies habe sich durch die gesamte Sicherheitskonferenz gezogen. "Die einen sagen, das Problem ist, dass der Westen seine eigenen Interessen durchsetzt und dafür doppelte Standards gelten lässt", schildert die Konfliktforscherin. "Die anderen sagen: Wir haben das Problem mit aggressiven Staaten und Akteuren, die versuchen, die regelbasierte Weltordnung zu untergraben. Und deswegen müssen wir jetzt zusammenstehen." Bei derart unterschiedlichen Perspektiven sei es schwierig, noch das Gemeinsame und den Weg zur Problemlösung zu erkennen.
Programmleiterin Ullrich betont, in diesem Jahr seien auf der Konferenz etwa 30 Prozent der Sprecherinnen und Sprecher aus den Ländern des Globalen Südens gekommen. Das sei im Vergleich zu vergangenen Jahren "ein großer Sprung". Für die Veranstalter stehe fest: "In Zeiten wie diesen braucht es auf viele Fragen, denen wir uns gegenüberstehen, globale Antworten. Da reichen häufig auch transatlantische nicht mehr aus." Deswegen sei es wichtig gewesen, "die globale Perspektive einzubinden - Stimmen aus Indien, Stimmen aus Afrika".
Ernüchternde Signale
Auch weitere Konflikte seien beackert worden, sagt Heusgen zum Abschluss der Sicherheitskonferenz - die Lage am Horn von Afrika, im Sudan, in Haiti. In der Rede von Chinas Außenminister Wang Yi ging es einmal mehr auch um Taiwan. Er stellte erneut klar, dass Taiwan aus Sicht seiner Regierung Teil des chinesischen Territoriums sei und eine "friedliche Wiedervereinigung" unabdingbar sei. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnt hier vor Parallelen zur Ukraine: "Was heute in der Ukraine passiert, kann morgen in Taiwan passieren." Auch deswegen dürfe Putin nicht gewinnen in der Ukraine. Denn ein solcher Sieg wäre laut Stoltenberg eine Botschaft an China, dass sich militärische Gewalt auszahle.
So gehen von der dreitägigen Münchner Konferenz insgesamt ernüchternde Signale aus. Für Programmleiterin Ullrich aber ist das Treffen trotzdem bedeutsam. Es sei wichtig, eine Plattform für Debatten und die gemeinsame Suche nach Lösungen zu bieten. Eine Alternative dazu "gibt es in der aktuellen Zeit eigentlich nicht".
Video: Interview mit Constanze Stelzenmüller
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!