Zwei Abwesende prägen die Debatten stärker als die meisten Anwesenden: Am zweiten Tag der 60. Münchner Sicherheitskonferenz geht es immer wieder um den russischen Präsidenten Wladimir Putin sowie den US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump. Im Mittelpunkt der Reden und Diskussionsrunden steht vor allem der Krieg in der Ukraine, aber auch die weitere Entwicklung im Nahen Osten. Fünf Dinge, die am zweiten Konferenztag besonders wichtig waren:
1. Militärhilfe für die Ukraine: Wer ist vor allem in der Pflicht?
Über das Ziel herrscht bei den westlichen Verbündeten viel Übereinstimmung, über das "Wie" und das "Wer" gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Die Ukraine soll im Verteidigungskrieg gegen Russland möglichst viel Unterstützung bekommen - aber welche Staaten müssten konkret was tun?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht vor allem andere europäische Staaten in der Pflicht - auch angesichts der umfangreichen Unterstützung der Ukraine durch Deutschland und die USA. Der Kanzler verweist zunächst auf die deutsche Militärhilfe in Milliardenhöhe, später dann auf das Engagement der USA: Diese hätten seit Kriegsbeginn der Ukraine mehr als 20 Milliarden Dollar an Militärhilfe pro Jahr geleistet, bei einem Bruttoinlandsprodukt von 28 Billionen Dollar. "Eine vergleichbare Anstrengung muss doch das Mindeste sein, was auch jedes europäische Land unternimmt", sagt Scholz.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg fordert die USA auf, der Ukraine zu liefern, "was sie versprochen haben". Das US-Repräsentantenhaus müsse die von der Regierung von Präsident Joe Biden geplanten Militärhilfen für die Ukraine freigeben. Ein Hilfspaket im Wert von 60 Milliarden Dollar (rund 55,7 Milliarden Euro) wird seit Wochen im Kongress in Washington blockiert. Abgeordnete vom rechten Rand der Republikaner stemmen sich gegen weitere US-Hilfen für die Ukraine, die demokratische US-Vize-Präsidentin Kamala Harris warnt vor "politischen Spielchen".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnet nach einem Treffen mit Harris die geplanten US-Militärhilfen als "lebenswichtig" für sein Land und ruft ebenfalls zu einer Freigabe auf. In seiner mit Spannung erwarteten Rede am Vormittag bekräftigt Selenskyj einmal mehr, dass die Ukraine für ihren Kampf zusätzliche Waffen benötige, vor allem solche mit großer Reichweite. Er hält sich aber mit konkreten Forderungen an bestimmte Staaten zurück - und richtet einen grundsätzlichen Appell an die ganze Welt, sich gegen den Aggressor zu stellen, um eine "Katastrophe" zu verhindern.
Im Video: Selenskyj drängt auf mehr Waffenhilfe
2. Das Szenario Trump schwingt mit
Obwohl er nicht vor Ort in München ist, ist der Wieder-Präsidentschaftskandidat Donald Trump ständig präsent. Das Szenario, dass er im Herbst zum zweiten Mal an der Spitze der USA stehen könnte, schwingt in vielen Reden und Gesprächen mit: Wie es mit den Ukraine-Hilfen weitergehen würde, welche Folgen es für die globale Stabilität hätte, und was es für die Nato bedeutet, wenn Trump seine Drohung wahr machen würde, die Bündnispartner nicht zu schützen.
In den Diskussionen auf der Hauptbühne fällt Trumps Name ähnlich oft wie der von Joe Biden, der ebenfalls nicht anwesend ist – allerdings seine Vize Kamala Harris. Sie war es, die Biden am ersten Konferenztag am häufigsten erwähnte, um ihre gemeinsamen Positionen zu unterstreichen: Demokratische Normen auch im Ausland verteidigen und sich global engagieren zum Beispiel. "Es gibt in den Vereinigten Staaten Leute, die dies nicht so sehen", sagte sie in Anspielung auf Trump. Diese Weltsicht bezeichnen sie als "gefährlich" und "destabilisierend", sie würde Amerika schwächen und die globale Stabilität untergraben. "Isolation ist kein Schutz."
Für Applaus und Grinsen sorgt der ukrainische Präsident Selenskyj, als er Trump erwähnt. Auf die Frage aus dem Publikum, ob man Trump nicht mal nach Kiew einladen sollte, damit er sich ein Bild des Kriegs in der Ukraine machen kann, sagt er: "Das habe ich getan." Ob er komme, hänge von Trump ab. "Wenn er kommt, bin ich bereit, mit ihm an die Front zu reisen."
Als Bundeskanzler Scholz gefragt wird, ob er Angst davor habe, dass Trump erneut US-Präsident würde, weicht er aus: Man müsse erst abwarten, wie sich die Amerikaner entscheiden. Sozusagen: Keine Sorgen machen, bevor es nicht soweit ist. Wo er steht, macht er trotzdem klar: "Manche glauben, dass es bei Politik nicht um seriöse Dinge geht, sondern um Theater. Das ist nicht so", sagt der Kanzler. Das Verhältnis zwischen Deutschland und USA sei aktuell – also mit der demokratischen Biden-Regierung - besser als je zuvor. "An diese erfolgreiche Zusammenarbeit sollten wir uns halten."
Auch andere mahnen erstmal zur Ruhe. Der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre betont, man solle sich von der aktuellen "Trump-Panik" nicht aus der Bahn werfen lassen. Und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte meint: "Wir sollten uns nicht immer über Trump beklagen und rumjammern, sondern vielmehr etwas tun. Trump betrifft uns nicht, es ist eine Entscheidung der USA." Doch ob Beschwichtigung oder Sorge: Ein Thema in den Köpfen ist Trump jedenfalls bei dieser Sicherheitskonferenz. Das zeigt sich auch darin, dass es immer wieder das Publikum ist, dass Fragen zu ihm an die Spitzenpolitiker stellt.
3. Putins Botschaft aus der Ferne – und die Antwort des Westens
Die Nachricht vom Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny ging unmittelbar vor der Eröffnung der 60. Münchner Sicherheitskonferenz am Freitagmittag um die Welt. Ein Zufall? Der ukrainische Präsident Selenskyj macht am Samstag bei seinem Auftritt in München den russischen Präsidenten für den Tod des Oppositionspolitikers verantwortlich und kritisiert Wladimir Putin als "Monster". "Gestern hat er versucht, uns eine klare Botschaft zu schicken hier bei der Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz. Putin hat einen weiteren Oppositionsführer ermordet." Auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hält den Zeitpunkt von Nawalnys Tod für "keinen Zufall".
Selenskyjs Antwort auf Putins "Botschaft": Der Diktator müsse besiegt und sein Regime zerstört werden. Die westlichen Verbündeten dürften keine Angst davor haben. Die Entschlossenheit, Putin in die Schranken zu weisen, zieht sich am zweiten Tag der Sicherheitskonferenz durch viele Reden von Spitzenpolitikern. Estlands Regierungschefin Kaja Kallas betont, Nawalnys Tod zeige Putins Charakter. "Wir sollten gar nicht mehr groß darüber reden, ob wir was machen, sondern wir müssen alles tun." Sie zieht einen Vergleich zu den 1930er Jahren und damit zu Adolf Hitler. Man müsse den Aggressor aufhalten: "Wir sollten diese Lehre der Geschichte wirklich lernen."
Spitzenvertreter mehrerer Nato-Staaten bekräftigen in München ihren unbedingten Willen, die Ukraine im Kampf gegen Putins Russland zu unterstützen. Bundeskanzler Olaf Scholz warnt, ein Sieg Russlands wäre nicht nur das Ende des ukrainischen Staats, sondern würde auch die europäische Friedensordnung zerstören und Autokraten in aller Welt zum Einsatz von Gewalt ermutigen. Die Erschütterung über Nawalnys Tod ist in München groß – sie bestärkt aber bei vielen Teilnehmern die Entschlossenheit, sich von Putin nicht einschüchtern zu lassen.
4. Viel Ratlosigkeit beim Nahost-Konflikt
Neben dem Krieg in der Ukraine prägt der blutige Konflikt im Nahen Osten am zweiten Tag die Debatten der Sicherheitskonferenz. Unisono betonen Spitzenpolitiker aus aller Welt die Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung - ohne dass klar wird, wie ein solches Ziel erreicht werden könnte. Forderungen nach einem eigenen Staat für die Palästinenser sind jahrzehntealt.
Der Ministerpräsident Katars, Scheich Mohammed Bin Abdulrahman al-Thani, schildert, im Moment konzentrierten sich die Vermittler in dem Konflikt auf die Frage, wie der Krieg beendet werden könne. Er dämpft in diesem Zusammenhang aber Hoffnungen auf eine rasche Waffenruhe im Gazastreifen. Es gebe noch "eine ganze Reihe von Meinungsverschiedenheiten". Der Verlauf der Gespräche der vergangenen Tage sei "nicht wirklich ermutigend". Zwei Elemente stünden bei den Verhandlungen im Fokus: Der humanitäre Aspekt und die Frage, wie viele Geiseln freigelassen werden sollten. "Wir stellen fest, dass es Schwierigkeiten gibt, gerade im humanitären Teil des Verhandlungsstrangs."
Auch der saudische Außenminister Faisal bin Farhan Al Saud betonte, sein Land konzentriere sich bei den Verhandlungen aktuell auf einen Waffenstillstand. Zunächst gelte es, die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen zu beenden. Anschließend sei sein Land offen für weitere Gespräche. Stabilität in der Region sei nur mit einem palästinensischen Staat möglich. "Das ist unser Fokus nach einem Ende der Kampfhandlungen."
Später demonstrieren dann Angehörige von israelischen Geiseln auf der Galerie des zentralen Konferenzsaals - während Israels Präsident Izchak Herzog von seinen Münchnern Gesprächen mit Politikern über eine mögliche Freilassung spricht. Die Beratungen hätten ihn "sehr berührt". Es gebe eine weltweite Bemühung, koordiniert von den Amerikanern, um die Freilassung der übrigen israelischen Geiseln zu erreichen. "Ich kann jetzt nicht genau analysieren, wie die Chancen stehen." Der Premier von Katar sei eingeweiht und habe auch mit Ägypten gesprochen.
Video: Diskussion über Nahost-Konflikt
5. Rund 7.500 demonstrieren am Rande der Sicherheitskonferenz
An die größten Tage der Demonstrationen gegen die Sicherheitskonferenz selbst knüpfen die Proteste zwar auch 2024 nicht an. Es gibt im Münchner Stadtgebiet aber sehr vielfältige Kundgebungen.
Das "Aktionsbündnis gegen die Sicherheitskonferenz" versammelt sich wie gewohnt am Stachus, um dann in einem großen Bogen rund um den Tagungsort Bayerischer Hof zu ziehen. Gleichzeitig bildet sich eine Menschenkette durch die Fußgängerzone bis zum Marienplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfinden. Das Bündnis bezeichnet die Sicherheitskonferenz als "Treffen von Kriegstreibern", in diesem Jahr werden zahlreiche Palästina-Fahnen geschwenkt. Laut Polizei nehmen bis zu 2.500 Menschen an dieser Demonstration teil. Weitere Kundgebungen wenden sich gegen Missstände in vielen Regionen der Welt, von Menschenrechtsverletzungen in Äthiopien und Bangladesch bis hin zu einer Demo gegen das Regime in Iran.
Auf dem Königsplatz sind nach Polizeiangaben bis zu 2.000 Menschen einem Aufruf von "München steht auf" gefolgt - unter dem Motto "MachtFrieden!". Nach Polizeiangaben sind Teile der Anwesenden eher dem politisch rechten, prorussischen Lager zuzuordnen. Das Bündnis wird in Teilen der Querdenker-Szene zugeschrieben. Dem entgegen steht die Forderung von mehr als 3.000 Menschen, die sich auf dem Odeonsplatz versammelt haben, um für die Ukraine im bewaffneten Kampf gegen Russland mehr Unterstützung zu fordern. Dort treten unter anderem Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreifer (Grüne) auf.
Video: Friedliche Demos am Rande der Sicherheitskonferenz
Mit Informationen von dpa, Reuters und AFP.
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