Tausende Unterstützer des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny haben sich in Moskau versammelt, um Abschied vom Kreml-Kritiker zu nehmen. In einer Kirche im Südosten Moskaus fand heute die Trauerfeier für den in einem Straflager gestorbenen 47-Jährigen statt.
Nawalnys Team zeigte in einem Livestream auf Youtube, wie Männer den braunen Sarg aus einem schwarzen Transporter zogen und dann im Gleichschritt in die Kirche trugen. Hunderttausende verfolgten die Übertragung.
Die Menschen an der Kirche skandierten "Nawalny", "Nawalny", "Nawalny". Einige riefen auch: "Du hattest keine Angst. Und wir haben keine Angst." Vor der Kirche hatte sich eine zwei Kilometer lange Schlange mit Wartenden gebildet, die sich von Nawalny verabschieden wollten.
Anti-Kriegs-Parolen bei Abschied von Nawalny
Zahlreiche Nawalny-Unterstützer protestierten bei der Abschiedsfeier auch offen gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin. "Russland ohne Putin!", "Putin ist ein Mörder!", "Russland wird frei sein!", "Nein zum Krieg!" und "Liebe ist mächtiger als Angst" skandierten Menschen im Chor, wie Medien übereinstimmend berichteten. Reporter der Deutschen Presse-Agentur sprachen angesichts des Großaufgebots an Uniformierten der Sonderpolizei Omon von einer angespannten Atmosphäre.
Unter den bei der Trauerfeier versammelten Menschen waren auch der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff und sein französischer Kollege sowie die russischen Oppositionspolitiker Jewgeni Roisman, Boris Nadeschdin und Jekaterina Dunzowa. Die Witwe Julia Nawalnaja, die Tochter Darja und der Sohn Sachar nahmen nicht an der Trauerfeier teil, weil sie für ihre eigene Sicherheit im Ausland sind.
Nawalny auf Friedhof in Moskau beerdigt
Eine Aufnahme aus dem Inneren der Kirche zeigte den offenen Sarg, umgeben von zahlreichen Menschen während des Gottesdienstes. Der Leichnam Nawalnys war mit roten und weißen Blumen bedeckt. Seine Mutter saß am Sarg und hielt eine Kerze. Auch Nawalnys Vater war vor Ort.
Nawalnys Leichnam wurde anschließend im Beisein einiger seiner Angehörigen auf dem Borisowski-Friedhof im Südosten der russischen Hauptstadt beigesetzt. Der Sarg sei zur Musik des Films "Terminator" in den Boden eingelassen worden, schrieb der Nawalny-Unterstützer Iwan Schdanow im Onlinedienst Telegram und fügte hinzu: "Auf Wiedersehen, mein Freund."
Kreml schickte Warnung an Teilnehmer der Trauerfeier
Die Polizei, die mit einem großen Aufgebot vor Ort war, sperrte vorab den Platz vor der Kirche mit Metallzäunen ab, wie AFP-Journalisten berichteten. Polizisten mit Helmen und Tränengaskanistern patrouillierten in der Gegend, und auch in den nahe gelegenen U-Bahn-Stationen waren Sicherheitskräfte zu sehen.
Der Kreml warnte vor Beginn der Trauerfeier vor der Teilnahme an "nicht genehmigten" Versammlungen. Wer an einer solchen Kundgebung teilnehme, werde "gemäß dem geltenden Recht zur Verantwortung gezogen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Tass. Trotz dieser Warnung kamen Tausende.
Auf der Plattform X sind Videos zu sehen, wie offenbar Teilnehmer der Trauerfeier festgenommen werden. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OWD-Info wurden landesweit mehr als 45 Menschen im Zusammenhang mit den Trauerbekundungen festgenommen. Die meisten Festnahmen habe es in Nowosibirsk gegeben, erklärte die Organisation im Onlinedienst Telegram. Sechs Menschen wurden demnach in Moskau festgenommen.
Scholz würdigt Mut von Russen bei Beisetzung Nawalnys
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Mut der Russen gewürdigt, die an der Beisetzung teilgenommen haben. Sie "sind damit ein großes Risiko eingegangen - für die Freiheit", schrieb Scholz auf der Plattform X. "Alexej Nawalny hat seinen Kampf für Demokratie und Freiheit mit dem Leben bezahlt", schrieb Scholz weiter. Doch "nach seinem Told tragen mutige Russinnen und Russen sein Vermächtnis weiter".
Trauernde: "Wir haben keine Politiker wie ihn mehr"
Einige der Trauernden, die sich vor der Kirche versammelt hatten, hatten Blumen dabei. "Wir haben keine Politiker wie ihn mehr und niemand weiß, wann wir wieder welche haben werden", sagte die 55-jährige Maria. Sie empfinde "Angst und Trauer". Der 43-jährige Maxim sagte, er sehe "nichts Illegales daran, sich von einem großen Mann zu verabschieden".
Nawalnys Leichnam wurde dem orthodoxen Ritus entsprechend in einem offenen Sarg aufgebahrt. Das Team des prominentesten Widersachers von Russlands Präsident Wladimir Putin hatte nach eigenen Angaben Schwierigkeiten, einen Ort für den Trauergottesdienst zu finden. Zudem weigerten sich demnach mehrere Bestattungsunternehmen, den Leichnam des Oppositionspolitikers zu transportieren.
Julia Nawalnaja teilt Liebesbotschaft
Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja hat zum Abschied von ihrem Mann per Videoclip eine Liebesbotschaft mit markanten Szenen aus ihrem gemeinsamen Leben veröffentlicht. Sie werde Alexej immer lieben, schrieb die 47-Jährige am Freitag bei Instagram. In dem Clip waren viele Szenen ihres gemeinsamen Lebens zum Song "Chotschesch" (zu Deutsch: Willst du?) der russischen Sängerin Zemfira zu sehen.
In dem Post schrieb Nawalnaja: "Ljoscha, ich danke dir für 26 Jahre absolutes Glück. Ja, sogar für die letzten drei Jahre des Glücks. Für die Liebe, dafür, dass du mich immer unterstützt hast, dass du mich sogar im Gefängnis zum Lachen gebracht hast, dass du immer an mich gedacht hast." Ljoscha ist die Koseform des Namens Alexej.
Nawalnaja warnt vor Polizeiaktionen
Am Mittwoch hatte Nawalnaja vor möglichen Polizeiaktionen während der Trauerfeier gewarnt. "Ich weiß nicht, ob es eine friedliche Beerdigung wird, oder ob die Polizei Menschen festnehmen wird, die sich von ihm verabschieden wollen", sagte Julia Nawalnaja im Europaparlament.
- Zum Artikel: Julia Nawalnaja ruft zum Kampf gegen Putin auf
Mehr als 100 Festnahmen bei Trauerveranstaltungen in ganz Russland
Nach Angaben der russischen Menschenrechtsgruppe OWD-Info wurden seit Nawalnys Tod und bis zur Trauerfeier bereits 400 Menschen bei Trauerkundgebungen für den Kreml-Kritiker festgenommen. Am Tag der Trauerfeier selbst wurden laut OWD-Info bis zum Abend mehr als 128 Personen in 19 Städten abgeführt. "In jedem Polizeirevier können mehr Festgenommene sein als in den veröffentlichten Listen", hieß es zudem. In den meisten Fällen wurden die Betroffenen aber nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die meisten Festnahmen gab es demnach in der sibirischen Millionenstadt Nowosibirsk. Dort seien mindestens 31 Personen in Gewahrsam genommen worden, berichtet OWD-Info. In der Ural-Metropole Jekaterinburg hat die Polizei weitere 19 Menschen festgenommen. In Moskau sollen es 17 Personen sein, davon müssten drei die Nacht auf dem Revier verbringen, heißt es.
Versammlung auch vor russischer Botschaft in Berlin
Auch in Berlin haben sich am Abend hunderte Menschen zu Ehren von Nawalny versammelt. Die Menschen kamen vor der russischen Botschaft nahe dem Brandenburger Tor zusammen, viele legten Blumen und Fotos Nawalnys nieder. Die Demonstranten trugen Kerzen, auf Transparenten waren Sprüche wie "Russland wird frei sein" oder "Russland demokratisieren" zu lesen.
Nawalny soll vor zwei Wochen im Straflager gestorben sein
Der Tod des schärfsten Kritikers von Kremlchef Wladimir Putin in Russland, Nawalny, in einer Strafkolonie in der Arktis war am 16. Februar bekannt gegeben worden; die Umstände seines Todes sind weiterhin unklar. Der von einem Giftanschlag und zahlreichen Einweisungen in Einzelhaft geschwächte Politiker soll bei einem Rundgang im eisigen Gefängnishof zusammengebrochen sein. Wiederbelebungsversuche waren demnach erfolglos.
Eine offizielle Todesursache des 47-Jährigen ist nicht bekannt. Die Anhänger Nawalnys, seine Ehefrau und zahlreiche westliche Politiker machen die russische Führung und Putin für den Tod des 47-Jährigen verantwortlich.
Mit Material von AFP, AP und dpa
Im Video: Tausende bei Trauerfeier für Alexej Nawalny
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