Vor dem Lager der UNRWA erhalten vertriebene Einwohner in Rafah, im Süden des Gaza-Streifens, Lebensmittel
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Rafah, im Süden des Gaza-Streifens, 28. Januar: Vertriebene erhalten Nahrungsmittel aus dem Lager der UNRWA

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Vorwürfe gegen UN-Hilfswerk-Mitarbeiter: Wer ist die UNRWA?

Mitarbeiter des UN-Hilfswerks UNRWA seien Mittäter beim Hamas-Massaker am 7. Oktober gewesen. So steht es in einem Geheimdossier Israels. Jetzt stoppen große UN-Geldgeber ihre Mittel für das Hilfswerk vorerst. Wer ist die UNRWA? Wer finanziert sie?

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Am Freitag vergangener Woche hat die US-Regierung offenbar das sechsseitige Geheimdossier der israelischen Sicherheitsdienste erhalten. Der brisante Inhalt: Einige Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für die Palästinenser (UNRWA) seien an dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober direkt beteiligt gewesen. Zwölf UN-Mitarbeiter mit Namen und Fotos seien identifiziert worden, die unmittelbar als Mittäter betrachtet würden.

Schwere Vorwürfe gegen UNRWA-Mitarbeiter

So habe etwa ein Schulangestellter seinen Sohn bei der Entführung einer weiblichen Geisel unterstützt. Ein UNRWA-Sozialarbeiter sei an der Verschleppung eines getöteten israelischen Soldaten nach Gaza beteiligt gewesen. Ein weiterer UN-Mitarbeiter sei beim Massaker im Kibbuz Be'eri dabei gewesen, wo ein Zehntel der Einwohner ermordet worden sind. Insgesamt seien es rund 190 UNRWA-Mitarbeiter gewesen, unter ihnen auch Lehrer, die sich als Milizionäre der Hamas und des Islamischen Dschihad betätigt hätten.

Das berichten die "New York Times" und die Nachrichtenagentur Reuters, die Einblick in die Geheimunterlagen der israelischen Sicherheitsdienste hatten nehmen können. Von einer weitaus größeren Anzahl von UN-Mitarbeitern, die für die Hamas tätig gewesen seien, spricht das "Wall Street Journal". Die US-Zeitung beruft sich dabei israelische Geheimdienstberichte. Danach stünden zehn Prozent der rund 13.000 Angestellten der UNRWA im Gaza-Streifen auf den Gehaltslisten der Hamas und des islamischen Dschihad.

Die UNRWA – schon über 75 Jahre alt

Die UNRWA, offiziell "Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten", gibt es seit 1949. Sie ist im Libanon, Syrien, Jordanien, dem besetzten Westjordanland und dem Gaza-Streifen tätig. Gegründet wurde das Hilfswerk von den Vereinten Nationen, um die damals rund 700.000 palästinensischen Flüchtlinge zu unterstützen. Sie hatten nach dem UN-Teilungsbeschluss des ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästina1948 und dem anschließenden arabisch-israelischen Krieg aus ihrer Heimat fliehen müssen beziehungsweise waren vertrieben worden.

Heute ist die UNRWA für die zivile und humanitäre Unterstützung von 5,9 Millionen Menschen im Nahen Osten zuständig. Dabei handelt es sich nahezu ausschließlich um Nachkommen der Flüchtlinge von 1948 – ein Jahr, das die Palästinenser "Nakba" nennen, die Katastrophe.

Im Gaza-Streifen einer der größten Arbeitgeber

Im Gaza-Streifen sind drei Viertel der Einwohner bei der UNRWA als Flüchtlinge registriert. Das UN-Hilfswerk ist im Gaza-Streifen allgegenwärtig: Es betrieb bis zum Hamas-Massaker vom 7. Oktober die Schulen und Kindergärten, unterhielt medizinische Versorgungsstellen, verteilte Lebensmittel, war für die Müllabfuhr und die gesamte Logistik bei der Versorgung der Güter und Dienstleistungen verantwortlich.

13.000 Palästinenser sind bei der UNRWA angestellt. Die UNRWA wurde nach dem Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen 2005 und der Machtübernahme der totalitär herrschenden Hamas 2007 für die Bevölkerung immer wichtiger. Denn im Zuge der Abriegelung des palästinensischen Küstenstreifens mussten zunehmend mehr Menschen auf die Versorgungsleistungen der UNRWA zurückgreifen. Vor Kriegsbeginn waren es bereits eine Million Menschen.

Derzeit ist nahezu die gesamte Bevölkerung auf die UNRWA angewiesen, für grundlegende Güter wie Lebensmittel, Wasser und Hygieneartikel. Über 150 UNRWA-Mitarbeiter sind nach Angaben der Vereinten Nationen seit Kriegsbeginn ums Leben gekommen. In keinem anderen Krieg seien so viele UN-Mitarbeiter getötet worden.

Wer finanziert die UNRWA?

Die größten Geldgeber der UNRWA sind die USA, die für 2022 insgesamt 344 Millionen zugesagt haben (für 2023 liegen die Daten noch nicht vor). Es folgen Deutschland mit rund 200 Millionen Dollar Finanzzusagen für das Jahr 2022 sowie Schweden, Saudi Arabien, Frankreich und die Schweiz.

Nach dem Bekanntwerden der israelischen Vorwürfe an die Adresse der UNRWA haben die USA bereits am Freitag ihre "zusätzlichen Finanzleistungen vorübergehend angehalten", so das US-Außenministerium. Diesem Schritt schlossen sich Deutschland, Australien, Kanada, Italien, die Niederlande, Finnland, Großbritannien und weitere Staaten an. Die Vorfälle müssten gründlich und umfassend untersucht werden. Die Europäische Union, ein wesentlicher Geldgeber der UNRWA, verlangte ebenfalls, dass die UN die "äußerst schwerwiegenden Anschuldigungen unverzüglich" untersuchen müsse.

Norwegen appelliert: "Extreme Not in Gaza bedenken"

Norwegen, mit 34 Millionen Dollar für 2022 ebenfalls einer der großen Geldgeber, bleibt hingegen dabei: Obgleich die Anschuldigungen sehr besorgniserregend seien, dass UN-Mitarbeiter "in den schrecklichen Terroranschlag vom 7. Oktober" verwickelt waren, habe Norwegen beschlossen, "unsere Unterstützung für die UNRWA fortsetzen".

Mit Blick auf die Geldgeber-Länder, die ihre Finanzmittel eingefroren beziehungsweise gestoppt haben, äußert sich der norwegische Außenminister Espen Barth Eide auf der Webseite seines Ministeriums: Er fordert trotz der Besorgnis über die schwerwiegenden Anschuldigungen "andere Geber auf, die weitreichenden Folgen einer Kürzung der Mittel für die UNRWA in einer Zeit extremer Not in Gaza zu bedenken". Die Geberländer "sollten nicht kollektiv Millionen von Menschen bestrafen".

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