Mehr als 100 Menschen sind nach Angaben der Palästinenser bei der Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen ums Leben gekommen. Die genauen Umstände sind weiter unklar. International hat der tödliche Vorfall vielfach Empörung ausgelöst.
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Mehr als 100 Menschen sind nach Angaben der Palästinenser bei der Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen ums Leben gekommen.

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Viele Tote bei Hilfsgüter-Verteilung: Was ist in Gaza passiert?

Bei der Verteilung von Hilfsgütern in Nord-Gaza hat es am Donnerstag mehr als 100 Tote gegeben. Die Rolle des israelischen Militärs dabei ist nicht ganz klar. Was zu dem Vorfall bisher bekannt ist - und welche Reaktionen er hervorrief.

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Tausende Palästinenser haben sich am Donnerstag in Nord-Gaza versammelt, um dort Hilfsgüter zu empfangen. Bei deren Verteilung kamen mehr als 100 Menschen ums Leben, mehrere Hundert wurden verletzt. Was ist passiert?

Unterschiedliche Versionen

Laut israelischem Militär gab es nach der Ankunft des Hilfskonvois ein großes Gedränge. Mehrere Dutzend Menschen seien zu Tode getrampelt, einige auch von LKWs überfahren und verletzt worden. Hilfsgüter seien geplündert worden. Als die Lastwagen wieder abfuhren, habe sich eine Gruppe von Menschen israelischen Soldaten genähert, die die Hilfslieferung kontrollierten. Die Soldaten hätten daraufhin Warnschüsse abgegeben. Als die Gruppe trotzdem weiter näherkam, hätten die Soldaten das Feuer eröffnet. Laut israelischen Medienberichten zielten sie auf die Beine, dabei sei eine Handvoll Menschen verletzt worden.

Der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur warf dem israelischen Militär dagegen vor, vorsätzlich mehr als hundert Palästinenser bei der Ankunft von Nothilfe getötet zu haben. Er sprach von 112 Toten und 750 Verletzten. Die von der Hamas kontrollierte palästinensische Gesundheitsbehörde im Gazastreifen sprach von 760 Verletzten. Sie nannte die Vorfälle ein "Massaker" - Dutzende Menschen seien mit Schusswunden in die Krankenhäuser gebracht worden. Es war auch die Rede von Kopfschüssen.

Beunruhigung bis Empörung - Internationale Reaktionen

UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte den Vorfall: Mehr als 100 Menschen seien getötet worden, während sie auf Hilfslieferungen gewartet hätten, zitiert ihn sein Sprecher Stéphane Dujarric. Guterres forderte, die Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza müsse möglich sein. Kürzlich hatten die Vereinten Nationen erklärt, dass dort mehr als eine halbe Million Menschen akut vom Hungertod bedroht sei.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich beunruhigt: Auf X (vormals Twitter) forderte sie eine umfassende Untersuchung der Vorfälle. Außerdem müsse der Zugang der Menschen im Gazastreifen zu humanitärer Hilfe gewährleistet sein. Ähnlich äußerten sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und EU-Ratspräsident Charles Michel. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sprach, ebenfalls auf X, von einer "großen Empörung über die Bilder aus Gaza, wo Zivilisten von israelischen Soldaten ins Visier genommen wurden". US-Präsident Joe Biden äußerte die Befürchtung, dass der Vorfall die Verhandlungen über eine erneute Feuerpause im Gazastreifen erschweren werde.

Im UN-Sicherheitsrat kamen die Vorfälle noch am Donnerstag auf die Tagesordnung. Weiterhin im Raum steht dort auch eine Resolution für eine humanitäre Waffenruhe und dem Schutz von Zivilisten im Gaza-Krieg. Dies scheiterte jedoch bisher mehrmals an dem Veto der USA.

Israelischer Minister will Hilfslieferungen einstellen

Ganz andere Konsequenzen fordert der rechtsextreme israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir: Er sagte, die Geschehnisse am Donnerstag hätten gezeigt, dass die Hilfslieferungen israelische Soldaten gefährdeten. Deshalb forderte er, in Zukunft keine Hilfsgüter mehr nach Gaza zu liefern.

Die EU dagegen erklärte am Freitag, dass sie ihre Nothilfe für die palästinensische Bevölkerung im Nahen Osten um 68 Millionen Euro aufstocken werde. Zusätzlich sollen über das UN-Hilfswerk für palästinensische Geflüchtete weitere 82 Millionen Euro kommen. Die EU hatte eine Prüfung ihrer Unterstützung für das Hilfswerk angekündigt - nachdem es Vorwürfe gegeben hatte, Mitarbeitende seien am Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen.

Noch immer über 130 Geiseln in Gefangenschaft

Bei dem Angriff hatten Tausende Kämpfer der Hamas und weiterer Terrororganisationen Gräueltaten vorwiegend an Zivilisten verübt und nach israelischen Angaben etwa 1.160 Menschen getötet. Außerdem verschleppten sie rund 240 Geiseln in den Gazastreifen. Über 100 Geiseln wurden inzwischen freigelassen oder konnten befreit werden - noch immer befinden sich aber mehr als 130 Geiseln in der Hand von Terrororganisationen im Gazastreifen. Es wird befürchtet, dass dutzende von ihnen bei den Kampfhandlungen ums Leben gekommen sein könnten.

Als Reaktion auf den Hamas-Angriff geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor, erklärtes Ziel ist die Zerstörung der Hamas. Dabei wurden nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, mehr als 30.000 Palästinenser getötet und über 70.000 verletzt.

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

Nach dem tödlichen Vorfall bei einer Hilfslieferung im Gaza-Streifen hat ein Team der UNO mit der Untersuchung der Umstände begonnen.
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Nach dem tödlichen Vorfall bei einer Hilfslieferung im Gaza-Streifen hat ein Team der UNO mit der Untersuchung der Umstände begonnen.

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