Bei einer kurzfristig einberufenen Dringlichkeitsdebatte hat der UN-Sicherheitsrat am Montagabend hitzig über die Lage in Russland und der Ukraine diskutiert. Bei der Sitzung kritisierten die USA die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Truppen in die Separatisten-Gebiete in der Ostukraine zu schicken. "Sie nennen sie Friedenstruppen", sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield. "Das ist völliger Unsinn."
Der russischer UN-Botschafter Wassili Nebensia erklärte: "Wir bleiben offen für die Diplomatie, für eine diplomatische Lösung." Er fügte allerdings hinzu: "Wir haben aber nicht die Absicht, ein neues Blutbad im Donbass zuzulassen." Die Ukraine habe "militärische Pläne", sie beschieße und provoziere Luhansk und Donezk. Nach Anerkennung der Volksrepubliken durch Moskau könne das "äußerst gefährliche Folgen" haben, sagte Nebensia.
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"Russland hat sich entlarvt"
US-Botschafterin Thomas-Greenfield sagte dagegen: Putins Ansprache sei eine "Reihe ungeheuerlicher, falscher Behauptungen" gewesen. Vielmehr sei die Truppenpräsenz "eindeutig die Basis für russische Versuche, einen Vorwand für eine weitere Invasion der Ukraine zu schaffen".
Der deutschen UN-Botschafterin Antje Leendertse zufolge offenbarte Russland mit seinem Vorgehen seine wahren Absichten. Russland habe wiederholt darauf bestanden, nicht an dem Ukraine-Konflikt beteiligt zu sein, sagte sie. "Heute hat es sich entlarvt und zeigt, dass es das schon immer war."
Ukrainischer UN-Botschafter: "Werden standfest sein"
Der ukrainische UN-Botschafter Sergej Kyslyzja betonte, dass die Grenzen seines Landes trotz der Aktionen Russlands "unveränderlich" seien. Die Ukraine fordere Russland auf, die Anerkennung der abtrünnigen ukrainischen Gebiete "rückgängig zu machen", an den Verhandlungstisch zurückzukehren sowie einen "sofortigen und überprüfbaren Rückzug seiner Besatzungstruppen" anzuordnen.
Kyslyzja gab sich kämpferisch: "Wir werden standfest sein. Wir befinden uns auf unserem Grund und Boden. Wir haben vor nichts und niemandem Angst. Wir schulden niemandem etwas und wir geben niemandem etwas."
"Gefahr eines großen Konflikts ist real"
Zur Eröffnung der von der Ukraine und den westlichen Mitgliedsstaaten geforderten Sitzung hatte UN-Untergeneralsekretärin Rosemary DiCarlo gesagt: "Die nächsten Stunden und Tage werden kritisch sein. Die Gefahr eines großen Konflikts ist real und muss um jeden Preis vermieden werden." Sie erklärte, dass sie die Entscheidung des russischen Präsidenten Putin, Truppen in der Ostukraine zu stationieren, "zutiefst bedauert".
Wegen der Vetomacht Russland blieb der Sicherheitsrat am Montag wieder nur eine Bühne, auf der keine gemeinsamen Lösungen gefunden wurden. Einige Länder verwiesen darauf, dass der Konflikt weitergehe und ein nächster Schritt Putins viele Opfer zur Folge haben könnte. "Eine Invasion in der Ukraine entfesselt die Kräfte des Krieges, des Todes und der Zerstörung gegen die Menschen in der Ukraine", sagte die britische UN-Botschafterin Barbara Woodward. "Wir fordern Russland auf, einen Schritt zurückzutreten."
Atomwaffen-Behauptung: Putin attackiert Ukraine
Putin hatte am Montag die Unabhängigkeit der Separatisten-Gebiete in der Ostukraine anerkannt. Konkret geht es um die selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk. Der Staatschef kündigte in einer Fernsehansprache zudem an, russische Streitkräfte sollten in den Gebieten den "Frieden" sichern. Abkommen mit den Separatisten sehen die "gegenseitige Unterstützung" im Fall eines "Angriffs" sowie den "gemeinsamen Schutz" der Grenzen vor.
Von der Ukraine forderte Putin die "sofortige" Einstellung aller militärischen Aktivitäten im Osten des Landes. Andernfalls werde Kiew "die gesamte Verantwortung für die mögliche Fortdauer des Blutvergießens" tragen. Er warf Kiew erneut vor, in der Ostukraine einen "Genozid" an der russischen Bevölkerung zu begehen und in den Besitz von Atomwaffen gelangen zu wollen.
Viel Kritik an Russland - China fordert Zurückhaltung
Unterdessen kritisierten die meisten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats Russlands Vorgehen - darunter Frankreich, Norwegen, Irland, Kenia, Ghana und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die britische Gesandte Woodward sagte, der Rat müsse Russland einhellig zur "Deeskalation" und zur "Einhaltung seiner Verpflichtungen" auffordern. Sie verlangte einen "Rückzieher" von Putin. Der albanische UN-Botschafter Ferit Hoxha fragte mit Blick auf das russische Vorgehen: "Wer ist der Nächste?"
Vetomacht China verurteilte Russlands Schritte hingegen nicht explizit, sondern rief alle Konfliktparteien zur "Zurückhaltung" auf. Alle Seiten müssten Handlungen vermeiden, "die Spannungen anheizen", sagte Chinas UN-Botschafter Zhang Jun. Sein Land würde "alle Bemühungen um eine diplomatische Lösung begrüßen und ermutigen".
Das Fazit des ukrainischen UN-Botschafters fiel nach der Sitzung maximal enttäuscht aus. Am Ende des fast zweistündigen Treffens sagte Kyslyzja, dass die Vereinten Nationen "krank" und von einem "vom Kreml verbreiteten Virus befallen" seien. US-Präsident Joe Biden telefonierte am Montagabend abermals mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Details zu der gut halbstündigen Unterredung wurden zunächst nicht bekannt.
USA und EU bringen Sanktionen auf den Weg
Die USA haben derweil bereits Sanktionen gegen die Separatisten-Gebiete in der Ostukraine verhängt. Ein Sprecher des Weißen Hauses erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP zudem, dass die US-Regierung heute "neue Sanktionen gegen Russland" ankündigen werde. "Wir stimmen uns mit Verbündeten und Partnern über diese Ankündigung ab". Auch die US-amerikanische UN-Botschafterin Thomas-Greenfield kündigte schwere Konsequenzen für Moskau an.
Zuvor hatte ein hochrangiger US-Beamter noch darauf hingewiesen, dass sich russische Truppen seit Jahren verdeckt in den Separatisten-Gebieten aufhielten. "Wenn russische Soldaten in den Donbass einmarschieren, wäre das kein neuer Schritt", sagte er. "Wir werden die Diplomatie fortsetzen, bis die Panzer rollen."
Auch die EU wird mit Sanktionen auf die Putins Entscheidung reagieren, die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anzuerkennen. Die Strafmaßnahmen sollen diejenigen treffen, die an der Handlung beteiligt seien, erklärten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Montagabend. Die Anerkennung der beiden Separatistengebiete sei ein "eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, die territoriale Integrität der Ukraine und die Vereinbarungen von Minsk", teilten die beiden mit.
Bundesregierung: "Klarer Bruch des Minsker Abkommens"
Die Bundesregierung erklärte, die USA, Frankreich und Deutschland würden gemeinsam auf die Anerkennung der Separatisten-Gebiete reagieren. Putins Schritt stelle einen "klaren Bruch des Minsker Abkommens" dar und werde von Washington, Paris und Berlin "scharf" verurteilt, sagte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit. "Dieser Schritt wird nicht unbeantwortet bleiben."
(mit Informationen von AFP, AP und dpa)
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